Geschlechtsspezifische Unterschiede bei der verbalen Flüssigkeit und dem verbal-episodischen Gedächtnis: Eine Metaanalyse
13.10.2022 In Lehrbüchern und populärwissenschaftlichen Büchern wird zwar behauptet, dass Frauen mit Sicherheit besser bei der Wortfindung und beim Merken von Wörtern sind, aber ist das wirklich eine Tatsache?
Zum Beispiel bei der Benennung von Wörtern, die mit dem Buchstaben „F“ beginnen, oder von Wörtern, die einer bestimmten Kategorie angehören, wie Tiere oder Früchte. Es wurde auch als „Tatsache“ angesehen, dass Frauen sich besser an Wörter erinnern können.
Die tatsächlichen Ergebnisse sind jedoch sehr viel widersprüchlicher, als in den Lehrbüchern behauptet wird: Einige Studien stellen einen weiblichen Vorteil fest, andere einen männlichen, wieder andere finden keinen Vorteil.
Bei den meisten intellektuellen Fähigkeiten gibt es keine oder nur geringfügige Unterschiede in der durchschnittlichen Leistung von Männern und Frauen. Allerdings sind Frauen bei einigen Aufgaben besser, während Männer bei anderen im Durchschnitt besser abschneiden, sagt Studienautor Marco Hirnstein von der Universität Bergen.
Dies mag wie eine Feststellung des Offensichtlichen klingen, aber Hirnstein und seine Kollegen weisen darauf hin, dass ihre Ergebnisse für die Diagnose und die Gesundheitsfürsorge von Nutzen sein können.
Entscheidende Bedeutung für die Diagnose von Demenz
Die Ergebnisse sind in mindestens zweierlei Hinsicht von Bedeutung. Erstens tragen sie zur Klärung der Frage bei, ob der weibliche Vorteil tatsächlich besteht. Zweitens ist das Wissen um diesen Unterschied zwischen den Geschlechtern wichtig für die Interpretation der Ergebnisse von diagnostischen Untersuchungen, bei denen diese Fähigkeiten häufig getestet werden.
Zum Beispiel für die Feststellung, ob jemand an Demenz erkrankt ist. Das Wissen, dass Frauen bei diesen Aufgaben im Allgemeinen besser sind, ist entscheidend um zu verhindern, dass Frauen aufgrund ihrer besseren durchschnittlichen Ausgangsleistung unterdiagnostiziert werden. Und für Männer: Dass sie aufgrund ihrer geringeren durchschnittlichen Ausgangsleistung überdiagnostiziert werden.
Derzeit wird bei vielen, aber nicht bei allen Bewertungen das Geschlecht berücksichtigt.
Die Studie
Hirnstein und seine Kollegen führten eine sogenannte „Metaanalyse“ durch, bei der sie die kombinierten Daten aller Dissertationen, Masterarbeiten und in wissenschaftlichen Zeitschriften veröffentlichten Studien analysierten, die sie finden konnten. Diese Metaanalyse umfasste mehr als 500 Untersuchungen von mehr als 350.000 Teilnehmern.
Die Wissenschaftler stellten fest, dass Frauen/Mädchen bei der phonemischen Flüssigkeit (z.B. innerhalb einer Minute so viele Wörter wie möglich mit dem Anfangsbuchstaben „S“ aufzuzählen; ds = 0,12-0,13) ein bißchen besser abschnitten als Männer/Jungen, nicht aber bei der semantischen Flüssigkeit (z.B. innerhalb einer Minute so viele Tiere wie möglich nennen; ds = 0,01-0,02), bei der der Unterschied zwischen den Geschlechtern kategorieabhängig zu sein scheint.
Frauen/Mädchen schnitten auch beim Abruf (d = 0,28) und beim Wiedererkennen (ds = 0,12-0,17) besser ab als Männer/Jungen.
Obwohl die Effektgrößen sehr klein sind, war der weibliche Vorteil über die letzten 50 Jahre und über die gesamte Lebenszeit hinweg relativ stabil, schreiben die Autoren.
Beeinflussende Faktoren bei Studienresultaten
Veröffentlichte Artikel berichteten über stärkere weibliche Vorteile als unveröffentlichte Studien, und Erstautoren berichteten über bessere Leistungen für Angehörige ihres eigenen Geschlechts.
Die Forscher kommen zu dem Schluss, dass Frauen einen kleinen Vorteil bei der phonemischen Geläufigkeit, dem Erinnerungsvermögen und der Wiedererkennung zeigen, der zum Teil auf Publikationsverzerrungen zurückzuführen ist. Die beträchtliche Schwankungsbreite der Resultate deutet auf weitere Faktoren hin, wie Sprache und Land/Region der Teilnehmer.
© Psylex.de – Quellenangabe: Perspectives on Psychological Science (2022). DOI: 10.1177/17456916221082116