Ergebnisse einer neurowissenschaftlichen Studie legen nahe, dass Gewalt in Videospielen keinen negativen Einfluss auf die Empathie von Erwachsenen hat.
16.01.2024 Neurowissenschafter*innen der Universität Wien und des Karolinska-Instituts in Stockholm haben untersucht, ob das Spielen von gewalttätigen Videospielen zu einer Reduktion der menschlichen Empathie führt. Dazu ließen sie erwachsene Versuchspersonen innerhalb eines mehrwöchigen Experiments wiederholt ein gewalttätiges Videospiel spielen. Davor und danach wurden ihre empathischen Reaktionen auf den Schmerz einer anderen Person gemessen. Es zeigte sich, dass das gewalttätige Videospiel keinen erkennbaren Einfluss auf die Empathiefähigkeit und die ihr zugrundeliegende Gehirnaktivität hatte. Diese Ergebnisse wurden jetzt in der renommierten Fachzeitschrift eLife veröffentlicht.
Videospiele sind heutzutage nicht mehr aus Wohn- und Kinderzimmern wegzudenken. Viele der beliebtesten Videospiele beinhalten explizite Darstellungen von extremer Gewalt. Im öffentlichen Diskurs werden deshalb immer wieder Sorgen laut, dass diese Spiele das Mitgefühl ihrer Spieler*innen abstumpfen lassen, und damit die Hemmschwelle für echte Gewalt herabsetzen könnten. Ob dies tatsächlich so ist, hat nun ein internationales Forschungsteam rund um die Wiener Neurowissenschafter Claus Lamm und Lukas Lengersdorff untersucht.
Die österreichischen und schwedischen Wissenschaftler*innen luden insgesamt 89 erwachsene männliche Versuchspersonen zu der Studie ein. Ein zentrales Auswahlkriterium war, dass die Personen vorher keinen oder nur geringen Kontakt mit gewalttätigen Videospielen gehabt hatten. So konnte sichergestellt werden, dass die Ergebnisse nicht durch unterschiedliche Erfahrungen mit Videospielgewalt beeinflusst werden. In einer ersten experimentellen Untersuchung wurde dann das Basisniveau der Empathie der Versuchspersonen erhoben. Dabei wurden mittels Gehirnscans erfasst, wie die Versuchspersonen darauf reagieren, wenn einer zweiten Person schmerzhafte Elektroschocks verabreicht werden. Danach startete die Videospiel-Phase des Experiments, während der die Versuchspersonen sieben Mal in das Forschungslabor kamen, um für jeweils eine Stunde ein Videospiel zu spielen. Die Teilnehmer der Experimentalgruppe spielten dabei eine höchst gewalttätige Version des Spiels Grand Theft Auto V, und bekamen die Aufgabe, so viele andere Spielfiguren wie möglich zu töten. In der Kontrollgruppe wiederum war jede Gewalt aus dem Spiel entfernt worden, und die Teilnehmer hatten die Aufgabe, Fotos von anderen Spielfiguren zu machen. Nach dem Ablauf der Videospiel-Phase wurden die Versuchspersonen schließlich ein zweites Mal untersucht, um festzustellen, ob sich ihre empathischen Reaktionen verändert hatten.
Die Analyse der Daten zeigte, dass die Videospielgewalt keinen erkennbaren Effekt auf die empathischen Fähigkeiten der Versuchspersonen hatte. Die Reaktionen der Teilnehmer der Experimentalgruppe, welche mit extremen Gewaltdarstellungen konfrontiert waren, unterschieden sich statistisch nicht von jenen der Teilnehmer, die nur Fotos machen mussten. Zudem gab es keine nennenswerten Unterschiede in der Aktivität von Gehirnregionen, die in anderen Studien als mit Empathie zusammenhängend identifiziert worden waren – wie etwa dem anterioren insulären und dem anterioren midcingulären Cortex.
Konnten die Wissenschaftler*innen also zeigen, dass Sorgen über Gewalt in Videospielen unbegründet sind? Die Autor*innen raten von vorschnellen Schlüssen ab. „Gerade weil es um so ein heikles Thema geht, müssen wir bei der Interpretation dieser Ergebnisse sehr vorsichtig sein“, erklärt Erstautor Lukas Lengersdorff, der die Studie im Rahmen seines Doktoratsstudiums durchgeführt hat. „Die Schlussfolgerung kann auf keinen Fall sein, dass gewalttätige Videospiele jetzt endgültig als unschädlich bewiesen sind. Für solche Aussagen fehlen in unserer Studie die Daten“. Laut dem Neurowissenschafter und Statistiker liegt der Wert der Studie vielmehr darin, dass sie einen nüchternen Blick auf frühere Ergebnisse erlaubt. „Ein paar Stunden Videospielgewalt haben keinen nennenswerten Einfluss auf die Empathie von psychisch gesunden, erwachsenen Versuchspersonen. Diesen Schluss können wir eindeutig ziehen. Damit widersprechen unsere Ergebnisse jenen früherer Studien, in welchen negative Effekte schon nach einigen Minuten Spielzeit berichtet wurden“. Dieser Unterschied liege höchstwahrscheinlich daran, dass in den meisten früheren Studien das Spielen des gewalttätigen Videospiels unmittelbar vor der Datenerhebung stattfand. „Mit solchen Versuchsanordnungen lassen sich allerdings die kurzfristigen Effekte von Videospielen nicht von den langfristigen unterscheiden“, erklärt Lengersdorff.
Laut Forschungsgruppenleiter und Co-Autor Claus Lamm legt die Studie damit auch einen neuen Standard für zukünftige Forschung in diesem Gebiet fest: „Für eindeutige Aussagen über die Effekte von gewalttätigen Videospielen braucht es starke experimentelle Kontrolle sowie Längsschnitt-Forschungsdesigns, die kausale Schlussfolgerungen erlauben. Mit unserer Studie wollten wir einen Schritt in diese Richtung machen“. Nun sei es die Aufgabe von weiterer Forschung, zu überprüfen, ob sich auch nach deutlich längerem Kontakt mit Videospielgewalt keine negativen Folgen zeigen – und ob dies auch bei vulnerablen Bevölkerungsgruppen der Fall ist. „Die wichtigste Frage ist natürlich: sind auch Kinder und Jugendliche immun gegenüber Gewalt in Videospielen? Das junge Gehirn ist hoch plastisch, wiederholter Kontakt mit Gewaltdarstellungen könnte daher einen viel größeren Effekt haben. Aber natürlich lassen sich diese Fragen nur schwer experimentell untersuchen, ohne an die Grenzen der wissenschaftlichen Ethik zu stoßen“, so Lamm.
Lukas Lengersdorff, Isabella Wagner, Gloria Mittmann, David Sastre-Yagüe, Andre Lüttig, Andreas Olsson, Predrag Petrovic, & Claus Lamm: Neuroimaging and behavioral evidence that violent video games exert no negative effect on human empathy for pain and emotional reactivity to violence. In eLife, 2023. DOI: 10.7554/eLife.84951
Quellenangabe: Pressemitteilung Universität Wien
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