Psychopathie
Perspektivenübernahme (Theory of Mind)
Psychische Störungen – Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen
Können Psychopathen die Perspektiven, Gedanken anderer verstehen?
14.03.2018 Psychopathen zeigen gefühllose Missachtung des Wohlergehens anderer bzw. Gleichgültigkeit, was auf die Unfähigkeit hindeutet, die Perspektive der Menschen um sie herum verstehen zu können.
Sie können aber auch äußerst charmant und manipulativ sein, was scheinbar auf ein Bewusstsein für die Gedanken anderer hinweist. Dieses Paradoxon hat Forscher, Kliniker, Justizbehörden und Laien bislang verblüfft.
Theory of Mind
Die meisten empirischen Psychopathie-Studien zeigen, dass Psychopathen trotz ihres Verhaltens eine intakte Theory of Mind besitzen: Sie können erfolgreich die Perspektiven und Gedanken anderer voraussagen.
In der aktuellen Studie zeigen die Psychologen, dass psychopathische Personen ein bisher unbeobachtetes kognitives Defizit haben, das ihr Muster von destruktivem und unsozialem Verhalten erklären könnte.
Keine automatische Perspektivenübernahme
Eine neue Studie zeigt, dass Psychopathen nicht in der Lage sind, die Gedanken der Menschen um sie herum automatisch einzuschätzen, ein Prozess, der der Bildung menschlicher sozialer Bindungen zugrundeliegt.
Wenn sie jedoch gebeten werden, die Ansichten der sie umgebenden Menschen einzuschätzen, können sie die Gedanken der anderen verarbeiten, schreibt die Studienautorin und Psychologie-Professorin Arielle Baskin-Sommers.
Perspektivenübernahme eines Avatars
Bild: John Hain
Baskin-Sommers erhielt die Erlaubnis des Connecticut Department of Correction, Häftlinge in Hochsicherheitsgefängnissen zu untersuchen. Zusammen mit den Kollegen Lindsey Drayton und Laurie Santos ließ sie die Insassen ein Computerspiel spielen, in dem diese gebeten wurden, eine Aufgabe aus ihrer eigenen Perspektive oder der eines Avatars auf dem Bildschirm, der als Häftling gekleidet war, auszuführen.
Die meisten Menschen finden es schwierig, die Perspektive des Avatars völlig zu ignorieren, selbst wenn sie beim Spielen des Computerspiels bewusst nur auf ihre eigene Perspektive achten sollen, sagte Baskin-Sommers.
Es ist wie vor einer Versammlung zu sprechen: Die Aufmerksamkeit sollte nicht auf das Publikum gerichtet sein, aber es ist unmöglich, soziale Signale wie Augenrollen oder Gähnen zu ignorieren, sagte sie. Das spiegelt unseren automatischen Prozess wider, die Gedanken der Menschen um uns herum zu berücksichtigen.
Psychopathen können bewusst die Perspektive anderer übernehmen
Psychopathen nehmen solche Hinweise nicht automatisch auf, so die Studie.
Insassen, die bei psychopathischen Merkmalen hohe Punktzahlen erzielten und den höchsten Grad dieses Defizits aufwiesen, waren wahrscheinlicher wegen Körperverletzung verurteilt worden.
Wenn man sie jedoch speziell darum bat, eine Aufgabe aus der Perspektive des Avatars auszuführen, zeigten diese Psychopathen, dass sie die Perspektive anderer (auch Theory of Mind genannt) genau verstehen können.
Berücksichtigung anderer bei Eigennutz
Psychopathen scheinen die Fähigkeit zu haben, die Gedanken anderer zu berücksichtigen – aber nur wenn es ein bestimmtes Ziel gibt, das sie erreichen wollen, erklärte Baskin-Sommers.
Die Psychologen sagen, es bestehe Hoffnung, die Komplexität des psychopathischen Verstandes zu verstehen und Wege zu finden, wie man diese Menschen Strategien zur Perspektivenübernahme lehren kann – um die Menschen um sie herum nicht zu missachten.
© PSYLEX.de – Quellenangabe: Proceedings of the National Academy of Sciences (2018). DOI: 10.1073/pnas.1721903115
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