COVID-19-Studie: Lebenssinn und Selbstkontrolle schützen gegen Stress

22.10.2020 Neben vielen anderen hat die Corona-Krise auch massive psychische Folgen. Aber was hilft Menschen, gut durch diese Zeit zu kommen?

Die Sinnforscherin Tatjana Schnell von der Uni Innsbruck und der Psychologe Henning Krampe von der Charité – Universitätsmedizin Berlin haben dazu eine Studie mit mehr als 1500 Menschen durchgeführt. Eines der Ergebnisse: Sinnerleben ist ein Stresspuffer, Depressivität und Ängstlichkeit sind dennoch signifikant gestiegen.

Bereits zahlreiche Studien haben in den letzten Wochen darauf hingewiesen, dass die Auswirkungen der Coronavirus-Pandemie auf die psychische Gesundheit der Menschen enorm groß sein können und weite Teile der Bevölkerung betreffen. Die Sinnforscherin Prof. Tatjana Schnell vom Existential Psychology Lab am Institut für Psychologie der Universität Innsbruck hat im Frühjahr gemeinsam mit ihrem Kollegen Henning Krampe von der Klinik für Anästhesiologie der Charité Berlin eine umfassende quantitative Studie ins Leben gerufen.

Erste Ergebnisse dieser Untersuchung wurden nun im Journal „Frontiers in Psychiatry“ veröffentlicht. Im Zeitraum von 10. April bis 28. Mai wurden insgesamt 1538 deutschsprachige Personen vor allem aus Österreich und Deutschland in Form von Online-Fragebögen zu ihren Lebensbedingungen, ihrer Wahrnehmung der Pandemie-Situation (COVID-19-Stress) und zu verschiedenen Merkmalen der seelischen Gesundheit befragt.

Das Hauptaugenmerk legte Schnell dabei auf die Aspekte Sinnerfüllung und Selbstkontrolle. Seit 20 Jahren beschäftigt sich die Psychologin bereits mit Fragen des Lebenssinns auf verschiedensten Ebenen und untersucht die Auswirkungen auf die Stabilität der psychischen Gesundheit.

„Wir haben uns in dieser Studie angesehen, welchen Einfluss der Faktor Lebenssinn für die Menschen in der Zeit der restriktiven Lockdowns und danach hatte. Konnten Menschen, die einen starken Sinn in ihrem Leben gefunden haben, besser mit der Situation umgehen?“, sagt Tatjana Schnell.

„Unser zweiter Fokus lag auf der Selbstkontrolle, das heißt auf der Frage, wie gut die Menschen in der Lage waren, ihre Bedürfnisse einzuschränken und an die Ausnahmesituation anzupassen“, so Schnell zu den Zielen der Studie. Generell konnten Schnell und Krampe feststellen, dass ältere Menschen besondere Resilienz zeigen.

Die Daten wiesen darauf hin, dass sie mit deutlich weniger negativen psychischen Konsequenzen zu kämpfen hatten als jüngere Personen: „Das Sinnerleben steigt mit dem Alter an; ältere Menschen sind oft besser in der Lage, Metaperspektiven einzunehmen und profitieren somit auch in ihrer psychischen Stabilität stärker von ihrer Lebenserfahrung“, so die Forscher*innen.

Werte während Lockdown besser als danach

Die ersten, nun publizierten Ergebnisse dieser Studie zeigen deutlich, dass die allgemeine psychische Belastung während der ersten Monate der Pandemie deutlich erhöht war.

„Menschen, die in ihrem Leben einen starken Sinn sahen, berichteten aber insgesamt von einer weniger starken psychischen Belastung. Auch die Fähigkeit der Selbstkontrolle – die im Hinblick auf die Einhaltung der Restriktionen sicherlich eine Ressource darstellt – war dem psychischen Befinden zuträglich.

Beide, Sinnerfüllung und Selbstkontrolle, wirkten als eine Art Puffer: sie schwächten den Zusammenhang zwischen COVID-19-Stress und psychischer Belastung ab“, erläutert Schnell. Interessant war für die Wissenschaftler*innen dabei auch der Verlauf über mehrere Monate gesehen: „Die Probleme waren während des strikten Lockdowns offenbar weniger schlimm als danach.

Die Einführung der Lockerungen hat dann nicht zu einer Verbesserung der psychischen Situation geführt – sondern im Gegenteil.“ Warum das so ist, können auch Schnell und Krampe nur vermuten: „Eine Sorgenquelle sind natürlich wirtschaftliche Einbußen. Darüber hinaus weisen unsere Daten auf einen möglichen Zusammenhang mit der Eindeutigkeit der Situation hin: Während der strengen Ausgangsbeschränkungen war die Lage für alle klar.

Es gab eindeutige Vorgaben und alle waren sozusagen im gleichen Boot. Diese ‚Wir packen das’-Stimmung hat sich für viele Menschen wohl eher positiv ausgewirkt.“ In den Wochen nach den Lockerungen der strikten Ausgangsbeschränkungen registrierten Schnell und Krampe sowohl zunehmende Sinnkrisen und schwerere psychische Belastungen als auch gesunkenes Sinnerleben und Defizite in der Selbstkontrolle.

„Wir gehen davon aus, dass die Selbstkontrolle bereits kurz nach dem Lockdown – aber inzwischen auch gesamtgesellschaftlich gut beobachtbar – deshalb abgenommen hat, weil die Sinnhaftigkeit der Restriktionen weniger deutlich nachvollziehbar ist: In Österreich und Deutschland haben die Maßnahmen so gut funktioniert, dass die Situation (noch) nicht eskaliert ist, was dazu verführt, die Sinnhaftigkeit der Maßnahmen in Frage zu stellen – das sogenannte Präventionsparadox.

Hinzu kommt, dass in den letzten Monaten die Kommunikation durch die Behörden weniger deutlich und nachvollziehbar war. Wenn die Sinnhaftigkeit aber nicht erkennbar ist, ist es für viele Menschen schwer, Selbsteinschränkungen auf Dauer aufrecht zu erhalten“, verdeutlicht Tatjana Schnell.

Appell

Hier appellieren Schnell und Krampe einmal mehr an die Verantwortlichen in der Politik: „Wer eine gesamtgesellschaftliche Akzeptanz anstrebt, sollte auch partizipativ agieren.

Das würde bedeuten, dass Politikgestaltung verschiedene Perspektiven einbezieht, also neben Medizin und Wirtschaft auch Sozial- und Geisteswissenschaften. Darüber hinaus bedeutet demokratische Beteiligung auch die aktive Einbindung von Minderheiten und wesentlicher Interessensgruppen.

Wenn dies gelingt, dann hat Selbstkontrolle weniger mit Gehorsam oder Widerstand zu tun, sondern ist ein mögliches Ergebnis einer informierten persönlichen Entscheidung.“

Quellenangabe: Universität Innsbruck – doi: 10.3389/fpsyt.2020.582352 Link: https://www.frontiersin.org/articles/10.3389/fpsyt.2020.582352/

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