Autisten sind anfälliger für die negativen physischen und psychischen Folgen von Einsamkeit

03.11.2023 Neue Forschungsergebnisse zeigen, wie intensiv Autisten Einsamkeit empfinden – was im Widerspruch zu dem Klischee steht, dass sie es vermeiden, wichtige soziale Beziehungen zu suchen.
Einsamkeit wirkt sich sowohl bei neurotypischen als auch bei neurodiversen Menschen negativ auf die körperliche und psychische Gesundheit aus, und der Anteil einsamer Menschen ist bei Autisten bis zu viermal höher als bei Gleichaltrigen. Autisten sind auch anfälliger für die negativen physischen und psychischen Folgen von Einsamkeit.
Das soziale Umfeld stellt jedoch oft eine Barriere dar, die es Menschen mit größeren sensorischen Unterschieden erschwert, mit anderen in Kontakt zu treten.
Eine neue in der Fachzeitschrift Autism in Adulthood veröffentlichte Studie untersuchte die Erfahrungen autistischer Menschen und versuchte, nicht nur das Ausmaß der mit der Einsamkeit verbundenen Belastung zu quantifizieren, sondern auch einen qualitativen Einblick in die Einsamkeit autistischer Erwachsener zu geben.
Zu den Autoren gehört Dr. Gemma Williams, Forschungsbeauftragte für öffentliche Gesundheit an der School of Health and Social Care. Sie sagte: „Im quantitativen Teil der Studie deuten unsere Ergebnisse darauf hin, dass sensorische Unterschiede sowohl bei autistischen als auch bei nicht-autistischen Erwachsenen mit größerer Einsamkeit und damit verbundener schlechter psychischer Gesundheit verbunden sind. Dieser Effekt wurde bei autistischen Erwachsenen durch das stärkere Vorhandensein von sensorischen Verarbeitungsunterschieden noch verstärkt.“
Qualitative Studie zur Rolle der Sensorik bei der Einsamkeit
Für den qualitativen Teil der Studie sammelte sie aus erster Hand Erfahrungsberichte von autistischen Erwachsenen über intensive Einsamkeit und die hinderliche Rolle der sensorischen Umgebung, die Stereotypen über autistische Erwachsene mit mangelnder sozialer Motivation widerlegen.
Einer der Teilnehmerinnen erklärte beispielsweise, dass der Wohnort einen großen Einfluss auf die soziale Interaktion haben kann. Sie sagte: „Die Kosten für den öffentlichen Nahverkehr in der Stadt sind wirklich ziemlich hoch und für manche Menschen unerschwinglich. Vor allem, wenn man arbeitslos ist oder in einem befristeten Arbeitsverhältnis steht oder einen Null-Stunden-Vertrag hat, bei dem man nicht weiß, wie viel oder wie viele Stunden man im nächsten Monat bekommen wird“.
Während einer Lebenshaltungskostenkrise kann es für viele Menschen unerschwinglich sein, sich zu Aktivitäten zu treffen, aber autistische Menschen sind besonders gefährdet, da sie häufig finanzielle Ungleichheiten erleben, die nicht nur mit einem Mangel an Beschäftigungsmöglichkeiten und Unterstützung, sondern auch mit dem Zugang zu Sozialleistungen zusammenhängen.
Einsamkeit bei autistischen und nicht-autistischen Erwachsenen mit Stress und schlechter psychischer Gesundheit verbunden
Zusammengenommen bestätigen die beiden Studien des Forscherteams, dass Einsamkeit sowohl bei autistischen als auch bei nicht-autistischen Erwachsenen signifikant mit Gefühlen von Stress und schlechter psychischer Gesundheit verbunden ist.
Darüber hinaus kann das Erleben von sensorischen Unterschieden in einer Welt, in der unterschiedliche sensorische Profile nicht berücksichtigt werden, dazu führen, dass Menschen zunehmend isoliert werden, was wiederum zu Gefühlen der Einsamkeit beiträgt.
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Eine Teilnehmerin beschrieb die Schwierigkeiten, die sie beim Schließen von Freundschaften hatte: „Manchmal habe ich Schwierigkeiten, ein Gespräch zu führen oder verstanden zu werden, weil ich nicht den gleichen Denkprozess habe. Das macht es manchmal seltsam, und die Leute fragen sich: ‚Was sagst du da?‘ oder ‚Ich kann nicht verstehen, was du meinst?'“
Ein anderer fügte hinzu: „Ich versuche, auf andere zuzugehen, ich versuche, meine Leute zu finden, aber es fühlt sich immer noch ein bisschen hoffnungslos an.“
Da sensorische Unterschiede in der autistischen Gemeinschaft besonders häufig vorkommen, können sie andere gesellschaftliche, soziale und affektive Faktoren verstärken, was letztlich zu mehr Einsamkeit und damit verbundenen Problemen führt.
