Psychologen raten Psychotherapeuten zur Vorsicht bei der Spiegelung von Handlungen oder Worten von Patienten
02.04.2024 Es ist bekannt, dass das Spiegeln von Handlungen oder Wörtern soziale Beziehungen aufbaut und stärkt. Tatsächlich tun viele von uns dies unabsichtlich, wenn wir uns mit jemandem verbinden oder das Gefühl haben wollen, dazuzugehören.
Diese Methode – auch Mimikry genannt – wird seit langem auch in der Psychotherapie angewandt, um Patienten näher zu kommen und ihre Gefühle besser zu verstehen, aber auch um negative Emotionen wie Angst und Depression zu lindern, wenn diese durch Schuldgefühle ausgelöst wurden.
Eine kürzlich in der Open-Access-Zeitschrift Social Psychological Bulletin veröffentlichte Studie aus Polen, die von dem Forscherteam um Paweł Muniak und Prof. Dr. Wojciech Kulesza von der SWPS-Universität in Warschau durchgeführt wurde, kommt jedoch zu recht überraschenden Ergebnissen, die sich auf bisherige Annahmen und deren praktische Umsetzung beziehen. Nach einer Reihe von Befragungen stellte sich heraus, dass die meisten Teilnehmer noch mehr Schuldgefühle empfanden, wenn sie nachgeahmt wurden.
Schuldgefühle
Schuldgefühle sind traditionell ein Thema von großem Interesse für Sozialpsychologen. In der Psychologie spricht man von Schuldgefühlen, wenn Menschen glauben, dass sie gegen eine verinnerlichte moralische oder ethische Norm verstoßen haben, und sich deshalb für ihre Handlungen verantwortlich fühlen. Es ist bekannt, dass sich dieses Gefühl negativ auf das Wohlbefinden einer Person auswirkt, da es zu Zuständen wie Angst, Depression und Selbstbestrafung führt und gleichzeitig die Motivation und das Selbstwertgefühl verringert.
Obwohl Schuldgefühle eine doppelte Natur haben – da sie eine Person auch dazu motivieren können, Verantwortung zu übernehmen, Wiedergutmachung zu leisten, Schaden wiedergutzumachen und Fehler in Zukunft zu vermeiden -, weist das Team darauf hin, dass ihre negativen Folgen für Psychotherapeuten, die ihren Patienten helfen wollen, immer noch ein großes Problem darstellen. Aus diesem Grund beschloss das Team, die Nachahmung – oder das, was manche als „den sozialen Klebstoff“ bezeichnen – im Zusammenhang mit Schuldgefühlen zu untersuchen und ihre möglichen Anwendungen in der Praxis zu erforschen.
Dazu führte das Forscherteam eine Reihe von sechs Umfragen durch. In drei der Umfragen weckten sie bei den Teilnehmern Schuldgefühle, indem sie ihnen vorgaukelten, sie hätten beim Ausfüllen des Fragebogens einen Fehler gemacht, wodurch die Experimentatoren ihre Arbeit verloren. Bei den anderen drei Umfragen ließen die Forscher die Teilnehmer sich an eine reale Situation erinnern, in der sie Schuldgefühle verspürt hatten.
Das Experiment
Anschließend sollten die Teilnehmer an einer Studie teilnehmen, die sie für eine separate Studie hielten, in der sie zu einem nicht verwandten Thema, nämlich dem Bildungssystem in Polen, befragt wurden. Während dieser Interviews wurden die Handlungen der Teilnehmer entweder nachgeahmt oder nicht, wobei in einigen Studien nur ihre Handlungen vom Interviewer übernommen wurden, in anderen nur ihre Worte, und in einer weiteren wurden sie sowohl verbal als auch nonverbal gespiegelt. Am Ende überprüften die Forscher, ob das Schuldgefühl nach dem Interview zu- oder abgenommen hatte.
Die Forscher erwarteten zwar, dass die nachgeahmten Teilnehmer aufgrund des sozialen Bindungsmechanismus eine Erleichterung ihrer Schuldgefühle erfahren würden, stellten aber das Gegenteil fest: Die Teilnehmer, deren Handlungen oder Worte vom Interviewer nachgeahmt wurden, zeigten danach deutlich stärkere Schuldgefühle.
In den Gruppen, in denen die Interviewer die Teilnehmer sowohl verbal als auch nonverbal nachahmten, gab es dagegen geringe bis keine Auswirkungen auf die Schuldgefühle. Hier, so vermuten die Wissenschaftler, könnten die Teilnehmer zu viel Nachahmung erfahren haben: ein Phänomen, das nach früheren Untersuchungen leicht nach hinten losgehen kann.
Tipps für Psychotherapeuten
Die Forscher räumen zwar ein, dass ihre tatsächlichen Ergebnisse ihre ursprüngliche Theorie nicht bestätigten und dass die Teilnehmer gerade wegen des sozialen Bindungsmechanismus der Mimikry verstärkte Schuldgefühle empfanden, da sie motiviert waren, ihre Handlungen wiedergutzumachen und ihre sozialen Beziehungen zu stärken, doch das Forscherteam weist auf eine wichtige Auswirkung ihrer Ergebnisse auf die Praxis von Psychotherapeuten hin.
Tipps für Therapeuten betonen die positiven Ergebnisse, die mit dem Einsatz von Mimikry in therapeutischen Prozessen verbunden sind. Die Ergebnisse dieser Studie deuten jedoch darauf hin, dass die Situation komplexer ist als ursprünglich angenommen, so die Forscher.
„Einerseits kann der Einsatz von Nachahmung bei der psychologischen Betreuung es dem Fachpersonal ermöglichen, einen tieferen Einblick in das Problem des Klienten zu gewinnen und eine engere Beziehung zu ihm aufzubauen. Andererseits zeigt diese Studie, dass Mimikry auch Schuldgefühle verstärken kann. Daher müssen Therapeuten die potenziellen Vor- und Nachteile des Einsatzes von Nachahmung in der Therapie sorgfältig abwägen und ihren Ansatz entsprechend anpassen.“
© Psylex.de – Quellenangabe: Social Psychological Bulletin (2024). DOI: 10.32872/spb.12697
Wenn ich wirklich Schuldgefühle gegenüber Forschenden habe, und ich dann später von anderen psychologisch Forschenden empathisch, fürsorglich, vertrauensvoll, verständnisvoll etc. behandelt werde, ein Eindruck, der durch gute professionelle Spiegelung ja entsteht, bekomme ich ein noch schlechteres Gewissen. Für mich daher ein sehr plausibles Ergebnis!