Stottern und das Gehirn

Studie lokalisiert Stottern anhand von kausalen Hirnläsionen

Stottern und das Gehirn

28.05.2024 Eine in der Fachzeitschrift Brain veröffentlichte Studie hat einen spezifischen Netzwerkknoten im Gehirn identifiziert, der beim Stottern eine Schlüsselrolle spielt.

Die Forschungsarbeit von Te Whare Wānanga o Waitaha | University of Canterbury (UC) Catherine Theys untersuchte zwei verschiedene Arten des Stotterns – entwicklungsbedingtes und erworbenes Stottern – und zeigt eine klare neuronale Grundlage für die Sprechstörung.

„Stottern betrifft etwa 1 % der Erwachsenen und kann zu erheblichen Kommunikationsproblemen und sozialen Ängsten führen, aber die Ursache des Stotterns ist immer noch unbekannt“, sagt Theys.

„Am häufigsten tritt es als Entwicklungsstörung auf, kann aber auch durch fokale Hirnschäden nach einem Schlaganfall oder andere neurologische Erkrankungen verursacht werden. Während die meisten Forschungsarbeiten diese verschiedenen Arten des Stotterns als getrennte Störungen behandeln, verfolgte diese Studie einen einzigartigen Ansatz durch die Kombination der Datensätze, um zu sehen, ob wir einen gemeinsamen Zusammenhang erkennen können.“

Die multidisziplinäre Studie, die in Zusammenarbeit mit Forschern der Universität Turku (Finnland), der Universität Toronto, der Universität Boston und des Brigham and Women’s Hospital an der Harvard Medical School durchgeführt wurde, verwendete drei unabhängige Datensätze: Fallberichte aus der veröffentlichten Literatur über erworbenes neurogenes Stottern nach einem Schlaganfall; eine klinische Einzelstudienkohorte mit erworbenem neurogenen Stottern nach einem Schlaganfall; und Erwachsene mit anhaltendem entwicklungsbedingten Stottern.

Während frühere Forschungen sich mit der Lage spezifischer Hirnläsionen befassten, um herauszufinden, wie das Gehirn funktioniert, verwendete diese Forschung eine neue Technik, die die von den Läsionen betroffenen Hirnnetzwerke untersuchte und prüfte, ob es einen gemeinsamen Knotenpunkt geben könnte, so Theys.

Putamen, Claustrum und amygdalostriatisches Übergangsgebiet

„Wir haben die ersten beiden Datensätze und die Kartierung von Läsionsnetzwerken genutzt, um zu prüfen, ob Läsionen, die erworbenes Stottern verursachen, einem gemeinsamen Hirnnetzwerk zugeordnet sind. Mit dem dritten Datensatz haben wir dann getestet, ob dieses auf Läsionen basierende Netzwerk für das entwicklungsbedingte Stottern relevant ist.“

„Indem wir jeden der Datensätze untersuchten, konnten wir ein gemeinsames Stotternetzwerk ausfindig machen und es auf einen bestimmten Teil des linken Putamens eingrenzen, der für Lippen- und Gesichtsbewegungen sowie für das Timing und die Abfolge von Sprache verantwortlich ist.“

Die Forscher haben auch zwei weitere neue Bereiche identifiziert, die für die Sprachbildgebung und die Stotterforschung von Interesse sind: das Claustrum und das amygdalostriatische Übergangsgebiet. Es handelt sich dabei um winzige Bereiche des Gehirns, die nur wenige Millimeter breit sind, weshalb sie in früheren Studien in der Regel nicht erkannt wurden. Dies zeigt ein plausibles Netzwerk für das Stottern.

Erworbenes und entwicklungsbedingtes Stottern

„Man hat erworbenes und entwicklungsbedingtes Stottern immer als zwei verschiedene Dinge betrachtet, aber wir konnten zeigen, dass es neben den Ähnlichkeiten auf der Verhaltensebene auch Ähnlichkeiten auf der neuronalen Ebene gibt.“ Dr. Theys sagt, dass die Ergebnisse für die Behandlung von Bedeutung sind.

