Größeres Einfühlungsvermögen verbunden mit höherem Alkoholkonsum
02.06.2023 Menschen, die an einem bestimmten Tag mehr affektive Empathie (Einfühlungsvermögen) empfanden, als für sie typisch war, tranken wahrscheinlich mehr Alkohol als üblich laut einer in Alcohol: Clinical and Experimental Research veröffentlichten Studie. Bemerkenswert ist, dass diese täglichen Verschiebungen beim Grad der affektiven Empathie mit der Anzahl der konsumierten Getränke zusammenhingen, selbst wenn man die täglichen Verschiebungen bei den positiven und negativen Emotionen berücksichtigte.
Dies bedeutet, dass der Zusammenhang zwischen affektiver Empathie und Alkoholkonsum nicht durch Veränderungen der emotionalen Verfassung erklärt werden konnte. Insgesamt deuten die Ergebnisse darauf hin, dass die täglichen Veränderungen bei der affektiven Empathie einer Person für das Verständnis des Alkoholkonsums wichtig sein könnten.
Affektive und kognitive Empathie
Die Forscher wollten untersuchen, wie zwei Facetten der Empathie den Alkoholkonsum einer Person motivieren können. Die Forscher untersuchten insbesondere die affektive Empathie, die sich auf die Fähigkeit bezieht, den emotionalen Zustand einer anderen Person zu teilen, und die kognitive Empathie, die sich auf die Fähigkeit bezieht, die Perspektive oder die emotionale Verfassung einer anderen Person zu verstehen.
Im Gegensatz zu früheren Forschungsarbeiten, die sich fast ausschließlich auf die Empathieeigenschaften (die allgemeine Tendenz einer Person, in verschiedenen Situationen Empathie zu zeigen) bezogen, befasste sich diese Studie mit der Zustandsempathie, d. h. der Variabilität der Empathie einer Person als Reaktion auf ihre zwischenmenschlichen Interaktionen im Alltag.
Für die Studie baten die Forscher knapp fünfhundert erwachsene Alkoholkonsumenten, zu verschiedenen Zeiten des Tages Fragen auf ihren Smartphones zu beantworten, um ihre affektive und kognitive Empathie als Reaktion auf bestimmte soziale Interaktionen zu messen und zu ermitteln, wie viel positive (z. B. entspannt, glücklich) und negative (z. B. nervös, traurig) Emotionen sie empfanden. Die Teilnehmer wurden auch nach der Menge an Alkohol gefragt, die sie an diesem Tag konsumiert hatten.
Der Alkoholkonsum
Die Studie ergab, dass Personen an Tagen, an denen sie ein überdurchschnittlich hohes Maß an affektiver Empathie angaben, mehr alkoholische Getränke konsumierten. Außerdem tranken Teilnehmer mit einem höheren positiven Affekt an einem gegebenen Tag mit geringerer Wahrscheinlichkeit Alkohol.
Mit zunehmendem Tagesniveau des positiven Affekts stieg jedoch die Wahrscheinlichkeit, Alkohol zu trinken und mehr zu trinken, während der negative Affekt den Alkoholkonsum nicht beeinflusste. Bemerkenswert ist, dass kein signifikanter Zusammenhang zwischen der kognitiven Empathie auf Tagesebene und dem Alkoholkonsum festgestellt werden konnte, was darauf hindeutet, dass die affektive Empathie bei der Erklärung des Alkoholkonsums eine wichtigere Rolle spielt.
Diese Ergebnisse zur affektiven Empathie stehen im Gegensatz zu früheren Studien, in denen festgestellt wurde, dass ein geringeres Maß an Empathie mit höherem Alkoholkonsum und -problemen verbunden ist. Die Forscher spekulierten, dass die abweichenden Ergebnisse auf Unterschiede bei der Bewertung der Empathie zurückzuführen sein könnten.
Insbesondere berichteten die Teilnehmer dieser Studie über ihren Empathiegrad in Echtzeit und über bestimmte soziale Interaktionen, anstatt Fragebogen über ihre typische (d. h. charakteristische) Empathie auszufüllen, wie es in früheren Studien der Fall war. Die Forscher wiesen jedoch darauf hin, dass weitere Forschungen erforderlich sind, um dies zu bestätigen.
Die Autoren der Studie wiesen auch auf die rassisch homogene Stichprobengruppe und die kurze Dauer des Protokolls als Einschränkungen der Studie hin und empfahlen, dass weitere Forschungen die Mechanismen und individuellen Unterschiede untersuchen sollten, die den Zusammenhang zwischen höherer affektiver Empathie und erhöhtem Alkoholkonsum beeinflussen könnten.
