Depression mit kognitiven Defiziten – der kognitive Biotyp

Forscher identifizieren einen kognitiven Biotyp von Depression – Symptome, Verhalten, neuronale Netzwerken und differenzierte Behandlungsergebnisse

Depression mit kognitiven Defiziten – der kognitive Biotyp

25.06.2023 Wissenschaftler der Stanford Medicine führten eine Studie durch, in der eine neue Kategorie von Depression – der sogenannte kognitive Biotyp – beschrieben wurde, der 27 % der depressiven Patienten betrifft und mit den üblicherweise verschriebenen Antidepressiva nicht wirksam behandelt werden kann.

Kognitive Aufgaben zeigten, dass diese Patienten Probleme haben, vorausschauend zu planen, Selbstkontrolle zu zeigen, sich trotz Ablenkung zu konzentrieren und unangemessenes Verhalten zu unterdrücken; die Bildgebung zeigte eine verminderte Aktivität in zwei Hirnregionen, die für diese Aufgaben zuständig sind.

Da Depressionen traditionell als Stimmungsstörungen definiert werden, verschreiben Ärzte in der Regel auf Serotonin abzielende Antidepressiva (sogenannte selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer oder SSRI), die jedoch bei Patienten mit kognitiven Funktionsstörungen weniger wirksam sind. Den Forschern zufolge kann eine gezielte Behandlung dieser kognitiven Störungen mit weniger gebräuchlichen Antidepressiva oder anderen Behandlungen die Symptome lindern und zur Wiederherstellung der sozialen und beruflichen Fähigkeiten beitragen.

Die in JAMA Network Open veröffentlichte Studie ist Teil einer umfassenderen Anstrengung von Neurowissenschaftlern, Behandlungen zu finden, die auf die Biotypen von Depressionen abzielen, so die Hauptautorin der Studie Dr. Leanne Williams, Vincent V.C. Woo Professorin für Psychiatrie und Verhaltenswissenschaften.

Der kognitive Biotyp

In der Studie erhielten 1.008 Erwachsene mit einer zuvor nicht behandelten schweren depressiven Störung nach dem Zufallsprinzip eines von drei häufig verschriebenen typischen Antidepressiva: Escitalopram (Markenname Lexapro) oder Sertralin (Zoloft), die auf Serotonin wirken, oder Venlafaxin-XR (Effexor), das sowohl auf Serotonin als auch auf Noradrenalin wirkt. 712 der Teilnehmer beendeten die achtwöchige Behandlung.

Vor und nach der Behandlung mit den Antidepressiva wurden die depressiven Symptome der Teilnehmer anhand von zwei Erhebungen gemessen – eine von einem Kliniker durchgeführte Erhebung und eine Selbsteinschätzung, die auch Fragen zu Veränderungen in Bezug auf Schlaf und Ernährung enthielt. Auch die soziale und berufliche Funktionsfähigkeit sowie die Lebensqualität wurden erfasst.

Die Teilnehmer absolvierten außerdem vor und nach der Behandlung eine Reihe von kognitiven Tests, bei denen unter anderem das verbale Gedächtnis, das Arbeitsgedächtnis, die Entscheidungsgeschwindigkeit und die anhaltende Aufmerksamkeit gemessen wurden.

Vor der Behandlung untersuchten die Wissenschaftler 96 der Teilnehmer mit Hilfe der funktionellen Magnetresonanztomographie (fMRT), während sie sich mit einer Aufgabe namens „GoNoGo“ beschäftigten, bei der die Teilnehmer so schnell wie möglich eine Taste drücken müssen, wenn sie „Go“ in grün sehen, und nicht drücken dürfen, wenn sie „NoGo“ in rot sehen. Die fMRT verfolgte die neuronale Aktivität durch Messung der Veränderungen des Blutsauerstoffgehalts, was die Aktivitätsniveaus in verschiedenen Gehirnregionen zeigte, die den Go- oder NoGo-Reaktionen entsprechen. Anschließend verglichen die Forscher die Bilder der Teilnehmer mit denen von Personen ohne Depression.

Die Forscher fanden heraus, dass 27 % der Teilnehmer ausgeprägtere Symptome einer kognitiven Verlangsamung und Schlaflosigkeit, eine beeinträchtigte kognitive Funktion bei Verhaltenstests sowie eine verringerte Aktivität in bestimmten Frontalhirnregionen aufwiesen – ein Profil, das sie als kognitiven Biotyp bezeichneten.

Gehirn und Ansprechen auf Antidepressiva

Die fMRT-Untersuchung vor der Behandlung ergab, dass die Teilnehmer mit dem kognitiven Biotyp während der GoNoGo-Aufgabe eine deutlich geringere Aktivität im dorsolateralen präfrontalen Kortex und in den dorsalen anterioren cingulären Regionen aufwiesen als die Teilnehmer ohne den kognitiven Biotyp. Zusammen bilden die beiden Regionen den kognitiven Kontrollschaltkreis, der unter anderem für die Begrenzung unerwünschter oder irrelevanter Gedanken und Reaktionen und die Verbesserung der Zielauswahl verantwortlich ist.

Nach der Behandlung stellten die Forscher fest, dass bei den drei verabreichten Antidepressiva die Gesamtremissionsrate – das Fehlen aller Depressionssymptome – bei den Teilnehmern mit dem neu entdeckten Biotyp bei 38,8 % und bei den Teilnehmern ohne Biotyp bei 47,7 % lag. Am deutlichsten war dieser Unterschied bei Sertralin, wo die Remissionsraten bei den Teilnehmern mit dem Biotyp 35,9 % und bei den Teilnehmern ohne Biotyp 50 % betrugen.

Depression ist nicht für alle gleich

Williams und Hack schlagen vor, dass Verhaltensmessung und Bildgebung bei der Diagnose von Depressionsbiotypen helfen und zu einer besseren Behandlung führen könnten. Ein Patient könnte einen Fragebogen am eigenen Computer oder in der Arztpraxis ausfüllen, und wenn sich herausstellt, dass er einen bestimmten Biotyp aufweist, könnte er zur Bestätigung an eine Bildgebung überwiesen werden, bevor er sich einer Behandlung unterzieht.

Die Forscher wollen nun Studien mit Teilnehmern mit dem kognitiven Biotyp durchführen und dabei verschiedene Arten von Medikamenten mit Behandlungen wie transkranieller Magnetstimulation und kognitiver Verhaltenstherapie vergleichen. Bei der transkraniellen Magnetstimulation (TMS) stimulieren Magnetfelder die Nervenzellen; bei der kognitiven Verhaltenstherapie wird den Patienten beigebracht, Problemlösungsstrategien anzuwenden, um negativen Gedanken entgegenzuwirken, die sowohl zu emotionaler Dysregulation als auch zum Verlust von sozialen und beruflichen Fähigkeiten beitragen.

© Psylex.de – Quellenangabe: JAMA Network Open (2023). DOI: 10.1001/jamanetworkopen.2023.18411

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