- Hohe Moralvorstellungen stehen im Zusammenhang mit mehr grauer Hirnsubstanz
- Warum auch ‚gute‘ Menschen Schlechtes tun und wie man es verhindern kann
- Ähnliche Artikel
Hohe Moralvorstellungen stehen im Zusammenhang mit mehr grauer Hirnsubstanz
10.06.2015 Personen mit einer höheren Fähigkeit moralischen Denkens haben auch mehr graue Substanz in den Bereichen des Gehirns, die mit komplexem Sozialverhalten, Entscheidungsfindung und Konfliktbearbeitung verbunden sind.
Moralische Entwicklungsforschung
Die moralische Entwicklungsforschung des letzten Jahrhunderts – angeführt vom Psychologen Lawrence Kohlberg – zeigte, dass Menschen verschiedene Stufen moralischen Denkens erreichen können, wenn sich ihre kognitiven Fähigkeiten entwickeln.
Forscher der Perelman School of Medicine und der Wharton School der Universität von Pennsylvania starteten in Zusammenarbeitt mit einem Wissenschaftler des Berliner Charité Universitätsklinikums ein Experiment mit 67 Betriebswirtschaft-Studenten, um herauszufinden, ob sich die verschiedenen Stufen moralischer Wertvorstellungen in den Gehirnstrukturen widerspiegeln.
Um diese Frage zu untersuchen, testeten sie die Teilnehmer (im Alter von 24 bis 33 – also nach dem Alter, in dem die strukturelle Gehirnreifung abgeschlossen ist) auf ihre moralischen Überlegungen und verglichen das Niveau der grauen Substanz in den Gehirnen, sagte Seniorautor Hengyi Rao in der Zeitschrift PLOS ONE.
Symbolbild; Bild: Bonnyb Bendix
Kognitives Schema
Mit Hilfe eines Tests (Defining Issue Test) konnte bei den Probanden festgestellt werden, welches Denkmuster oder Verhalten, bekannt als kognitives Schema, sie einsetzten, wenn er/sie moralische Überlegungen anstellte.
Die Testpersonen wurden mit komplexen moralischen Dilemmas – wie medizinisch assistierter Suizid – konfrontiert und sie sollten die Relevanz der jeweils 12 vorgegebenen Begründungen einschätzen.
Auf Grundlage dieser Ergebnisse wurden die Teilnehmer einem von sieben Schematypen zugeordnet, die ein Anwachsen der moralischen Entwicklung darstellten. Anschließend wurden MRT-Scans gemacht.
Big 5
Außerdem machten die Studenten einen Persönlichkeitstest, der ihre Tendenzen in den Kategorien Neurotizismus, Extraversion, Offenheit, Gewissenhaftigkeit und Verträglichkeit (Big 5) maß.
Teilnehmer, die höhere Punktewerte bei der Offenheit gegenüber neuen Erfahrungen und geringere Punktewerte bei Neurotizismus hatten, zeigten ein höheres moralisches Entwicklungsniveau.
Graue Gehirnsubstanz
Das Forscherteam beobachtete eine erhöhte graue Substanz im präfrontalen Cortex bei Teilnehmern, die überdurchschnittlich entwickelte moralische Wertvorstellungen bzw. Überlegungen zeigten – im Vergleich zu denjenigen, deren moralisches Denken sich auf der präkonventionellen oder konventionellen Stufe befand.
Mit anderen Worten: das graue Substanzvolumen war verbunden mit dem Grad postkonventionellen Denkens der getesteten Personen.
Drei Stufen nach Kohlberg
Zur Erläuterung: Kohlberg unterschied drei Stufen (mit je 2 Subniveaus) moralischen Urteilens (nach Wikipedia):
- Präkonventionelles Niveau (normalerweise Kinder bis 9, einige Jugendliche und viele Kriminelle): 1. Orientierung an Strafe und Gehorsam; 2. instrumentell-relativistische Orientierung
- Konventionelles Niveau (die meisten Jugendlichen u. Erwachsenen): 3. interpersonale Konkordanz- oder „good boy / nice girl“-Orientierung; 4. Orientierung an Gesetz und Ordnung
- Postkonventionelles Niveau (wenige Erwachsene): 5. legalistische Orientierung am Sozialvertrag; 6. Orientierung am universalen ethischen Prinzip
© PSYLEX.de – Quellenangabe: Universität Pennsylvania, PLOS ONE, Wikipedia; Juni 2015
Warum auch ‚gute‘ Menschen Schlechtes tun und wie man es verhindern kann
Forscher der Universität Chicago fanden: Wenn man sich mit einem moralischem Dilemma (Zwickmühle) konfrontiert sieht, können Antizipation (die Vorwegnahme oder Erwartung) der Versuchung und Nachdenken über die langfristigen Konsequenzen das Verhalten verbessern.
Bild: Sophie Janotta
Unmoralisches Verhalten ist in vielen Bereichen weit verbreitet: Man findet es z.B. besonders oft im Geschäftsleben, in der Politik oder auch im Sport, sagte Forscher Ayelet Fishbach in der Zeitschrift Journal of Personality and Social Psychology.
„Organisationen können ethisches Verhalten fördern, indem sie den Leuten helfen, die kumulative Wirkung amoralischer Taten zu erkennen, und warnende Hinweise auf bevorstehende Versuchungen geben.“
Für die Studie führten die Forscher eine Serie von Versuchen durch, die häufige moralische Dilemmata (wie Krankmeldung trotz Gesundheit; Diebstahl am Arbeitsplatz; langsamer arbeiten, um nicht zusätzliche Arbeit, ‚aufgedrückt‘ zu bekommen) zum Gegenstand hatten.
Die Befunde zeigten, dass zwei Faktoren zusammen ethisches Verhalten förderten:
Teilnehmer, die ein potentielles ethisches Dilemma mit anderen ähnlichen Vorfällen verbinden konnten, und die auch die Versuchung – unmoralisch zu handeln – antizipierten, verhielten sich mit größerer Wahrscheinlichkeit ehrlicher als Teilnehmer, die dies nicht taten.
Oder mit anderen Worten:
Die Teilnehmer verhielten sich unethischer, wenn sie glaubten, die Handlung sei ein isolierter Vorgang, und wenn sie dabei nicht über zukünftige Folgen nachdachten.
Die Befunde könnten Politikern, Pädagogen und Arbeitgebern bei der Entwicklung von Strategien helfen, Menschen dabei zu unterstützen, sich ethischer zu verhalten, sagten die Forscher.
© PSYLEX.de – Quellenangabe: Universität Chicago, Journal of Personality and Social Psychology; Juni 2015
Ähnliche Artikel, News
- Moralische Urteile fallen in Fremdsprache anders aus
- Moralische Entscheidungen durch Eye-Tracking manipulierbar