Williams fügte hinzu: „Unsere Forschung hat gezeigt, wie schmerzhaft Einsamkeit von autistischen Erwachsenen oft erlebt wird. Wir kommen zu dem Schluss, dass zur Ermöglichung einer sinnvollen und integrativen sozialen Interaktion eine echte gesellschaftliche Anstrengung erforderlich ist, um Räume zu schaffen, die die sensorischen Bedürfnisse aller Neurotypen berücksichtigen.“
© Psylex.de – Quellenangabe: Autism in Adulthood (2023). DOI: 10.1089/aut.2022.0062
Ich kann das maximal nachvollziehen. Ich weiß erst seit einem Jahr, dass ich Asperger Autistin bin. Ich bin 56 Jahre alt. Ich hatte nie Freunde – also keine engen Freunde, so, wie ich es oft um mich herum erlebt habe.
Ich habe mich schon als Kind oft einsam gefühlt ohne zu wissen, dass es sich bei diesem schweren Gefühl um Einsamkeit handelt. Ich hatte ein paar „Spielgefährtinnen“ aber ich hatte nie ein Gefühl von Freundschaft. Ich habe mir gewünscht mein Meerschweinchen könnte sprechen, damit ich mich mit ihm unterhalten kann. Ich weiß im Grunde bis heute nicht, wie sich Freundschaft anfühlt. Ich habe so viele Enttäuschungen erlebt, die genau dazu geführt haben: Zu einem kompletten Ausnahmezustand bei mir von dem ich mich nur langsam jeweils erholen konnte. Ich habe mich immer bis zum Erbrechen versucht, anzupassen – wenn ich denn mal den Mut hatte, mich auf jemanden oder andere einzulassen. Aber es ging nie – dazu noch Vorwürfe dass es an mir liegt – es ist furchtbar. Und nach dem Tod meines Vaters ist es ganz schlimm. Ich habe nur noch meinen Mann und weiß, dass ich ohne ihn nicht leben kann. Nicht, weil ich ihn „ungesund“ stark liebe – sondern weil er mein Vertrauter ist, seit 27 Jahren. Ich würde einen anderen Menschen in meiner Nähe nicht mehr ertragen. Wenn ich jemanden liebe und endlich vertraue, dann ist meine Bindung extrem an diesen einen Menschen bzw. die Menschen, wenn es eine Familie ist. Ich mache gerne etwas alleine – sehr gerne. Und ich war auch in meinen Mann richtig dolle verliebt – ich verstand damals gar nicht, warum ich plötzlich nicht mehr „klar denken“ konnte, in seiner Nähe. Ich dachte sogar: Herrgott – hört dieses Gefühl mal auf ? Ich kann ja gar nicht mehr klar denken. Also ja – ich kann lieben – so sehr, dass es weh tut. Als mein Vater starb bin ich fast wahnsinnig geworden vor Trauer. Ebenso bei meiner Mutter, die vor zig Jahren einen tödlichen Unfall hatte.
Wenn ein Mensch mir glaubhaft versichert, dass dieser mich liebt und ich auch Gefühle beginne, für diesen Menschen zu entwickeln, dann fühle ich mich komplett verantwortlich für diesen Menschen. Ich würde sehr viel tun, um diesem Menschen zu helfen, wenn es ihm gesundheitlich schlecht geht. Bei emotionalen Problemen kann ich nicht helfen. Ich würde recherchieren, ihn zu Ärzten begleiten, um die bestmögliche Behandlung für ihn zu finden. Was in meinen Augen nur einfach logisch ist. Und doch musste ich lernen, dass Menschen oft wenig rational handeln und es vorziehen, über ihre Krankheiten zu reden anstatt zu handeln. Mein Papa war nicht so – und ich denke, ich habe den Asperger Autismus von ihm geerbt. Heute weiß ich, warum er und ich tatsächlich ein Herz und eine Seele waren – obwohl nicht alles toll war bei ihm. Im Gegenteil.
Ich habe mich in der Gegenwart anderer Menschen oft einfach „falsch“ gefühlt. Ich bin ziemlich intelligent. Und habe doch immer unter meinen Fähigkeiten gelebt- weil ich nie verstand, warum mich vieles überfordert – so sehr überfordert, dass ich seit langem unter Depressionen leiden. Zudem habe ich noch ADHS. Was für eine gequirlte Kacke. Und auch das ADHS wurde bei mir erst vor einem Jahr diagnostiziert- und ich bekomme endlich ein Medikament dagegen. Ich wollte die Jahre davor oft einfach nur noch einschlafen und nie wieder aufwachen. Die Diagnose war eine Befreiung. Das ADHS Medikament war eine Befreiung. Ich bin nicht „falsch“. Wenn ich das ADHS Medikament nehme, fühle ich mich weniger einsam. Kein Antidepressivum hat das jemals „geschafft“. Ich will frei sein, ohne einsam zu sein. Ich brauche einen Heimathafen – meinen Mann – aus dem ich „auslaufen“ und wieder „hineinshippern“ kann wenn ich es brauche.
