Kognitive Verhaltenstherapie bei Psychosen: Das Ende der Fahnenstange oder ist es Zeit für einen neuen Ansatz?
07.12.2023 Eine Studie der Universität Southampton, in der untersucht wird, wie Psychosen am besten behandelt werden können, kommt zu dem Schluss, dass ein größeres Angebot an individuell zugeschnittenen Therapien die Ergebnisse für die Patienten verbessern könnte.
Die Studie bezweifelt, dass die kognitive Verhaltenstherapie für Psychosen (KVTp) die vorherrschende Behandlung bleiben sollte, und schlägt vor, dass Big Data und künstliche Intelligenz in Zukunft dazu beitragen könnten, eine Reihe von maßgeschneiderten Therapien zu entwickeln.
Die Forscher aus Southampton und Sheffield untersuchten zwei Übersichtsarbeiten, die von anderen Forschern in den Jahren 2019 und 2023 durchgeführt wurden. Eine Übersichtsarbeit ist eine sehr detaillierte Analyse eines breiten Spektrums und einer großen Anzahl von Forschungsarbeiten, die zu Schlussfolgerungen über ein Thema oder eine Frage führen.
Wirksamkeit der KVTp
Das Team nutzte diese aktuellen Übersichtsarbeiten, um die Wirksamkeit der KVTp bei der Behandlung von Psychosen in verschiedenen Personengruppen aus der „Vogelperspektive“ zu betrachten. Die Ergebnisse wurden in der Zeitschrift Psychology and Psychotherapy: Theory, Research and Practice veröffentlicht.
Die Studie kommt zu dem Schluss, dass groß angelegte Analysen von Behandlungsergebnissen auf der Grundlage gepoolter Daten wichtige Nuancen überdecken. Während viele von der KVTp profitieren, erzielen einige Patienten nur bescheidene Ergebnisse, und anderen schadet sie möglicherweise.
Das Team sagt, dass Kliniker durch die Fokussierung auf die therapeutische Beziehung und bestimmte Prozesse – wie Sorgen und vergangene Traumata – in der Lage wären, Menschen effektiver zu helfen.
Sie schlagen auch die Entwicklung großer Datensätze vor, die von hochentwickelten KI-Tools für maschinelles Lernen interpretiert werden, um Entscheidungen über Behandlungen zu unterstützen. Dazu könnte die KVTp neben anderen Ansätzen gehören, z. B. die Arbeit mit der ganzen Familie und der Aufbau informeller Peer-Unterstützungsnetze zu Beginn des Behandlungsprozesses.
Studienautorin Prof. Katherine Newman-Taylor fasst zusammen: „Wir sagen voraus, dass in den nächsten zehn Jahren große, sich ständig weiterentwickelnde Datensätze, die auf der Erfahrung von Patienten beruhen, genutzt werden, um präzise psychologische Therapien zu entwickeln.“
© Psylex.de – Quellenangabe: Psychology and Psychotherapy: Theory, Research and Practice (2023). DOI: 10.1111/papt.12498
News zu: Kognitive Verhaltenstherapie bei Psychose
- Kognitive Verhaltenstherapie bei Psychosen: Das Ende der Fahnenstange oder ist es Zeit für einen neuen Ansatz?
- Frühe kognitive Verhaltenstherapie reduziert Risiko für Psychose
- Ambulante Kognitive Verhaltenstherapie wirksam
- KVT verändert die Gehirnvernetzung bei Psychotikern langfristig
- Weitere News-/Forschungsartikel dazu
Frühe kognitive Verhaltenstherapie reduziert Psychose-Risiko
23.04.2013 Junge Menschen mit einem hohem Risiko für die Entwicklung von Psychosen können ihr Risiko bedeutend reduzieren, wenn sie früher einen Zugang zu kognitiver Verhaltenstherapie bekommen, wie eine neue Untersuchung zeigt.
Verhaltenstherapie wirksam
Forscher der Universität von Manchester fanden heraus, dass sich das Risiko für eine Psychose für diejenigen halbiert, die kognitive Verhaltenstherapie erhielten.
