Warum sich manche Entscheidungen richtig anfühlen und andere nicht

Warum wir Entscheidungen vertrauen

Warum sich manche Entscheidungen richtig anfühlen und andere nicht

12.01.2022 Forschende um ETH-​Professor Rafael Polanía zeigen erstmals, dass sich Entscheidungen dann richtig anfühlen, wenn wir die Optionen möglichst aufmerksam verglichen haben und uns darüber auch bewusst sind. Dafür braucht es die Fähigkeit zur Introspektion.

Die Entscheidung für den günstigen Gebrauchtwagen fühlt sich gut an. Die Wahl eines leckeren Donuts im Supermarkt lässt uns hingegen zweifeln. Wollten wir uns im neuen Jahr nicht gesünder ernähren? Sollten wir nicht lieber einen Apfel kaufen? Wir alle kennen diese Situationen: Manche Entscheidungen fühlen sich intuitiv richtig an, bei anderen werden wir skeptisch und revidieren sie sogar. Doch woher kommt dieses Gefühl?

Diese Fragen hat ein Team von Forschenden der ETH Zürich und der Universität Zürich unter Leitung von ETH-​Professor Rafael Polanía nun erstmals systematisch erforscht. Auf Basis experimenteller Daten haben die Autoren ein Computermodell entwickelt, das vorhersagen kann, wie sich Person zwischen alternativen Optionen entscheiden und warum sie dieser Wahl vertrauten oder misstrauen.

«Anhand unseres Modells können wir zeigen, dass sich Entscheidungen vor allem dann richtig anfühlen, wenn wir die unterschiedlichen Optionen besonders aufmerksam verglichen haben und uns darüber auch bewusst sind», erklärt Polanía, der das Labor für Neurowissenschaft der Entscheidungsprozesse der ETH Zürich leitet.

Die Fähigkeit, schlechte Entscheidungen zu hinterfragen und rückgängig zu machen, hängt demzufolge davon ab, wie gut wir selbst einschätzen können, ob wir gründlich abgewogen haben oder bei der Entscheidungsfindung abgelenkt waren. Diese Fähigkeit zur Selbstbeobachtung – in Fachkreisen Introspektion genannt – ist eine wichtige Voraussetzung für Selbstkontrolle.

Subjektive Einschätzungen im Labor untersuchen

Beim Vertrauen oder Misstrauen in die eigenen Entscheidungen handelt es sich um subjektive Einschätzungen, die Menschen im Alltag meist automatisch vornehmen und nicht hinterfragen. Um diesen Vorgang systematisch analysieren zu können, haben Polanía und sein Team untersucht, wie Versuchspersonen alltägliche Lebensmittel bewerten und auswählen.

Die 35 Probandinnen und Probanden bewerteten zunächst 64 Produkte aus zwei Schweizer Supermarktketten. Bilder davon wurden ihnen jeweils einzeln am Bildschirm mit der Frage präsentiert, wie sehr sie das Lebensmittel nach dem Experiment gerne essen würden. Anschliessend wurden die Versuchspersonen wiederholt mit zwei Produkten gleichzeitig konfrontiert: Donut oder Apfel, Pizza oder Birne. Sie mussten sich für eines der beiden entscheiden und danach bewerten, wie sehr sie ihrer Entscheidung vertrauen.

Um das Experiment möglichst realitätsnah zu gestalten, mussten die Probandinnen und Probanden die Produkte im Anschluss an das Experiment essen. Sowohl bei der Bewertung als auch der Entscheidung mass ein Augenscanner, ob sie eines der beiden Produkte länger ansahen, wie oft sie von links nach rechts wechselten und wie schnell sie sich entschieden.

Je aufmerksamer, desto größer das Vertrauen

Diese Daten sowie ein ähnlicher Datensatz einer anderen Forschungsgruppe dienten Polanía und seinem Koautor Jeroen Brus dazu, ein Computermodell zu entwickeln, das vorhersagen kann, unter welchen Bedingungen Personen ihren Entscheidungen vertrauen bzw. misstrauen. «Wir haben erkannt, dass sich eine Entscheidung vor allem dann schlecht anfühlt, wenn wir bemerken, dass wir unterschiedliche Optionen nachlässig miteinander verglichen haben», sagt Polanía.

Wie gewissenhaft die Versuchspersonen beim Bewerten und Vergleichen tatsächlich waren, bestimmt das Modell auf Basis der Bewegungsmuster der Augen. Jemand, der immer beide Optionen im Auge behält und sich Zeit lässt, gilt als aufmerksam. Personen hingegen, die sich eher auf ein Produkt fixieren und die andere Option nicht beachten, werden als unaufmerksam angesehen.

Veranschaulichen lassen sich diese Erkenntnisse am besten anhand eines alltäglichen Beispiels: Wenn wir im Supermarkt einen Donut gedankenlos in unseren Einkaufskorb legen, obwohl wir uns eigentlich gesund ernähren wollen, und dann feststellen, dass wir nicht an gesündere Alternativen gedacht haben, sollten wir unserer Entscheidung misstrauen und sie rückgängig machen. Ist uns allerdings bewusst, dass wir sehr wohl an eine Reihe von gesünderen Produkten gedacht haben, diese aber nicht wählen, weil wir den Donut einfach stärker wollen als den Apfel oder die Birne, dann sollten wir unserer Entscheidung vertrauen.

Schlechte Entscheidungen durch Introspektion revidieren

Die Fähigkeit schlechte Entscheidungen zu hinterfragen und guten zu vertrauen, hängt gemäss den Studienautoren massgeblich davon ab, wie bewusst sich ein Mensch über seine subjektiven Bewertungen und Vergleiche nach einer Entscheidung ist. Neurowissenschaftlerinnen und -​Wissenschaftler sprechen in diesem Zusammenhang von Introspektion.

«Nur wenn uns nach einer Entscheidung überhaupt auffällt, dass wir nicht aufmerksam verglichen haben, können wir dieser misstrauen und sie rückgängig machen», betont Polanía. Diese Fähigkeit zur Selbstbeobachtung ist auch für unsere Selbstkontrolle entscheidend. Ohne sie, so der ETH-​Professor, würden wir zum Beispiel unsere Vorlieben für ungesunde Speisen viel unhinterfragter ausleben. Die gute Nachricht ist, dass wir diese Fähigkeit durch Achtsamkeitsübungen und Meditation trainieren können.

Anwendung bei intelligenten Brillen und selbstfahrenden Autos

Laut Polanía könnte das Modell in Zukunft bei intelligenten Brillen zum Einsatz kommen, welche die Bewegungsmuster der Augen messen. «Die Brille würde auf Basis des Modells erkennen, wie aufmerksam wir sind und uns mitteilen, wann wir eine Entscheidung hinterfragen sollten» erklärt der ETH-​Professor.

Eine weitere Anwendungsmöglichkeit sieht Polanía bei selbstfahrenden Autos. Basierend auf einem kontinuierlichen Strom an Daten, die von Sensoren aufgezeichnet werden, treffen die dort zum Einsatz kommenden Algorithmen ständig Entscheidungen. «Unser Modell könnte dabei behilflich sein, Entscheidungen zu bewerten und wo nötig zu revidieren», erklärt der Neurowissenschaftler.

Literaturhinweis

Brus J, Aebersold H, Grueschow M, Polanía R: Sources of confidence in value-​based choice Nature Communications, 12: 7337 (2021) DOI: 10.1038/s41467-​021-27618-5call_made  

Quellenangabe: Pressemitteilung ETH Zürich

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