© Psylex.de – Quellenangabe: Alcohol: Clinical and Experimental Research (2023). DOI: 10.1111/acer.15056
News zu Empathie (Einfühlungsvermögen) und Alkoholkonsum
- 02.06.2023 Größeres Einfühlungsvermögen verbunden mit höherem Alkoholkonsum
- 13.09.2020 Die Gehirne von Alkoholtrinkern müssen härter arbeiten, um Empathie für andere zu empfinden
Die Gehirne von Alkoholtrinkern müssen härter arbeiten, um Empathie für andere zu empfinden
13.09.2020 Eine Studie der University of Sussex zeigt, dass alkoholtrinkende Menschen weitreichendere Hirnfunktionsstörungen aufweisen als bisher angenommen.
Die in NeuroImage: Clinical veröffentlichte Untersuchung zeigt, dass das Gehirn von Rauschtrinkern sich mehr anstrengen muss, um Empathie (Mitgefühl) für die Schmerzen anderer Menschen zu empfinden.
Rauschtrinken wird definiert als: Trinken von 60 g reinen Alkohol (entspricht etwa drei Viertel einer Flasche Wein oder etwa 1,4 Liter Bier) bei mindestens einer Gelegenheit in den letzten 30 Tagen; etwa 30% aller Erwachsenen (über 15 Jahre) erfüllen dieses Kriterium in vielen Ländern Westeuropas.
An der Studie nahmen 71 Teilnehmer (aus Frankreich und dem Vereinigten Königreich) teil, deren Gehirnaktivität in fMRT-Scannern beobachtet wurde, während sie eine Aufgabe zur Schmerzwahrnehmung durchführten. Die Hälfte dieser Personen wurde als Binge-Trinker (Rauschtrinker) eingestuft, die andere Hälfte nicht. Die Rauschtrinker waren nüchtern, während sie beobachtet wurden.
Bei der Aufgabe wurde den Teilnehmern ein Bild eines verletzten Körpertels gezeigt, und sie sollten versuchen sich vorzustellen, dass es sich entweder um ihr eigenes Körperteil oder um das einer anderen Person handelte, und angeben, wie viel Schmerz sie mit dem Bild verbinden (Empathie-Aufgabe).
Die Teilnehmer, die Alkohol bis zum Rausch tranken, hatten mehr Mühe als die nicht-trinkenden Teilnehmer, wenn sie versuchten, die Perspektive einer anderen Person einzunehmen, die den Schmerz empfindet: Sie nahmen sich mehr Zeit, um darauf zu reagieren, und die Scans zeigten, dass ihr Gehirn (s.a. Alkohol und das Gehirn) härter arbeiten und mehr neuronale Ressourcen nutzen musste, um zu erkennen, wie intensiv eine andere Person Schmerzen empfinden würde.
Die Studie offenbarte auch eine weiter verbreitete Funktionsstörung als bisher angenommen; ein visuelles Areal des Gehirns, das an der Erkennung von Körperteilen beteiligt ist, zeigte bei den Alkohol-Trinkern ungewöhnlich hohe Aktivierungswerte. Dies traf bei den Nicht-Binge-Trinkern nicht zu, die sich die gleichen Bilder ansahen.
Als die Alkoholtrinker gebeten wurden, sich den verletzten Körperteil auf dem Bild als ihren eigenen vorzustellen, unterschied sich ihre Schmerzeinschätzung nicht von der der nichttrinkenden Personen.
Ein geringeres Empathievermögen bei Rauschtrinkern kann das Trinken von Alkohol fördern, da es die Wahrnehmung des eigenen Leidens oder des Leidens anderer während eines Trinkgelages abschwächen kann, kommentiert Studienautorin Theodora Duka vom Fachbereich Psychologie der University of Sussex.
Im Alltag bedeutet dies, dass sich an Saufgelage beteiligende Alkoholtrinker empathische Probleme bekommen können. Es ist nicht so, dass Binge-Trinker weniger Einfühlungsvermögen empfinden – es ist nur so, dass sie mehr Gehirnressourcen einsetzen müssen, um dies zu erreichen. Unter bestimmten Umständen, wenn die Ressourcen begrenzt sind, kann es für Rauschtrinker jedoch schwierig sein, eine empathische Reaktion gegenüber anderen zu entwickeln, schreibt Studienautorin Charlotte Rae.
© PSYLEX.de – Quellenangabe: NeuroImage: Clinical (2020). DOI: 10.1016/j.nicl.2020.102322