Vergessen (Gehirn, Gedächtnis)

Vergessen (Gehirn, Gedächtnis)

Gehirnforschung – Gedächtnisforschung

News/Forschung zu den Mechanismen des Vergessens.

Vergessen ist wichtig

Ein neuer Artikel über das Gedächtnis erörtert einen oft übersehenen Bestandteil des Gedächtnisses – dass Vergessen unter gewissen Umständen eine wichtige Rolle in der Funktion des Gedächtnisses spielt.

Wie Vergessen dem Gedächtnis hilft

Die neue Studie ist in Current Directions in Psychological Science herausgegeben worden.

Es ist Zeit für das Vergessen einen gewissen Respekt zu schaffen, sagt Ben Storm, Ph.D. Professor der Universität von Illinois-Chicago. „Gedächtnis ist kompliziert. Denken ist kompliziert.“

Erinnerungen und Assoziationen sammeln sich rasch an. „Diese Dinge könnten völlig unser Leben ‚überlaufen‘ und es unmöglich machen zu lernen, und neue Dinge abzurufen, wenn sie sich allein überlassen würden, und sie könnten den Rest des Gedächtnisses überfordern“, sagte er.

Zum Glück, passiert das nicht.

„Wir sind in der Lage, die stark konkurrierenden unpassenden Erinnerungen auszumerzen, um uns an die zu erinnern, an die wir uns erinnern wollen.“

Storm und andere psychologische Wissenschaftler versuchen zu verstehen, wie unser Verstand die richtigen Dinge wählt, um sich zu erinnern – wenn jemand über Strände spricht in der Nähe von Omaha, Nebraska zum Beispiel, unterdrückt man natürlich das Wissen, das man über Omaha Beach in der Normandie gesammelt hat (Anm.: zumindest US-Bürger).

In der Studie wurde den Teilnehmern eine Liste von Wörtern gegeben, die eine Art von Verbindung mit einander hatten. Sie wurden darum gebeten, z.B. eine Liste von Vögeln auswendig zu lernen.
Im nächsten Teil des Tests wurde verlangt, dass sie eine Aufgabe erledigten, die erforderte sich an die Hälfte der Vögel zu erinnern. „Das wird Sie dazu bringen, die andere Hälfte der Vögel in der Liste zu vergessen“, sagte Storm.

Das könnte schlecht sein – es ist Vergessen. „Aber, was die Forschung zeigt ist, dass dieses Vergessen tatsächlich eine gute Sache ist.“

Vergessen macht Sinn

Das heißt, Menschen, die gut darin sind Informationen zu vergessen, die sie nicht brauchen, sind auch gut darin, Probleme zu lösen und beim Erinnern, wenn sie durch andere Informationen abgelenkt sind.
Es gibt eine Menge Gelegenheiten, wo Vergessen im täglichen Leben Sinn macht.

‚“Sagen wir, Sie bekommen ein neues Mobiltelefon und eine neue Telefonnummer – wollen Sie sich wirklich jedes Mal an Ihre alte Telefonnummer erinnern, wenn jemand fragt, wie Ihre Nummer ist?“ fragt Storm.

Oder: wo haben Sie Ihr Auto heute Morgen geparkt – es ist heute eine wichtige Information, aber Sie sollten es besser vergessen, wenn Sie Ihr Auto morgen Nachmittag brauchen.

„Wir müssen in der Lage sein, unser Gedächtnis zu aktualisieren, so dass wir uns erinnern und über die Dinge nachdenken können, die gegenwärtig relevant sind“, sagte er.

© PSYLEX.de – Quellenangabe: Current Directions in Psychological Science, Okt. 2011

Vergisst das Gehirn, um Energie zu sparen?

28.10.2015 In unserem Gehirn arbeiten nicht nur Lernmechanismen, sondern auch Vergessens-Mechanismen, die ‚unnötig‘ Gelerntes löschen. Eine Forschergruppe der Lund Universität in Schweden konnte einen dieser Mechanismen auf zellulärer Ebene beschreiben.

Die Befunde des Forscherteams erklären ein theoretisches Lernphänomen, das bisher Rätsel aufgab:

gehirn
Bild: Gerd Altmann

Die Prämisse: Menschen oder Tiere können lernen, einen gewissen Ton oder ein gewisses Lichtsignal mit einem Luftstoß aufs Auge zu verbinden. Der Luftstoß lässt die Teilnehmer blinzeln, und bald lernen sie zu blinzeln, sobald sie den Ton hören oder das Lichtsignal sehen. Merkwürdig ist jedoch, dass wenn Ton und Lichtsignal zusammen (und mit dem Luftstoß) eingesetzt werden, der Lernerfolg nicht besser, sondern schlechter wird.

