Emotionsregulation verbunden mit pathologischem Altern

Negative sozio-emotionale Ereignisse führen bei älteren Menschen zu einer anhaltenden Veränderung der Gehirnnetzwerke im Ruhezustand

Emotionsregulation verbunden mit pathologischem Altern

14.01.2023 Negative Emotionen, Angst und Depressionen stehen im Verdacht, das Auftreten von neurodegenerativen Erkrankungen und Demenz zu fördern. Doch wie wirken sie sich auf das Gehirn aus und können ihre schädlichen Auswirkungen begrenzt werden?

Neurowissenschaftler der Universität Genf (UNIGE) beobachteten die Gehirnaktivität junger und älterer Erwachsener, während diese mit dem psychischen Leiden anderer konfrontiert wurden. Die neuronalen Verbindungen der älteren Erwachsenen wiesen eine beträchtliche emotionale Trägheit auf: Negative Emotionen veränderten sie übermäßig und über einen langen Zeitraum hinweg, insbesondere im hinteren cingulären Kortex und in der Amygdala, zwei Hirnregionen, die stark an der Steuerung von Emotionen und am autobiografischen Gedächtnis beteiligt sind.

Diese in Nature Aging veröffentlichten Ergebnisse deuten darauf hin, dass ein besserer Umgang mit diesen Emotionen – beispielsweise durch Meditation – dazu beitragen könnte, die Neurodegeneration zu begrenzen.

Frühere Studien in der Psychologie haben gezeigt, dass die Fähigkeit, Emotionen schnell zu verändern, für die psychische Gesundheit von Vorteil ist. Umgekehrt sind Menschen, die ihre Emotionen nicht regulieren können und lange in demselben emotionalen Zustand verharren, einem höheren Risiko für Depressionen ausgesetzt.

Die aktuelle Studie wollte herausfinden, welche zerebralen Spuren nach dem Betrachten von emotionalen Szenen zurückbleiben, um die Reaktion des Gehirns und vor allem seine Erholungsmechanismen zu bewerten. Die Forscher haben sich auf ältere Erwachsene konzentriert, um mögliche Unterschiede zwischen normalem und pathologischem Altern zu erkennen, sagt Patrik Vuilleumier, Professor am Fachbereich für Neurowissenschaften an der Medizinischen Fakultät und am Schweizerischen Zentrum für Affektive Wissenschaften der University of Geneva, der diese Arbeit mit geleitet hat.

Nicht alle Gehirne reagieren gleich

Die Wissenschaftler zeigten Freiwilligen kurze Fernsehclips, die Menschen in einem emotionalen Leidenszustand zeigten – z. B. bei einer Naturkatastrophe oder in einer Notsituation – sowie Videos mit neutralem emotionalem Inhalt, um ihre Gehirnaktivität mittels funktioneller MRT zu beobachten. Zunächst verglich das Team eine Gruppe von 27 Personen im Alter von über 65 Jahren mit einer Gruppe von 29 Personen im Alter von etwa 25 Jahren. Das gleiche Experiment wurde dann mit 127 älteren Erwachsenen wiederholt.

„Ältere Menschen zeigten im Allgemeinen ein anderes Muster der Gehirnaktivität und der Konnektivität als jüngere Menschen“, sagt Sebastian Baez Lugo, Forscher im Labor von Patrik Vuilleumier und Erstautor dieser Arbeit.

„Besonders auffällig ist dies beim Aktivierungsgrad des Default-Mode-Netzwerks, einem Gehirnnetzwerk, das im Ruhezustand stark aktiviert ist. Seine Aktivität wird häufig durch Depression oder Angst gestört, was darauf hindeutet, dass es an der Emotionsregulation beteiligt ist. Bei den älteren Erwachsenen zeigt ein Teil dieses Netzwerks, der hintere cinguläre Kortex (der das autobiografische Gedächtnis verarbeitet) eine Zunahme seiner Verbindungen mit der Amygdala, die wichtige emotionale Reize verarbeitet. Diese Verbindungen sind bei Personen mit hohen Angstwerten, mit Grübeln oder mit negativen Gedanken stärker ausgeprägt.“

Empathie und Älterwerden

Ältere Menschen neigten jedoch zu einer besseren Emotionsregulation als jüngere und konnten sich leichter auf positive Details konzentrieren, selbst während eines negativen Ereignisses. Veränderungen in der Konnektivität zwischen dem posterioren cingulären Kortex und der Amygdala könnten jedoch auf eine Abweichung vom normalen Alterungsphänomen hinweisen, die bei Menschen, die mehr Angst, Grübeln und negative Emotionen zeigen, besonders ausgeprägt ist.

Der posteriore cinguläre Kortex ist eine der Regionen, die am stärksten von Demenz betroffen sind, was darauf schließen lässt, dass das Vorhandensein dieser Symptome das Risiko einer neurodegenerativen Erkrankung erhöhen könnte.

„Ist es eine schlechte Emotionsregulierung und Angst, die das Demenzrisiko erhöht, oder ist es andersherum? Das wissen wir noch nicht“, sagt Sebastian Baez Lugo.

„Unsere Hypothese ist, dass ängstlichere Menschen keine oder eine geringere Fähigkeit zur emotionalen Distanzierung haben. Der Mechanismus der emotionalen Trägheit im Zusammenhang mit dem Altern wäre dann dadurch zu erklären, dass das Gehirn dieser Menschen in einem negativen Zustand ‚eingefroren‘ bleibt, indem sie das Leiden anderer mit ihren eigenen emotionalen Erinnerungen in Verbindung bringen.“

Könnte Meditation eine Lösung sein?

Könnte man Demenz verhindern, indem man auf den Mechanismus der emotionalen Trägheit einwirkt? Das Forscherteam führt derzeit eine 18-monatige Interventionsstudie durch, um die Auswirkungen des Fremdsprachenlernens einerseits und der Meditationspraxis andererseits zu untersuchen.

„Um unsere Ergebnisse weiter zu verfeinern, werden wir auch die Auswirkungen von zwei Arten der Meditation vergleichen: Achtsamkeit, die darin besteht, sich in der Gegenwart zu verankern, um sich auf die eigenen Gefühle zu konzentrieren, und die sogenannte „mitfühlende“ Meditation, die darauf abzielt, positive Gefühle gegenüber anderen aktiv zu verstärken“, fügen die Autoren hinzu.

© Psylex.de – Quellenangabe: Nature AgingDOI: 10.1038/s43587-022-00341-6

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