Musik vor dem Schlafengehen, unwillkürliche musikalische Bilder (‚Ohrwürmer‘) und der Schlaf
12.06.2021 Die meisten Menschen hören während des Tages und oft auch vor dem Schlafengehen Musik, um abzuschalten. Aber kann das tatsächlich dazu führen, dass der Schlaf darunter leidet? Als der Schlafforscher Michael Scullin vom Fachbereich Psychologie und Neurowissenschaften an der Baylor University feststellte, dass er mitten in der Nacht mit einem Lied im Kopf aufwachte, wollte er untersuchen, wie Musik – und insbesondere hängen gebliebene Lieder, die sogenannten „Ohrwürmer“ – die Schlafmuster beeinflussen könnten.
Die in der Zeitschrift Psychological Science veröffentlichte Studie untersuchte die Beziehung zwischen Musikhören und Schlaf und konzentrierte sich dabei auf einen selten erforschten Mechanismus: Unwillkürliche musikalische Bilder oder „Ohrwürmer“ (wenn sich ein Lied oder eine Melodie immer wieder im Kopf einer Person abspielt). Diese treten normalerweise im Wachzustand auf, aber Scullin fand heraus, dass sie auch vor dem Einschlafen auftreten können.
Menschen, die regelmäßig nachts Ohrwürmer wahrnehmen – ein oder mehrere Male pro Woche – haben ein sechsmal höheres Risiko für eine schlechte Schlafqualität als Menschen, die selten Ohrwürmer wahrnehmen. Überraschenderweise fand die Studie heraus, dass bestimmte Instrumentalmusik eher zu Ohrwürmern führt und die Schlafqualität stört als getextete Musik.
Umfrage und Experiment im Schlaflabor
Die Studie umfasste eine Umfrage und ein Laborexperiment. Bei der Umfrage füllten 209 Teilnehmer eine Reihe von Fragebögen zur Schlafqualität, zu den Musikhörgewohnheiten und zur Häufigkeit von Ohrwürmern aus, einschließlich der Frage, wie oft sie beim Versuch einzuschlafen, beim Aufwachen mitten in der Nacht und unmittelbar nach dem Aufwachen am Morgen einen Ohrwurm erlebten.
In der experimentellen Studie wurden 50 Teilnehmer in Scullins Sleep Neuroscience and Cognition Laboratory in Baylor untersucht, wo das Forschungsteam versuchte, Ohrwürmer zu erzeugen, um festzustellen, wie diese die Schlafqualität beeinflussten. Die Polysomnographie – ein umfassender Test und der Goldstandard für die Messung des Schlafs – wurde verwendet, um Gehirnwellen, Herzfrequenz, Atmung etc. der Teilnehmer aufzuzeichnen, während sie schliefen.
Zusätzlich wurden die EEG-Messwerte – Aufzeichnungen der elektrischen Aktivität im Gehirn – aus der experimentellen Studie quantitativ analysiert, um physiologische Marker der schlafabhängigen Gedächtniskonsolidierung zu untersuchen. Gedächtniskonsolidierung ist der Prozess, bei dem temporäre Erinnerungen während des Schlafs spontan reaktiviert und in eine längerfristige Form umgewandelt werden.
Teilnehmer, die einen „Schlaf-Ohrwurm“ hatten, zeigten mehr langsame Oszillationen während des Schlafs, ein Marker für die Reaktivierung von Erinnerungen. Der Anstieg der langsamen Oszillationen war dominant in der Region, die dem primären auditorischen Kortex entspricht, der in die Verarbeitung des Ohrwurms verwickelt ist, wenn Menschen wach sind.
Musik vor dem Schlafengehen? Besser nicht.
Fast alle dachten, dass Musik den Schlaf verbessert, aber wir fanden heraus, dass diejenigen Teilnehmer schlechter schliefen, die mehr Musik hörten, sagte Scullin. Was die Psychologen überraschte: Instrumentale Musik führte zu einer schlechteren Schlafqualität – instrumentale Musik führte zu etwa doppelt so vielen Ohrwürmern.
Die Studie ergab, dass Personen mit ausgeprägten Musikhörgewohnheiten dauerhafte Ohrwürmer und eine Verschlechterung der Schlafqualität aufwiesen. Diese Ergebnisse stehen im Widerspruch zu der Vorstellung, dass Musik als Hypnotikum den Schlaf fördern kann.
Gesundheitsorganisationen empfehlen in der Regel, vor dem Schlafengehen leise Musik zu hören – Empfehlungen, die größtenteils auf Studien mit Selbstberichten beruhen. Stattdessen hat Scullin objektiv gemessen, dass das schlafende Gehirn die Musik noch mehrere Stunden lang verarbeitet, auch nachdem die Musik aufhört.
Ein guter Weg laut Scullin um Ohrwürmer loszuwerden: vor dem Schlafengehen aufschreiben (5 Minuten), was man demnächst vorhat, also eine To-Do-Liste anfertigen. Dies half in einer vorherigen Studie Teilnehmern, diese besorgniserregende Gedanken über die Zukunft „abzuladen“ und führte zu schnellerem Schlaf.
© psylex.de – Quellenangabe: Psychological Science (2021). DOI: 10.1177/0956797621989724
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