Das Forscherteam analysierte frühere Studien mit 800 Patienten (mit hohem Risiko für die Entwicklung von Psychosen). Die Patienten waren zufällig zwei Gruppen zugeteilt worden:
- Gruppe erhielt kognitve Verhaltenstherapie;
- Gruppe erhielt eine Kontrollbehandlung (die entweder eine übliche oder eine supportive Behandlung beinhaltete).
Risiko für Psychose halbierte sich
Der die Studie führende Dr. Paul Hutton sagte: “Wir stellten fest, dass das Risiko, eine ausgewachsene Psychose zu entwickeln, sich für jene halbierte, die kognitive Verhaltenstherapie bekam (gemessen wurde nach sechs, 12 und 18-24 Monaten nach dem Beginn der Behandlung).
“Es gab keine Hinweise, dass kognitive Verhaltenstherapie Nebenwirkungen hatte, obwohl wir sagen müssen, dass zukünftige klinische Studien dieses gründlicher messen sollten. Unsere Analyse legt auch nahe, dass vorhandene Ansätze kognitiver Verhaltenstherapie angepasst werden müssen: sie sollten mehr die Verbesserung der sozialen und beruflichen Fertigkeiten ins Auge fassen.”
Quelle: University of Manchester, April 2013
Ambulante Kognitive Verhaltenstherapie wirksam
24.01.2016 Eine in der Zeitschrift Journal of Consulting and Clinical Psychology veröffentlichte Studie konnte zeigen, dass ambulante kognitive Verhaltenstherapie (KVT) die Symptome bei Psychotikern verbessern konnte.
Vorherige Studien konnten bereits zeigen, dass KVT in kontrollierten klinischen Settings bei dieser Erkrankung wirksam ist. In der aktuellen Studie wollten die Forscher von den Universitäten Hamburg u. Marburg untersuchen, ob KVT auch effektiv in einem ambulanten Routinesetting eingesetzt werden kann.
In ihrer Studie mit 80 psychotischen Patienten wurden diese zufällig der KVT-Gruppe oder einer Wartegruppe (Kontrollgruppe) zugeteilt. Die von der Krankenkasse bezahlte Behandlung enthielt im Durchschnitt 25 Stunden KVT, wobei in beiden Gruppen die pharmakologische Therapie fortgesetzt wurde.
Positivsymptomatik u. Wohlbefinden
Die Symptome wurden vor, unmittelbar nach und ein Jahr nach der Behandlung gemessen; ebenfalls erfasst wurden Probleme bei der Bewältigung alltäglicher Verrichtungen (Selbstfürsorge und Alltagsbewältigung) und subjektive Änderungen (Lebenszufriedenheit).
Es zeigte sich, dass die Behandlungsgruppe signifikant verbesserte Symptome (Positivsymptomatik und Depressivität) im Vergleich zur Kontrollgruppe aufwiesen. Dazu berichteten über 90% der Patienten über subjektive Verbesserungen und fanden die Behandlung ‘hilfreich oder sehr hilfreich’. Auch berichteten sie über positive Auswirkungen auf ihre Alltagsbewältigung.
Allerding gab es keinerlei Veränderungen bei der Negativsymptomatik.
Die Behandlungseffekte blieben für mindestens ein Jahr stabil.
Studienautorin Tania Lincoln vom Fachbereich für Klinische Psychologie und Psychotherapie an der Uni Hamburg sagte, dass somit auch ambulant eingesetzte Kognitive Verhaltenstherapie bei Psychosen Wirksamkeit gezeigt hätte. Verhaltenstherapeuten können damit Psychotiker in die ambulante Versorgung aufnehmen und Patienten diese Behandlungsoption wählen.
