Wer einen akuten Infekt hat, kann weniger Mitgefühl für die psychischen Leiden Anderer aufbringen
08.05.2024 Forschende der Universitätsallianz Ruhr haben Einblicke gewonnen, wie sich ein akutes Krankheitsgefühl auf das Einfühlungsvermögen auswirkt. Ihre Studie belegt komplexe Beziehungen dazwischen.
Wenn Menschen krank sind, empfinden sie weniger Empathie für andere als im gesunden Zustand. Das zeigt eine Studie der Ruhr-Universität Bochum und der Universität Duisburg-Essen. Die Forschenden untersuchten das sogenannte Sickness Behavior, einen Prozess, bei dem der Körper seine biologischen Prioritäten im Rahmen eines akuten Infekts neu ordnet. Er wurde bisher hauptsächlich in Zusammenhang mit sozialem Rückzug und sozialer Entfremdung erforscht. Aber wie beeinflusst Krankheit unser Einfühlungsvermögen, unsere Empathie? Die aktuelle Studie wirft ein neues Licht auf die Zusammenhänge zwischen Infekten mit Entzündungen im Körper und der Fähigkeit, den Schmerz anderer mitzufühlen. Das Team aus Bochum und Essen, das im Rahmen der Universitätsallianz Ruhr kooperiert, veröffentlichte seine Ergebnisse am 28. März 2024 in der Fachzeitschrift „Brain, Behavior, and Immunity“.
Provozierter Infekt durch Gabe von bakteriellem Endotoxin
Experimentell können die verschiedenen Facetten des Sickness Behavior durch die Gabe von bakteriellem Endotoxin, kurz LPS für Lipopolysaccharid, ausgelöst werden. Genau diesen Mechanismus machten sich die Forschenden aus Bochum und Essen zu Nutze. Sie verabreichten 52 freiwilligen weiblichen Testpersonen eine niedrige Dosis LPS oder – als Placebo – eine Injektion von Kochsalzlösung. Im Anschluss wurden die Frauen gebeten, verschiedene soziale Interaktionen zu bewerten. Dazu wurden ihnen Bilder von Frauen gezeigt, die entweder körperlichen oder psychischen Schmerzen ausgesetzt oder in einer emotional neutralen Interaktion mit einem männlichen Gegenüber zu sehen waren.
„Die Ergebnisse haben uns überrascht“, schildert Erstautorin Vera Flasbeck vom LWL-Universitätsklinikum Bochum. „Während das Mitgefühl für körperlichen Schmerz bei der LPS- und der Placebo-Gruppe weitgehend gleich war, zeigte sich hingegen für psychischen Schmerz bei den Probandinnen unter LPS-Einwirkung eine signifikant verringerte Empathie.“ Akute Entzündungen führten in der Studie somit dazu, dass Menschen den psychischen Schmerz anderer weniger mitfühlten.
Ergebnisse mit gesellschaftspolitischer Relevanz
„Wir vermuten, dass die verringerte Empathie dazu dient, im Krankheitsfall Energie im Hinblick auf soziales Engagement zu sparen“, erläutert Prof. Dr. Martin Brüne vom LWL-Universitätsklinikum Bochum, der die Studie zusammen mit den Professoren Manfred Schedlowski und Harald Engler vom Institut für Medizinische Psychologie und Verhaltensimmunbiologie der Medizinischen Fakultät der Universität Duisburg-Essen leitete.
„Die Erkenntnisse der Studie deuten darauf hin, dass Entzündungen – wie beispielsweise bei körperlichen Infekten – sowohl unsere körperliche Gesundheit als auch unsere zwischenmenschlichen Beziehungen beeinflussen.“ Das Thema sei gerade vor dem Hintergrund der abgelaufenen Pandemie von allgemeinem Interesse, ergänzt Schedlowski und ordnet ein: „Die Ergebnisse haben unter Umständen gesellschaftspolitische Relevanz. Wie wirkt sich ein allgemeines Krankheitsgefühl beispielsweise auf die Entscheidungsfindung aus, etwa auch in Bezug auf politische Entscheidungen?“
Und ein weiterer Aspekt hat das Forschungsinteresse des interuniversitären Teams geweckt. Bisherige Studien haben gezeigt, dass Individuen mit ansteckenden Krankheiten von Mitgliedern der sozialen Gruppe gemieden, manchmal aber auch umsorgt werden. „Dieses Verhalten zeigt sich vermutlich in Abhängigkeit vom Verwandtschaftsgrad“, so Brüne. „Interessant wäre zu untersuchen, wie Bindung und Vertrautheit die Empathie für Schmerzen beeinflussen.“
Quellenangabe: Pressemitteilung Ruhr-Universität Bochum