Vorhersage von akuten Veränderungen bei Suizidgedanken und -absichten: Eine Längsschnittstudie über den Einfluss von Symptom-Mediatoren und die Rolle des Menstruationszyklus bei weiblichen ambulanten suizidgefährdeten Psychiatriepatienten
15.12.2023 Laut einer neuen Studie von Forschern der University of Illinois Chicago besteht bei suizidgefährdeten Patientinnen in den Tagen um die Menstruation ein erhöhtes Risiko für Suizidgedanken oder Suizidabsichten.
In der ersten Längsschnittstudie über die Schwankungen von Suizidgedanken und damit verbundenen Symptomen während des Menstruationszyklus haben UIC-Forscher herausgefunden, wann bei einigen Patientinnen das Risiko am höchsten ist.
„Als Kliniker fühlen wir uns dafür verantwortlich, unsere Patienten vor einem Selbstmordversuch zu bewahren, aber wir haben oft nicht viele Informationen darüber, wann wir uns am meisten um ihre Sicherheit sorgen müssen“, sagte Tory Eisenlohr-Moul, außerordentliche Professorin für Psychiatrie an der UIC und Hauptautorin der im American Journal of Psychiatry veröffentlichten Studie.
Die Studie
Die von der Postdoktorandin Jaclyn Ross und dem MD/Ph.D.-Studenten Jordan Barone geleitete Studie untersuchte 119 Patientinnen, deren Suizidgedanken und andere psychische Symptome über mindestens einen Menstruationszyklus hinweg in einer täglichen Umfrage erfasst wurden.
Dank dieses Konzepts konnten die Forscher detaillierte Daten über die Veränderungen der psychischen Gesundheit der Patientinnen im Verlauf ihres Zyklus sammeln. In früheren Studien wurde diese Art der Erfassung nicht durchgeführt, sondern es wurde lediglich versucht, den zeitlichen Verlauf des Menstruationszyklus einer Person anhand eines einzigen Zeitpunkts nach einem Suizidversuch abzuschätzen.
In diesen früheren Studien wurde ein Muster beobachtet, bei dem die Selbstmordversuche in den Tagen kurz vor oder nach dem Einsetzen der Menstruation – der „perimenstruellen“ Phase – zunahmen. Die neue UIC-Studie bestätigte dieses Muster und stellte fest, dass die Suizidgedanken in dieser Phase des Zyklus stärker ausgeprägt waren und die Suizidabsicht wahrscheinlicher war als in anderen Phasen.
Die täglichen Daten ermöglichten es den Forschern außerdem, die Unterschiede zwischen den einzelnen Personen in Bezug auf die Auswirkungen des Zyklus auf die Symptome und die Suizidalität genauer zu untersuchen.
Zunahme psychiatrischer Symptome
Die meisten Patientinnen in der Studie berichteten über eine deutliche Zunahme psychiatrischer Symptome wie Depression, Angst und Hoffnungslosigkeit in der prämenstruellen und frühen menstruellen Phase, während andere über emotionale Veränderungen zu verschiedenen Zeiten ihres Zyklus berichteten. Auch die spezifischen psychiatrischen Symptome, die neben Suizidgedanken auftraten, waren bei den einzelnen Personen unterschiedlich.
„Die Menschen unterschieden sich darin, welche emotionalen Symptome für sie am stärksten mit Suizidalität korreliert waren“, so Eisenlohr-Moul. „Nur weil der Zyklus eine Person reizbar macht oder sie Stimmungsschwankungen hat oder sich ängstlich fühlt, bedeutet das nicht unbedingt, dass dies bei jeder Person den gleichen Effekt auf die Suizidalität hat.“
Hormoneller Einfluss
Diese Beobachtung passt zu dem breiteren Forschungsschwerpunkt von Eisenlohr-Mouls Gruppe, dem CLEAR-Labor. Das Labor untersucht auch die prämenstruelle dysphorische Störung, eine Erkrankung, die mit einem erhöhten Risiko für Selbstmordgedanken und -verhalten einhergeht. Beobachtungsstudien und klinische Studien unter der Leitung von Eisenlohr-Moul haben ergeben, dass die PMDD bei einigen Menschen auf eine erhöhte Empfindlichkeit gegenüber den Fortpflanzungshormonen Östrogen und Progesteron zurückzuführen ist und eine Stabilisierung dieser Hormone die Symptome lindern kann.
Eine ähnliche Dynamik der Hormonsensitivität könnte beim Einfluss des Menstruationszyklus auf Suizidgedanken bei Menschen ohne PMDD im Spiel sein, so die Autoren. Es sind jedoch weitere Forschungsarbeiten erforderlich, um festzustellen, wie sich diese Faktoren bei einzelnen Patienten gegenseitig beeinflussen und wie diese Informationen am besten klinisch genutzt werden können, um Suizidversuche zu verhindern.
© Psylex.de – Quellenangabe: American Journal of Psychiatry (2023). DOI: 10.1176/appi.ajp.20230303