Eine neurobiologische Studie unterstreicht die Wichtigkeit von sozialem Kontakt im Alltag für die psychische Gesundheit. Gerade mit Blick auf die Pandemie sind die Ergebnisse von besonderer Relevanz.
Sozialer Kontakt im Alltag und menschliches Wohlbefinden
31.05.2021 Forscherinnen und Forscher des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit (ZI) sowie des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) zeigen, dass das psychische Wohlbefinden im Alltag in Gesellschaft anderer Menschen erhöht ist. Dabei weisen Menschen, die mehr von sozialem Kontakt profitieren, eine höhere soziale Kompetenz und eine veränderte Struktur in einem Teil des Vorderhirns auf, der mit Resilienz und Risiko für psychische Erkrankungen assoziiert ist. Die Ergebnisse unterstreichen die Wichtigkeit von sozialem Kontakt im Alltag für die psychische Gesundheit.
Sich den Frust von der Seele reden, gemeinsam lachen, schöne Erlebnisse teilen, oder einfach Zeit miteinander verbringen – Die meisten Menschen fühlen sich in Gesellschaft anderer wohl und suchen den Austausch mit anderen. Auch wissenschaftlich ist gut erforscht, dass soziale Unterstützung einen wichtigen Beitrag zu psychischer und körperlicher Gesundheit leistet. Bisher ist allerdings wenig untersucht, wie das psychische Wohlbefinden mit sozialem Kontakt im alltäglichen Leben zusammenhängt und welche Hirnareale dabei eine Rolle spielen.
Menschen in Gesellschaft fühlen sich wohler
Ein Forscherteam unter der Leitung von Prof. Dr. Dr. Heike Tost und Prof. Dr. Andreas Meyer-Lindenberg, sowie maßgeblicher Beteiligung von Dr. Gabriela Gan und Ren Ma, alle aus der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit (ZI) in Mannheim, konnte nun zeigen, dass der Zusammenhang zwischen sozialem Kontakt im Alltag und psychischem Wohlbefinden mit sozialer Kompetenz und verändertem Volumen im Vorderhirn assoziiert ist. In einer Studie, die in der Fachzeitschrift JAMA Psychiatry veröffentlicht wurde, fanden sie heraus, dass Menschen sich im Alltag wohler fühlen, wenn sie in Gesellschaft anderer Menschen sind, als wenn sie alleine sind.
Dieser Zusammenhang war besonders ausgeprägt bei Menschen, die eine hohe soziale Kompetenz aufweisen, in diesem Fall die Fähigkeit sich in stressigen Situationen soziale Unterstützung zu holen und im Umgang mit anderen Menschen verträglich zu sein. „Außerdem konnten wir zum ersten Mal zeigen, dass Menschen, die mehr von sozialem Kontakt profitieren, ein erhöhtes Hirnvolumen im anterioren cingulären Cortex haben. Dieser Teil des Vorderhirns wird mit der Verarbeitung von Emotionen in sozialen Situationen sowie Resilienz und Risiko für psychische Erkrankungen in Zusammenhang gebracht“, sagt Prof. Dr. Dr. Heike Tost, Leiterin der Arbeitsgruppe Systemische Neurowissenschaften in der Psychiatrie am ZI.
Interdisziplinäres Team kombiniert mehrere Methoden
Das Forscherteam um Tost und Meyer-Lindenberg kombinierte bei der jüngsten Untersuchung mehrere Methoden aus den Bereichen Epidemiologie, Psychologie und Bildgebung des Gehirns. Neben den ZI-ForscherInnen waren Dr. Marco Giurgiu, Jun.-Prof. Dr. Markus Reichert und Prof. Dr. Ulrich Ebner-Priemer, alle vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT), federführend an der Studie beteiligt.
Über einen Zeitraum von sieben Tagen wurde das psychische Wohlbefinden und der soziale Kontakt (alleine oder in Gesellschaft) mit Hilfe wiederholter kurzer Abfragen per Smartphone im Alltag der StudienteilnehmerInnen erfasst. Mit diesen Alltagserhebungsverfahren (Ambulantes Assessment) konnte zunächst in einer Gruppe von 100 Personen gezeigt werden, dass erhöhtes psychisches Wohlbefinden unmittelbar einherging mit sozialem Kontakt.
Das heißt, dass Personen sich wohler fühlen, wenn sie in Gesellschaft sind, als wenn sie alleine sind. Zusätzlich zu den Alltagserhebungsverfahren wurde am ZI bei einer weiteren Gruppe von 177 Per-sonen das Hirnvolumen mit Hilfe von Magnetresonanztomografie erfasst. In dieser Gruppe konnte der Zusammenhang zwischen sozialem Kontakt im Alltag und psychischem Wohlbefinden bestätigt werden.
Zusätzlich konnte in dieser Gruppe gezeigt werden, dass die Personen, die stärker von sozialem Kontakt profitieren, eine höhere soziale Kompetenz (erfasst über Online-Fragebögen) und ein höheres Volumen der grauen Substanz im anterioren cingulären Cortex aufweisen. Dieser Bereich der Großhirnrinde ist wichtig für die Verarbeitung und Einordnung von Gefühlen in sozialen Situationen und spielt auch bei Resilienz und dem Risiko für psychische Erkrankungen eine Rolle.
Förderung von Sozialkontakten für psychische Gesundheit wichtig
Die Erhebung der Studie wurde bereits vor Ausbruch der Covid-19-Pandemie abgeschlossen. Dennoch sind die Ergebnisse besonders in Anbetracht der Pandemie, die geprägt ist von erheblicher Einschränkung der Sozialkontakte und einem erhöhten Auftreten von psychischen Erkrankungen, von großer Relevanz.
„Wir wissen aus vorherigen Studien, dass auch Menschen mit psychischen Erkrankungen, die häufig weniger soziale Kontakte haben, stark von sozialen Kontakten profitieren. Daher ist es wichtig, den Austausch mit Menschen besonders in dieser Gruppe zu fördern“, sagt Dr. Gabriela Gan, eine der Erstautorinnen der Studie.
Die Ergebnisse der Studie deuten unter anderem darauf hin, dass die Entwicklung von wirksamen Präventionsangeboten, etwa eine auf dem Smartphone installierte App, Betroffene ermuntern könnte, regelmäßig positive Sozialkontakte im Alltag zu initiieren.
„Dies könnte langfristig die soziale Unterstützung und somit das psychische Wohlbefinden im Alltag in dieser Gruppe stärken,“ ergänzt Gan. Solange pande-miebedingt Sozialkontakte eingeschränkt bleiben, sind unter anderem Kleingruppen, soziale Medien und virtuelle Möglichkeiten sinnvolle Alternativen für den zwischenmenschlichen Austausch.
Originalpublikation:
Gabriela Gan, Ren Ma, Markus Reichert, Marco Giurgiu, Ulrich Ebner-Priemer, Andreas Meyer-Lindenberg, and Heike Tost: Neural Correlates of Affective Benefit From Real-life Social Contact and Implications for Psychiatric Resilience. JAMA Psychiatry. DOI:10.1001/jamapsychiatry.2021.0560
Quellenangabe: Pressemitteilung Zentralinstitut für Seelische Gesundheit