Kognitionswissenschaftler weisen Kommunikationsfähigkeiten von Menschen im REM-Schlaf nach
19.02.2021 Mit schlafenden Versuchspersonen lassen sich komplexe Nachrichten austauschen. Das haben Wissenschaftler des Instituts für Kognitionswissenschaft der Universität Osnabrück gemeinsam mit internationalen Kolleginnen und Kollegen jetzt in Studien gezeigt.
„Wir konnten nachweisen, dass schlafende Menschen nicht komplett von der Wachwelt abgeschottet sind. Sie können im Schlaf sogar Morse-kodierte Matheaufgaben lösen und willentlich Fragen wie ‚Magst du Schokolade?‘ beantworten, ohne dabei aufzuwachen“, sagt Dr. Kristoffer Appel von der Uni Osnabrück. Das Journal Current Biology veröffentlicht die Ergebnisse in seiner Ausgabe vom 18. Februar 2021.
„Träume entführen uns in eine andere Realität, eine halluzinatorische Welt, die sich ebenso real anfühlt wie jede wache Erfahrung“, erklärt Appel. „Diese oft bizarren Episoden sind sinnbildlich für den menschlichen Schlaf, aber noch nicht hinreichend verstanden. Retrospektive Traumberichte wiedererwachter Menschen unterliegen der Verzerrung und dem Vergessen, was eine grundlegende Herausforderung für wissenschaftliche Untersuchungen des Träumens darstellt.“ Die Methode des Interactive Dreaming, also der geleitete Austausch zwischen einer träumenden und einer wachen Person, ebnet als vielversprechender Ansatz neuen Forschungen den Weg.
Die kognitionswissenschaftliche Studie zeigt, dass Personen, die sich während des REM-Schlafes ihres Traumzustandes bewusst waren, in der Lage waren, die Fragen eines Experimentators zu verstehen und ihm Antworten geben. Die Forscher machten sich dabei den Effekt zunutze, dass Wachwelt-Stimuli wie Töne, Lichtblinks und Tappen auf den Handrücken teilweise in Träume inkorporiert werden, d.h. dort direkt oder indirekt eingebaut werden und vom Träumer erkannt werden können. Die Antworten auf die Fragen gaben die Versuchspersonen über Augenbewegungen oder Kontraktionen der Gesichtsmuskel – auch dies lässt sich bis zu einem gewissen Grad aus dem Traum heraus willentlich ansteuern und im Schlaflabor aufzeichnen.
Dabei demonstrierten einige der insgesamt 36 Versuchspersonen zahlreiche Fähigkeiten. Dazu gehörten das Erkennen der Wachwelt-Informationen im Traum, die Analyse dieser Informationen (z. B. das Dekodieren von Morse-Code-Lichtblitzen in Matheaufgaben), die Speicherung dieser Informationen im Arbeitsgedächtnis, das Berechnen einfacher Antworten und das willentliche Übermitteln dieser Antworten. Auf diese Weise konnten sechs Versuchungspersonen in 29 Fällen Fragen korrekt beantworten.
Die Schlaflabor-Experimente wurden an der Universität Osnabrück, der Northwestern University (Chicago/USA), der Sorbonne (Paris/FR) und der Radboud Universität (Nijmegen/NL) durchgeführt – unabhängig voneinander in vier Forschungsgruppen mit leicht unterschiedlicher Methodik, aber stets dem gleichen Ergebnis – und anschließend als Multi-Center-Studie zusammengefasst. Der deutsche Teil der Studie wurde dabei finanziell von der Hans-Mühlenhoff-Stiftung Osnabrück unterstützt.
„Wir haben die Ergebnisse zusammengefügt, weil wir der Überzeugung sind, dass die Kombination von Ergebnissen aus vier verschiedenen Laboren mit unterschiedlichen Ansätzen die Realität dieses Phänomens am überzeugendsten belegt“, sagt Karen Konkoly, Doktorandin an der Northwestern University in Chicago und gemeinsam mit Appel Erstautorin der Arbeit. „Und wir sehen, dass es tatsächlich unterschiedliche Wege gibt, diese bi-direktionale Kommunikation durchzuführen.“
Die potenziellen Anwendungen des Interactive Dreaming außerhalb der Forschung seien mannigfaltig, so Appel. Künstler, Komponisten und Schriftsteller könnten eines Tages vielleicht die Kreativität des Traumzustandes nutzen und ihre Werke direkt in die Wachwelt übertragen. Psychotherapeuten böte sich die Möglichkeit, Albträume direkt während des Auftretens zu behandeln.
Neues Wissen „im Schlaf“ zu lernen – der Traum vieler Schüler – sei genauso denkbar wie das Training neuer musikalischer oder sportlicher Fähigkeiten oder das Nutzen der Methode für privates Entertainment. Zunächst müsse allerdings das Interaktive Träumen weiter erforscht und verbessert werden, so der Osnabrücker Kognitionswissenschaftler.
Quellenangabe: Universität Osnabrück
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