Phasenabhängige Wortwahrnehmung entsteht durch regionalspezifische Sensitivität für die Statistik der Sprache
04.06.2024 Das Timing unserer Gehirnwellen beeinflusst, wie wir unsere Umwelt wahrnehmen. Wir nehmen Ereignisse eher wahr, wenn ihr Ablauf mit dem Timing der relevanten Gehirnwellen übereinstimmt. Die leitende Wissenschaftlerin Sanne ten Oever und ihre Co-Autoren wollten herausfinden, ob das neuronale Timing auch die Sprachwahrnehmung beeinflusst. Ist die Wahrscheinlichkeit für Sprachlaute oder Wörter in unseren Gehirnwellen kodiert und wird diese Information zur Erkennung von Wörtern verwendet?
Das Team schuf zunächst mehrdeutige Stimuli sowohl für Laute als auch für Wörter. So unterscheiden sich beispielsweise die Anfangslaute von da und ga in ihrer Wahrscheinlichkeit: „d“ ist häufiger als „g“. Die niederländischen Wörter dat „das“ und gat „Loch“ unterscheiden sich auch in der Worthäufigkeit: dat „das“ ist häufiger als gat „Loch“.
Für jedes Stimuluspaar erstellten die Forscher einen gesprochenen Stimulus, der dazwischen lag. Anschließend wurden die Teilnehmer mit jedem zweideutigen Reiz konfrontiert und sollten auswählen, was sie zu hören glaubten (z. B. dat oder gat). Das Team verwendete Magnetoenzephalographie (MEG), um das Timing der Gehirnwellen aufzuzeichnen.
Erregbare Phasen
Die Forscher fanden heraus, dass die Gehirnwellen die Wahrnehmung in Richtung wahrscheinlicherer Klänge oder Wörter lenken, wenn die Reize in einer weniger „erregbaren“ Gehirnwellenphase präsentiert wurden. Die Wahrnehmung wurde auf weniger wahrscheinliche Töne oder Wörter ausgerichtet, wenn die Stimuli in einer „erregbaren“ Hirnwellenphase präsentiert wurden.
Das bedeutet, dass sowohl die Wahrscheinlichkeit eines Ereignisses als auch dessen Timing die Wahrnehmung der Menschen beeinflusst. Gehirnregionen, die klassischerweise mit der Verarbeitung von Sprachlauten bzw. Wörtern in Verbindung gebracht werden, reagierten empfindlich auf die Wahrscheinlichkeit des Auftretens von Lauten bzw. Wörtern. Computergestützte Modellierung bestätigte die Beziehung zwischen neuronalem Timing und Wahrnehmung.
„Wir kommen zu dem Schluss, dass Gehirnwellen eine zeitliche Struktur aufweisen, die die Fähigkeit des Gehirns zur Vorhersage und Verarbeitung von Sprache auf der Grundlage der Wahrscheinlichkeit sprachlicher Einheiten verbessert“, sagt ten Oever. „Vorhersehbare Sprachlaute und Wörter haben eine niedrigere Schwelle für die Aktivierung, und unsere Gehirnwellen spiegeln dies wider. Das Wissen darüber, wie wahrscheinlich etwas ist und um was es sich handelt (welches Phonem oder welches Wort), arbeitet Hand in Hand, um Sprachverständnis zu erzeugen“.
Prädiktive Kodierung
„Unsere Studie hat wichtige Konsequenzen für Theorien der prädiktiven Kodierung“, fügt die Hauptautorin Andrea Martin hinzu. „Wir zeigen, dass der Zeitpunkt (oder die Phase) der Informationsverarbeitung direkte Auswirkungen darauf hat, ob etwas als ein wahrscheinlicheres oder unwahrscheinlicheres Ereignis interpretiert wird, und damit bestimmt, welche Wörter oder Töne wir hören.“
„Auf dem Gebiet der Sprachverarbeitung wurde der Schwerpunkt auf die Rolle der neuronalen Oszillationen bei der Kommunikation gelegt. Wir zeigen jedoch, dass die Eigenschaften der Phasenkodierung auch für die Interpretation von Spracheingaben und die Erkennung von Wörtern genutzt werden.“
© Psylex.de – Quellenangabe: Proceedings of the National Academy of Sciences (2024). DOI: 10.1073/pnas.2320489121