Hemmung des Lernens

Die Forscher glauben, dass das Gehirn Energie sparen will.

In einer früheren Studie konnten die Forscher zeigen: Wenn das Gehirn eine bestimmte Verknüpfung ausreichend gelernt hat, dann werden bestimmte Neuronen aktiviert, die auf die ‚Bremse treten‘ und den Lernmechanismus hemmen.

„Man könnte sagen, dass der Teil des Gehirns, der die Verbindung lernte (ein Teil des Kleinhirns) seinem ‚Lehrer‘ sagt: ‚Ich weiß das jetzt, bitte, sei ruhig‘. Wenn das Gehirn zwei Verknüpfungen gelernt hat, wird die Bremse noch stärker ‚getreten‘. Deswegen resultiert dies in Vergessen – normalerweise aber nur vorrübergehend“, erklärt Studienautor Germund Hesslow in der Zeitschrift Proceedings of the National Academy of Sciences.

Unnötige Gedächtnisverknüpfungen benötigen Energie

Unnötige Gedächtnisverknüpfungen benötigen Energie für das Gehirn. Die Forscher glauben, dass dies der Grund für die Bremsvorrichtung ist, obwohl sie in diesem Fall etwas zu stark ist.

Die Lund Forscher erklärten die Arbeitsweise der Nervenzellen anhand von Tierstudien, wobei sie aber annehmen, dass die Mechanismen im menschlichen Gehirn ähnlich ablaufen. Deshalb sind diese Befunde von fundamentalem Interesse für Gehirnforscher und Psychologen. Sie könnten auch von praktischem Interesse für Pädagogen sein.

„Offensichtlich sollte es für Lehrer wichtig sein, die Mechanismen zu kennen, durch die das Gehirn Dinge löscht, die es als unnötig betrachtet. Diese Mechanismen möchte man ja nicht zufällig aktivieren“, schließt Hesslow.

© PSYLEX.de – Quellenangabe: Lund Universität, Proceedings of the National Academy of Sciences; Okt. 2015

Was im Gehirn beim absichtlichen Vergessen passiert

07.09.2018 Eine im Fachblatt Current Biology publizierte Studie untersuchte, was im Gehirn beim absichtlichen/willentlichen Vergessen vor sich geht.

Carina Oehrn von der Ruhr-Universität Bochum und Kollegen aus Bonn zeichneten die Gehirnmuster von präfrontan Cortex und Hippocampus von 22 Testpersonen auf, während diese Wörter erinnern oder vergessen sollten. Ein Gedächtnistest zeigte anschließend, dass die Probanden die zu vergessenden Wörter schlechter aus dem Gedächtnis abrufen konnten.

Hippocampus und präfrontaler Cortex

gedaechtnis-puzzle
Bild: Gerd Altmann

Die Forscher untersuchten die synchrone rhythmische Aktivität im Hippocampus und präfrontalen Cortex in bestimmten Frequenzbändern. Die Befunde zeigten, dass sich die Oszillationen in den beiden Gehirnbereichen auf charakteristische Weise während des aktiven Vergessens veränderten.

So konnten im präfrontalen Cortex verstärkt Schwingungen zwischen drei und fünf Hertz (im sogenannten Thetabereich) beobachtet werden. Verbunden damit traten verstärkte Oszillationen in höheren Frequenzbereichen (6 – 18 Hertz) im Hippocampus auf.

Die Schwingung des Vergessens

„Die Daten zeigen uns, dass die Aktivität im Hippocampus, einer wichtigen Region für das Gedächtnis, durch den präfrontalen Kortex reguliert wird“, sagt Oehrn. „Die Aktivität im Hippocampus wird nicht unterdrückt, sondern vielmehr auf eine andere Frequenz geschaltet, in der aktuell verarbeitete Informationen nicht mehr eingespeichert werden“.

Potenzielle neue Interventionsverfahren

Die Forschungsergebnisse zum willentlichen Vergessen könnten helfen, neue Behandlungsmethoden für psychische Erkrankungen wie z.B. die posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) zu entwickeln.

„Der präfrontale Kortex, also die Hirnregion, die aktive Kontrolle auf unsere Gedächtnisprozesse ausübt, könnte zu Therapiezwecken durch eine oberflächliche magnetische oder elektrische Stimulation angeregt werden“, sagt Oehrn, wobei solche Verfahren erst in weiteren Studien untersucht werden müssten.

© PSYLEX.de – Quellenangabe: Current Biology, 2018, DOI: 10.1016/j.cub.2018.07.042

Ähnliche Artikel, News