In Deine Lage versetzen: Impft Perspektivübernahme gegen die Anziehungskraft alternativer Partner?
28.01.2023 Die positiven Auswirkungen, wenn man sich in die Lage eines anderen hineinversetzt, sind allgemein bekannt. Aber kann dies auch in Liebesbeziehungen die Versuchung verringern, fremdzugehen? Ein Psychologenteam der Reichman-Universität in Israel und der Universität von Rochester hat diese Frage in einer Reihe von drei randomisierten Doppelblindversuchen untersucht.
Die Antwort scheint „ja“ zu sein.
Perspektivübernahme – oder sich in die Lage des Partners zu versetzen – verringert nicht nur die Versuchung des Fremdgehens, sondern schützt auch vor anderen partnerschaftszerstörenden Verhaltensweisen laut der im Journal of Sex Research veröffentlichten Studie.
Warum gehen Menschen in Beziehungen fremd?
Laut der Hauptautorin der Studie Gurit Birnbaum, Professorin für Psychologie an Reichmans Ivcher School of Psychology, gehen Menschen aus einer Reihe von Gründen fremd. Birnbaum stellt fest, dass Menschen, die mit ihrer Beziehung zufrieden sind, ihre Partner dennoch betrügen können. So können zum Beispiel sogenannte „vermeidende Typen“ (die sich mit Intimität unwohl fühlen) versuchen, durch Fremdgehen Distanz und Kontrolle in ihrer Beziehung zu wahren.
Der Kontext ist entscheidend.
„Menschen gehen oft nicht fremd, weil sie es geplant haben“, sagt Birnbaum. „Vielmehr bot sich die Gelegenheit, und sie waren zu ausgelaugt – zu müde, zu betrunken, zu abgelenkt – um der Versuchung zu widerstehen.“
Mitautor Harry Reis, Dekan der Fakultät für Kunst, Wissenschaft und Technik in Rochester, stimmt zu, dass es mehrere Gründe für Fremdgehen gibt. Einer der interessanteren Gründe laut Reis ist, dass Männer eher fremdgehen, weil sie das Gefühl haben, dass ihre sexuellen Bedürfnisse nicht erfüllt werden. Es hat sich gezeigt, dass Frauen dagegen eher fremdgehen, weil sie das Gefühl haben, dass ihre emotionalen Bedürfnisse nicht erfüllt werden.
Wie man durch Einfühlungsvermögen die Versuchung zum Fremdgehen verringern kann
Eine Möglichkeit, sich in Empathie (Einfühlungsvermögen) zu üben, ist der Versuch, die Perspektive einer anderen Person einzunehmen. In drei Studien wurden die insgesamt 408 Teilnehmer (213 israelische Frauen und 195 israelische Männer im Alter von 20 bis 47 Jahren) nach dem Zufallsprinzip angewiesen, entweder die Perspektive ihres Partners einzunehmen oder nicht. Die Teilnehmer befanden sich durchweg in monogamen, gemischtgeschlechtlichen Beziehungen von mindestens vier Monaten Dauer.
Im Rahmen der Experimente bewerteten die Teilnehmer attraktive Fremde, begegneten ihnen oder dachten an sie, während die Psychologen ihre Interessenbekundungen an diesen Fremden sowie ihr Engagement für und ihr Verlangen nach ihren derzeitigen Partnern aufzeichneten.
Die Forscher fanden heraus, dass die Übernahme der Perspektive des Partners die Bindung und das Verlangen nach dem Partner erhöhte, während gleichzeitig das sexuelle und romantische Interesse an anderen Partnern abnahm. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Perspektivenübernahme Menschen davon abhält, sich auf Verhaltensweisen einzulassen, die ihre Partner verletzen und ihrer Beziehung schaden könnten.
„Die Perspektivenübernahme hält einen nicht davon ab fremdzugehen, aber sie mindert den Wunsch, es zu tun“, sagt Reis. Letztlich bedeute Fremdgehen, „dass man seine eigenen Ziele über das Wohl des Partners und der Beziehung stellt, und wenn man die Dinge aus der Perspektive der anderen Person betrachtet, erhält man einen ausgewogeneren Blick auf diese Situationen“.
Kurzfristigen Versuchungen widerstehen
Laut Birnbaum können die Ergebnisse den Menschen helfen zu verstehen, wie sie kurzfristigen Versuchungen widerstehen können: „Aktives Nachdenken darüber, wie Liebespartner von diesen Situationen betroffen sein könnten, dient als Strategie, die Menschen dazu ermutigt, ihre Reaktionen auf attraktive alternative Partner zu kontrollieren und ihre Attraktivität zu vermindern.“
Das Team untersuchte nicht, ob die Vorteile der Perspektivübernahme auch für die Liebespartner der Teilnehmer gelten, die nicht am Experiment teilnahmen. Die Forscher haben jedoch die Vermutung, denn Perspektivübernahme fördert im Allgemeinen Empathie, Verständnis, Nähe und Fürsorge.
„Beide Partner fühlen sich möglicherweise zufriedener mit ihrer Beziehung“, sagt Birnbaum, „und sind daher weniger geneigt, einander zu betrügen, selbst wenn nur einer von ihnen diese Strategie anwendet.“
Neben der Verringerung der Wahrscheinlichkeit von Untreue motiviert die Perspektivübernahme die Menschen dazu, Mitgefühl für die Gefühle ihrer Partner zu haben und zu versuchen, die Bindung zu diesem Partner zu stärken, wodurch die bestehende Beziehung gestärkt wird.
„Menschen fühlen sich immer besser verstanden, und das macht es leichter, Meinungsverschiedenheiten zu lösen, angemessen, aber nicht aufdringlich hilfreich zu sein und Freuden und Errungenschaften zu teilen“, sagt Reis. „Das ist eine der Fähigkeiten, die den Menschen helfen können, das ‚Wir‘ in einer Beziehung zu sehen – und nicht das ‚Ich und Du‘.“
© Psylex.de – Quellenangabe: The Journal of Sex Research – DOI: 10.1080/00224499.2022.2150998