© PSYLEX.de – Quellenangabe: Universität Hamburg, Universität Marburg, Journal of Consulting and Clinical Psychology; Jan. 2016
Kognitive Verhaltenstherapie verändert die Gehirnvernetzung bei Psychotikern langfristig
18.01.2017 Eine neue in Translational Psychiatry veröffentlichte Studie hat zum ersten Mal zeigen können, dass kognitive Verhaltenstherapie (KVT) bestimmte Verbindungen im Gehirn von Menschen mit Psychose stärkt, und dass diese stärkeren Verbindungen mit einer langfristigen Linderung der Symptome und der Genesung acht Jahre später verbunden sind.
Bei Menschen mit psychotischen Symptomen versucht die KVT das Denken über und die Reaktionen zu ungewöhnlichen Erfahrungen, wie z.B. paranoiden Gedanken zu beeinflussen. KVT versucht auch zu Strategien zu verhelfen, die Distress reduzieren und das Wohlbefinden verbessern sollen.
Stärkere Konnektivität
Die Ergebnisse der aktuellen Studie bauen auf frühere Befunde der Forscher vom King’s College London auf, nach denen mit KVT behandelte Psychotiker stärkere Verbindungen zwischen Schlüsselgebieten des Gehirns entwickelten, die an der akkuraten Verarbeitung sozialer Bedrohungen beteiligt sind.
Die neuen Ergebnisse zeigen zum ersten Mal, dass diese Veränderungen auch Jahre später einen Einfluss auf die langfristige Genesung der Betroffenen haben.
In der ursprünglichen Studie wurden die Teilnehmer vor und 6 Monate nach der KVT mit fMRT gescannt. Die KVT-Teilnehmer nahmen bereits Medikamente vor der Studie und wurden mit einer Kontrollgruppe verglichen, die nur ihre Medikamente erhielten.
Die Medikamenten-Gruppe zeigte keine Zunahmen bei der Konnektivität, was nahelegt,
dass die Effekte auf die Gehirnverbindungen der Kognitiven Verhaltenstherapie zugeschrieben werden konnten.
Verlängerung der Studie um acht Jahre
Für die neue Studie wurde die Gesundheit von 15 der 22 KVT-Teilnehmer über acht Jahre medizinisch aufgezeichnet. Am Ende dieser Zeitspanne wurden Genesung und Wohlbefinden bewertet.
Die Ergebnisse zeigen, dass die Konnektivitätszunahmen zwischen mehreren Gehirngebieten – am wichtigsten die Amygdala (dem Bedrohungszentrum des Gehirns) und den Frontallappen (die bei höheren Prozessen des Denkens beteiligt sind) – mit der langfristigen Genesung von der Psychose verbunden sind.
Dies ist das erste Mal, dass mit KVT verbundene Gehirnveränderungen mit der langfristigen Erholung von Psychotikern verknüpft sind.
Verbale Psychotherapien werden vernachlässigt
Studienleiter Dr. Liam Mason vom King’s College London, klinischer Psychologe am Maudsley Krankenhaus, wo die Studie stattfand, sagte, dass physische Anomalien im Gehirn bei psychischen Störungen psychologische Faktoren oder Behandlungen nicht weniger wichtig machen – die Befunde weisen darauf hin.
Aufgrund einer ‘brain bias’ der Kliniker werden jedoch vorrangig Medikamente und weniger psychologische Therapien empfohlen. Dies ist bei der Behandlung von Psychose besonders wichtig: Nur jeder Zehnte der Psychotiker, die von psychologischen Therapien profitieren könnte, bekommt auch eine angeboten, schloss der Psychologe.
Die Forscher wollen nun die Ergebnisse in einer größeren Probe replizieren, und die Veränderungen im Gehirn identifizieren, die die Psychotiker unterscheiden, die von Kognitiver Verhaltenstherapie profitieren bzw. nicht profitieren. Schließlich können die Ergebnisse zu besseren, personalisierten Therapien bei Psychose führen, wenn die Wissenschaftler verstehen, welche Faktoren verbale Psychotherapien erfolgreich machen.
© PSYLEX.de – Quellenangabe: King’s College London, Translational Psychiatry – DOI: 10.1038/tp.2016.263; Jan. 2017
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