Luftverschmutzung, Mikrostruktur der weißen Substanz und Gehirnvolumen: Zeiträume der Anfälligkeit von der Schwangerschaft bis Kindheit
23.09.2022 Eine in der Zeitschrift Environmental Pollution veröffentlichte Studie hat bei Kindern im Alter von 9 bis 12 Jahren einen Zusammenhang zwischen der Exposition gegenüber Luftschadstoffen im Mutterleib, sowie während der ersten 8,5 Lebensjahre, und Veränderungen der strukturellen Konnektivität der weißen Substanz im Gehirn festgestellt.
Je höher die Exposition des Kindes vor dem 5. Lebensjahr war, desto stärker war die Veränderung der Gehirnstruktur in der Vorpubertät ausgeprägt. Die Studie wurde vom Barcelona Institute for Global Health (ISGlobal) geleitet.
Weiße Hirnsubstanz
Bahnen oder Bündel der weißen Hirnsubstanz sorgen für die strukturelle Konnektivität, indem sie die verschiedenen Bereiche des Gehirns miteinander verbinden. Die Konnektivität kann durch die Untersuchung der Mikrostruktur dieser weißen Substanz gemessen werden, die ein Indikator für die typische Entwicklung des Gehirns ist.
Eine abnorme Mikrostruktur der weißen Substanz wurde mit psychiatrischen Störungen in Verbindung gebracht (z. B. depressive Symptome, Angststörungen und Autismus-Spektrum-Störungen).
Volumen des Putamens
Neben dem Zusammenhang zwischen Luftverschmutzung und der Mikrostruktur der weißen Substanz wurde in der Studie auch ein Zusammenhang zwischen der spezifischen Belastung durch Feinstaub (PM2,5) und dem Volumen des Putamens festgestellt, einer Hirnstruktur, die an Motorik, Lernprozessen und vielen anderen Funktionen beteiligt ist. Da das Putamen eine subkortikale Struktur ist, hat es umfassendere und weniger spezialisierte Funktionen als kortikale Strukturen. Die Studie ergab, dass das Volumen des Putamens in der Präadoleszenz umso größer ist, je höher die PM2,5-Belastung ist, insbesondere in den ersten beiden Lebensjahren.
„Ein größeres Putamen wurde mit bestimmten psychiatrischen Störungen in Verbindung gebracht (Schizophrenie, Autismus-Spektrum-Störungen und Zwangsstörungen)“, sagt Anne-Claire Binter, ISGlobal-Forscherin und Erstautorin der Studie.
„Das Neue an der vorliegenden Studie ist, dass sie Zeiträume der Anfälligkeit für Luftverschmutzung identifiziert“, erklärt Binter weiter. „Wir haben die Exposition auf einer feineren Zeitskala gemessen, indem wir die Daten auf Monatsbasis analysiert haben, im Gegensatz zu früheren Studien, in denen die Daten für die Trimester der Schwangerschaft oder die Kinderjahre analysiert wurden. In dieser Studie haben wir die Exposition der Kinder gegenüber Luftverschmutzung von der Empfängnis bis zum Alter von 8,5 Jahren auf monatlicher Basis analysiert“.
Auswirkungen selbst bei Schadstoffwerten, die den Normen der Europäischen Union entsprechen
Ein weiterer Pluspunkt dieser Studie ist, dass die analysierten Daten aus einer großen Kohorte von 3.515 Kindern stammen, die an der Generation-R-Studie in Rotterdam (Niederlande) teilgenommen haben.
Um die Luftverschmutzung jedes einzelnen Teilnehmers während des Studienzeitraums zu ermitteln, schätzten die Forscher die täglichen Stickstoffdioxid- (NO2) und Feinstaubwerte (PM2,5 und PM2,5-Absorption) in den Wohnungen der Kinder während der Schwangerschaft der Mutter und bis zum Alter von 8,5 Jahren. Als die Teilnehmer zwischen 9 und 12 Jahre alt waren, wurden sie einer Magnetresonanztomographie des Gehirns unterzogen, um die strukturelle Konnektivität und das Volumen verschiedener Gehirnstrukturen zu diesem Zeitpunkt zu untersuchen.
Die in der vorliegenden Studie gemessenen NO2- und PM2,5-Werte überstiegen die in den aktuellen Leitlinien der Weltgesundheitsorganisation festgelegten jährlichen Grenzwerte (10 µg/m3 bzw. 5 µg/m3), erfüllten jedoch die Normen der Europäischen Union (EU), was darauf hindeutet, dass die Entwicklung des Gehirns durch die Exposition gegenüber Luftverschmutzung bei Werten unterhalb der aktuellen EU-Luftqualitätsgrenzwerte beeinträchtigt werden kann.
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„Eine der wichtigsten Schlussfolgerungen dieser Studie“, erklärt Binter, „ist, dass das Gehirn des Säuglings besonders anfällig für die Auswirkungen der Luftverschmutzung ist, und zwar nicht nur während der Schwangerschaft, wie in früheren Studien gezeigt wurde, sondern auch während der Kindheit.“
„Wir sollten die gleichen Parameter in dieser Kohorte weiter verfolgen und messen, um die möglichen langfristigen Auswirkungen der Luftverschmutzung auf das Gehirn zu untersuchen“, schließt Mònica Guxens, ISGlobal-Forscherin und Koautorin der Studie.
© Psylex.de – Quellenangabe: Environmental Pollution – doi.org/10.1016/j.envpol.2022.120109