Welche Umstände führen Incels dazu, sich einer von Hass und Frauenfeindlichkeit geprägten Gemeinschaft anzuschließen?
20.01.2023 Incels (Kofferwort aus involuntary = ‚unfreiwillig‘, und celibate = ‚sexuell enthaltsam‘, wörtlich: ,zölibatär‘) sind Männer – in erster Linie Cisgender und Heterosexuelle -, die glauben, dass sie keine romantische oder sexuelle Partnerin finden können, obwohl sie sich eine wünschen. Sie machen Frauen und die sexuelle, soziale und wirtschaftliche Befreiung der Frauen für ihren Beziehungsmangel verantwortlich und versammeln sich in Online-Communities, um ihre Ansichten mit Gleichgesinnten zu teilen.
Welche Umstände führen sie dazu, sich einer von Hass und Frauenfeindlichkeit geprägten Gemeinschaft anzuschließen? Welche Ereignisse in ihrem Leben veranlassen sie dazu, sich als Incels zu bezeichnen?
Diese Fragen versucht die Doktorandin Caroline Deli in ihrem Forschungsprojekt zu beantworten, das sie unter der Leitung der Professoren Jean Proulx und Samuel Tanner von der Fakultät für Kriminologie der Universität Montreal durchführt.
Bei der Befragung der Probanden konzentriert sich Deli auf deren Lebenslauf. Ihr Ziel ist es, das Incel-Phänomen zu verstehen und letztlich Wege zu finden, um seine gewalttätigen und nicht-gewalttätigen Auswirkungen zu verringern. Diese Ereignisse reichen von öffentlichkeitswirksamen Massakern bis hin zu alltäglichen Aggressionen, wie dem absichtlichen Übergießen einer Frau mit Kaffee oder dem Zuschlagen einer Tür vor ihrem Gesicht.
Ein sehr negatives Selbstbild
Laut Caroline Deli haben viele Incels ein sehr negatives Selbstbild. Sie geben an, körperlich unattraktiv und sozial unbeholfen zu sein, und berichten von Schwierigkeiten bei sozialen Interaktionen, die sie daran hindern, mit anderen in Kontakt zu treten. Infolgedessen leben sie zölibatär, aber nicht aus freien Stücken.
Sie glauben, dass die Schuld bei den Frauen und den Feministinnen liegt, die die Gesellschaft verändern und das Machtgleichgewicht zu sehr zu Gunsten der Frauen verschoben haben. Incels glauben, dass Frauen bei der Partnerwahl im Vorteil sind und sich nur die attraktivsten, wohlhabendsten Männer mit dem höchsten sozialen Status aussuchen. Infolgedessen hegen Incels eine tiefe Abneigung gegen Frauen, die auf der sozialen Leiter ganz unten stehenende Männer ablehnen, und sie nehmen erfolgreichen Männern ihren Erfolg übel.
Diese Ideologie spiegelt bestimmte soziale Dynamiken zwischen Männern und Frauen wider, die auch heute noch bestehen, so Deli. „Selbst außerhalb dieser Online-Gruppen glauben einige Männer aufrichtig, dass Männer von Frauen schikaniert werden und dass Frauen zu viel Macht erhalten haben“.
Einige dieser Männer gehen in Online-Foren, um ihrer Wut Luft zu machen, und ein gewisser Anteil von ihnen wird radikalisiert.
Online Zuflucht finden
Caroline Deli stellt die Hypothese auf, dass der Weg in Incel-Sein mit dem Leid beginnt, das durch Einsamkeit und das Fehlen einer tiefen menschlichen Verbindung verursacht wird. Männer, die von diesem Schmerz zerfressen werden, finden Zuflucht in einer Online-Support-Community, deren Mitglieder mit denselben Herausforderungen konfrontiert sind und dieselben Ideen vertreten.
So können sie ihrem Hass und ihrer Verzweiflung freien Lauf lassen, was ihnen Erleichterung verschaffen, aber auch ihre negativen Gefühle verstärken kann.
In Online-Foren können anonyme Diskussionen schnell eskalieren, so Deli. „Die Gruppendynamik fördert das Gefühl der Zugehörigkeit und bestärkt sie in ihren Überzeugungen. Die Gewaltaufrufe werden immer lauter, und schließlich reagieren einige Personen mit Taten“.
Die Hoffnung, diese Bedrohung zu entschärfen, hat Caroline Deli dazu veranlasst, sich mit den Lebensläufen und der Psychologie von Incels zu befassen.
„Ich sehe die Konsequenzen dessen, was sie sagen, und die Widersprüche in ihren Ansichten, aber es ist auch klar, dass sie leiden. Als Forscherin versuche ich, einen mitfühlenden Ansatz zu wählen, damit ich ihnen wirklich zuhören und sie verstehen kann, nicht nur das, was sie online schreiben.“
© Psylex.de – Quellenangabe: Université de Montréal’s School of Criminology
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