„Für Menschen mit erworbenem Stottern ist dies eine gute Erklärung dafür, was vor sich gehen könnte. Wenn man sich diesen Teil des Putamens ansieht, scheint die Abfolge der Bewegungen eine der Hauptschwierigkeiten zu sein und daher ein wichtiger Aspekt, auf den wir unsere Behandlungen konzentrieren sollten. Die ermittelten Netzwerkbereiche geben auch Aufschluss über mögliche Verbindungen zu emotionalen Reaktionen beim Stottern.

„Die Ergebnisse aus dem Claustrum und dem amygdalostriatalen Übergangsbereich geben eine wichtige neue Richtung bei der Kartierung der neuronalen Grundlagen des Stotterns vor und stellen sicher, dass die bestmöglichen Diagnose- und Behandlungsansätze entwickelt werden können.“

© Psylex.de – Quellenangabe: Brain (2024). DOI: 10.1093/brain/awae059

News zu: Stottern und das Gehirn

Zu starke Hemmung der Sprechbewegungen durch Überaktivität in rechter Hirnhälfte

13.12.2017 Neurowissenschaftler des Max-Planck-Instituts haben mit Hilfe von MRT untersucht, was im Gehirn von stotternden Menschen passiert.

Vorherige Forschungsarbeiten konnten eine Störung zwischen der Aktivität der beiden Hemisphären (Hirnhälften) beim Stottern feststellen. Dabei zeigte sich, dass ein Bereich im linken frontalen Hirn sehr viel schwächer aktiviert wird als dieser Bereich in der rechten Hemisphäre.

Doch was bedeutet diese unterschiedliche Aktivität im Gehirn und was löst sie aus? Versucht die rechte Hirnhälfte die geringere Aktivität der linken zu kompensieren, oder versucht die linke Hirnhälfte ein Zuviel der rechten auszugleichen?

Dazu untersuchten die Neurowissenschaftler Erwachsene, die seit ihrer Kindheit stotterten, und verglichen sie mit nicht-stotternden Teilnehmern. Diese sollten sich während der Gehirnscans vorstellen die Namen der Monate aufzusagen. Durch dieses imaginierte Sprechen sollte gewährleistet werden, dass die empfindlichen Magnetresonanztomographie-Signale nicht gestört werden.

Frontaler Aslant Trakt

Bei der Analyse der Hirnscans konnten die Forscher eine Nervenfaserbahn identifizieren, die bei den stotternden Probanden signifikant stärker entwickelt war.

Dabei stellten sie fest, dass das Stottern umso stärker ausgeprägt war, je stärker entwickelt der sogenannte Frontale Aslant Trakt (FAT) war.

Aus früheren Forschungsarbeiten wussten die Wissenschaftler bereits, dass der FAT bei der Feinabstimmung von Signalen involviert ist, die Bewegungen hemmen.

Zu starke Hemmung der Sprechbewegungen

Die Studienautoren um Nicole Neef vermuten deshalb, dass die stärkere Aktivierung dieses Netzwerkes und dessen ausgeprägtere Verknüpfungen nahelegen, dass die Ursache des Stotterns in der zu starken Hemmung der Sprechbewegungen liegt.

Überaktivität in rechter Hirnhälfte

Die zu große Aktivität in der rechten Hirnhälfte scheint also die wahre Ursache zu sein. „Die rechte untere Windung des Stirnhirns ist bei allen Menschen immer dann besonders aktiv, wenn wir Bewegungen wie Hand- oder Sprechbewegungen stoppen“, sagte Neef.

Wenn dieser Bereich aber überaktiv ist, tritt eine übergroße Hemmung auf. Bei Stotterern werden mit großer Wahrscheinlichkeit gerade die Gehirnregionen beeinflusst, die die Bewegungen beim Sprechen steuern, sagt sie.

Betroffen sind die sprechrelevanten Regionen im linken Stirnlappen, und hier besonders der linke Gyrus frontalis inferior, der bei der Sprechplanung eine wichtige Rolle spielt, und der linke motorische Cortex – zuständig dann für die Bewegungen beim Sprechen. Werden diese beiden Hirnprozesse übermäßig stark gehemmt, kommt es zum Stottern, sagt Neef.

© PSYLEX.de – Quellenangabe: Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften; Dez. 2017

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