Suizid und das Gehirn

Verteilung des Progesteronrezeptors im menschlichen Hypothalamus und sein Zusammenhang mit Suizid

Suizid und das Gehirn

13.02.2024 Die Verwendung von oralen Verhütungsmitteln, die eine synthetische Form von Progesteron (Gestagen) enthalten, kann bei Frauen mit Depressionen und Suizidgedanken zu einem erhöhten Risiko für Suizidverhalten führen. Forscher des Netherlands Institute for Neuroscience haben nun den Mechanismus im Gehirn entdeckt, der diesem Prozess zugrunde liegt.

Die Rolle von Progesteron

Progesteron spielt eine Rolle im Fortpflanzungssystem der Frau, kann aber auch als Stresshormon wirken. Letzteres wird oft vernachlässigt. “Alle stressbedingten Substanzen können zum Suizidrisiko beitragen”, erklärt Swaab. “Wegen der Verbindung zu Stress, Depression und Suizid wollten wir mehr darüber erfahren, wie sich Progesteron auf das Gehirn auswirkt.”

Zhang konnte Gehirnproben untersuchen, die sie über die Netherlands Brain Bank erhalten hatte und die sich in Alter, Geschlecht, Diagnose und Todesursache unterschieden. Ihre Untersuchungen zeigten, dass der untere Teil des Hypothalamus, der sogenannte Nucleus infundibularis, am deutlichsten auf Progesteron reagiert. Dies wurde der Schwerpunkt ihrer Forschung.

Hypothalamus und Nucleus infundibularis

Bei Patienten mit Depressionen, die durch Selbstmord starben, fand Zhang eine erhöhte Anzahl von Zellen, die eine opiatähnliche Substanz produzieren. Dieser Anstieg wurde durch die Tatsache begünstigt, dass sie den Progesteronrezeptor mitexprimierten.

Swaab erklärt: “Es ist bekannt, dass die Einnahme von Opiaten das Risiko für Suizid erhöht. Das Gehirn reagiert empfindlich auf opiatähnliche Substanzen, weil es diese Substanzen auch selbst herstellt. Progesteron erhöht also wahrscheinlich die Aktivierung des Opioidsystems, was letztlich zu einem erhöhten Suizidrisiko führt.”

Eine weitere bemerkenswerte Beobachtung von Zhang war, dass im Nucleus infundibularis der älteren Population Anzeichen von Zellteilung auftraten. Die Entstehung neugeborener Neuronen im erwachsenen menschlichen Gehirn, insbesondere bei älteren Menschen, ist unter Neurowissenschaftlern nach wie vor umstritten.

Gestagenhaltige Arzneimittel werden häufig zur Empfängnisverhütung oder zur Behandlung von Wechseljahrsbeschwerden verschrieben. Die klinische Forschung zeigt, dass das Suizidrisiko bei Arzneimitteln, die natürliches Progesteron enthalten, vernachlässigbar ist, während dies bei der synthetischen Form möglicherweise nicht der Fall ist, da diese stärker ist.

Gynäkologen haben dieses Wissen in ihre Standardpraxis aufgenommen, indem sie ihre Patientinnen auf Depressionen und Suizidalität untersuchen, bevor sie das eine oder das andere verschreiben. Dies ist bei Allgemeinmedizinern noch nicht der Fall. “Wir hoffen, dass diese Erkenntnis Ärzte dazu veranlasst, explizit nach Anzeichen von Depressionen oder Suizidgedanken zu fragen und gegebenenfalls eine alternative Option vorzuschlagen”.

© Psylex.de – Quellenangabe: Acta Neuropathologica Communications (2024). DOI: 10.1186/s40478-024-01733-y

News zu: Suizid und das Gehirn

Gehirnscans könnten Hinweise auf Suizidrisiko geben

15.10.2019 Forscher der University of Utah Health und der University of Illinois in Chicago haben Unterschiede in der Hirnvernetzung identifiziert, die mit suizidalem Verhalten bei Menschen mit Stimmungsstörungen in Verbindung gebracht werden könnten.

Die in der Fachzeitschrift Psychological Medicine veröffentlichte Studie liefert einen vielversprechenden Hinweis auf Hilfsmittel zur Prognose von Suizidrisiken, schreiben die Studienautoren.

Die Studie verwendete funktionelle MRT (fMRT), die das Gehirn scannte, während die Teilnehmer ausgeruht und ruhig waren, um die Konnektivität dieser Vernetzung bei 212 jungen Erwachsenen zu erfassen.