Ich wünschte mir so sehr ein zwei weitere Menschen, die mir diese Sicherheit geben – aber die gibt es nicht. Ich habe überhaupt kein Problem damit, „Smalltalk“ zu führen – mit wildfremden Menschen – meist älteren – oder auch jüngeren – es ist für den Moment auch teilweise interessant, aber es langweilt mich eben oft auch schnell, wenn die Themen nicht interessant sind. Und irgendwie verstärkt es auf Dauer das Gefühl, nirgends dazugehören. Ja – man müsste wirklich mehr Angebote schaffen für neurodiverse Menschen. Ich nehme Emotionen anderer Menschen extrem wahr. Und oft gefällt mir nicht, was ich da spüre. Zum Beispiel „Falschheit“.
Also habe ich beschlossen, das Leben so gut es geht mit meinem Mann und meinem Hund zu genießen, solange er lebt – und dann eben auch irgendwie die Welt zu verlassen. Nicht umsonst sagt man: Es kommt nicht auf die Dauer des Lebens an sondern auf die Lebensqualität . Ich enge meinen Mann nicht ein – im Gegenteil. Er kann im großen und ganzen machen, wass er will – solange es weder ihm noch mir elementar schadet.
Ja – vermutlich müsste das nicht sein – wenn man zum einen Menschen mit Depressionen gründlicher „screenen“ würde – gerade Frauen – und zum anderen mehr Angebote schaffen würde. Ich denke, dass viel mehr Menschen mit ADHS und oder Asperger Autismus „herumlaufen“, ein Leben lang unglücklich sind, sich falsch fühlen innerlich, als die Wissenschaft es vermutet. Und das ist einfach nur traurig.
Ich führe meine Einsamkeit auch zum Großteil auf meinen Autismus zurück. Was mich einsam macht, ist sind die Unterschiede in der Art zu kommunizieren. Diese führen erstens dazu, dass ich oft als anstrengender Gesprächspartner empfunden werde, und anstrengende Leute werden meistens nicht gemocht. Sogar im Gespräch mit anderen Autisten kann es zu Inkompatibilität kommen, wenn zwar die Kommunikationsweise sich ähnelt, aber die Themen, für die man Vorlieben hat und über die man gerne viel redet, unterschiedliche sind. Zweitens entstehen mit nichtautistischen Leuten Missverständnisse, weil Verhaltensweisen, die für mich Ausdruck tiefer Zuneigung sind, im deren Verhalten oft zum alltäglichen kollegialen Umgangston gehören. Eigentlich müsste ich das längst verinnerlicht und meine Wahrnehmung entsprechend angepasst haben, aber es ist einfach zu absurd. Also muss ich damit rechnen, wahrscheinlich immer wieder in schmerzhafte Missverständnisse zu geraten. Was nichtautistische Leute betrifft, da kann es geschehen, dass man in jemanden verliebt ist und die abweisenden Signale nicht versteht sondern nur die höflich gemeinten freundlichen. Oder dass man plötzlich eine enge Freundschaft verliert, ohne dass die Person eine Aussprache akzeptiert, in der man einander ausreichend erklären und verstehen könnte, was eigentlich los ist, und man erfährt dann aus dem gemeinsamen Umfeld, dass die betreffende Person den Umgang wohl weniger als Freundschaft, sondern eher als von Mitleid geleitetes Betreuungsverhältnis verstand, das ihr irgendwann zu viel wurde. All solche Missverständnisse im Bezug auf Zwischenmenschliche Zuneigung sind so ziemlich das beschissenste, das man erleben kann. Das führt zu akuten emotionalen Extremzuständen (Meltdown/Shutdown), die sich, vor allem, wenn die Sache unversöhnlich bleibt, zu lang anhaltenden Depressionen auswachsen können. Das nimmt mir den Mut, auf Menschen zuzugehen. Der ist sowieso schon eher gering ausgeprägt, weil ich für viele Menschen erst dann Sympathie empfinden kann, wenn sie mir bereits mindestens ein bisschen bekannt sind. Gezielt völlig unbekannte Personen kennenzulernen, wäre zwar vielleicht ein sinnvolles Mittel gegen meine Vereinsamung, widerstrebt mir aber wegen der Unberechenbarkeit dessen, was da auf mich zukäme, wenn ich mich mit mir gänzlich fremden Menschen abgäbe. Zumal Missverständnisse da noch viel wahrscheinlicher sind als bei Leuten, die man schon kennt.