Die Studienpopulation umfasste Personen

  • mit Stimmungsstörungen und Selbstmordversuchen in der Vorgeschichte,
  • Stimmungsstörungen und Suizidgedanken,
  • Stimmungsstörungen ohne vorheriges suizidales Verhalten oder Gedanken
  • sowie gesunde Kontrollprobanden.

Alle Studienteilnehmer mit Stimmungsstörungen waren in Remission.

Default Mode Network und Cognitive Control Network

Im Vergleich zu anderen Studienteilnehmern – auch solchen mit Stimmungsstörungen und früheren Suizidgedanken – zeigten Teilnehmer mit früheren Suizidversuchen weniger Konnektivität im CCN (cognitive control network) und zwischen CCN und DMN (default mode network) – neuronale Schaltkreise, die mit kognitiver Kontrolle und Impulsivität verbunden sind.

Diese Unterschiede könnten ein Ziel für die Behandlung darstellen, zum Beispiel mit neuromodulatorischen Ansätzen. Wenn wir herausfinden könnten, wie wir die Konnektivität innerhalb dieses Gehirnnetzwerks verbessern können, könnten wir das Suizidrisiko in Zukunft reduzieren, sagt Jonathan P. Stange.

Zuvor seien allerdings weitere, längere Studien mit mehr Teilnehmern erforderlich, schreiben die Studienautoren.

© PSYLEX.de – Quellenangabe: Psychological Medicine – https://dx.doi.org/10.1017/S0033291719002356

Netzwerke im Gehirn, die eine entscheidende Rolle bei Suizidgedanken und -versuchen spielen könnten

02.12.2019 Ein internationales Forscherteam hat Schlüsselnetzwerke im Gehirn identifiziert, von denen sie annehmen, dass sie mit dem Risiko für Suizidgedanken oder Suizidversuchen zusammenhängen.

Lianne Schmaal von der Universität Melbourne und Kollegen führten eine Überprüfung der wissenschaftlichen Forschungsliteratur aus zwei Jahrzehnten im Zusammenhang mit Studien zur Hirnbildgebung von suizidalen Gedanken und Verhalten durch. Insgesamt betrachteten sie 131 Studien mit mehr als 12.000 Personen und deren Veränderungen in der Gehirnstruktur und -funktion, die das Suizidrisiko einer Person erhöhen könnten.

Mit der Kombination der Ergebnisse aus allen verfügbaren Studien zur Hirnbildgebung suchten die Forscher nach Hinweisen für strukturelle, funktionelle und molekulare Veränderungen im Gehirn, die das Selbstmordrisiko erhöhen könnten. Sie identifizierten zwei Gehirnnetzwerke – und die Verbindungen zwischen ihnen – die eine wichtige Rolle zu spielen scheinen.

Medialer und lateraler ventraler präfrontaler Cortex

Das erste dieser Netzwerke umfasst Bereiche der Vorderseite des Gehirns, die als medialer und lateraler ventraler präfrontaler Cortex bekannt sind, und deren Verbindungen zu anderen Gehirnregionen, die an Emotionen beteiligt sind.

Veränderungen in diesem Netzwerk können zu übermäßigen negativen Gedanken und Problemen bei der Emotionsregulation führen und Selbstmordgedanken fördern, schreiben die Neurowissenschaftler in Molecular Psychiatry.

Dorsaler präfrontaler Cortex und inferiores frontales Gyrussystem

Das zweite Netzwerk umfasst Hirnregionen, die als dorsaler präfrontaler Cortex und inferiores frontales Gyrussystem bekannt sind.

Änderungen in diesem Netzwerk können Suizidversuche beeinflussen, zum Teil aufgrund der Rolle bei der Entscheidungsfindung, der Generierung alternativer Problemlösungen und der Verhaltenskontrolle.

Die Forscher nehmen an, wenn beide Netzwerke in Bezug auf Struktur, Funktionen oder Biochemie verändert werden, könnte dies zu Situationen führen, in denen jemand negativ über die Zukunft denkt und seine Gedanken nicht kontrollieren kann. Und dies könnte zu Situationen führen, in denen das Suizidrisiko sich erhöht.

© PSYLEX.de – Quellenangabe: Molecular Psychiatry; 2 Dec 2019; DOI: 10.1038/s41380-019-0587-x

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