Psychische Erkrankungen durch sexuelle Angriffe

Erhöhtes Risiko für Suizid, psychische Störungen bei Opfern sexueller Übergriffe

10.08.2017 Eine Analyse von fast 200 unabhängigen Studien mit mehr als 230.000 erwachsenen Teilnehmern hat herausgefunden, dass Opfer sexueller Angriffe ein deutlich erhöhtes Risiko für Angststörungen, Depression, Essstörungen, Suizidalität, posttraumatische Belastungsstörung, Substanzmissbrauch / Süchte, Zwangsstörungen und bipolare Störung haben.

In der Studie untersuchten die Wissenschaftler um Emily Dworkin und Psychologie-Professorin Nicole Allen von der Universität Illinois die Daten aus 40 Jahren Forschung zu diesem Thema.

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Bild: Ulrike Mai

Sie verglichen Personen, die sexuell attackiert wurden mit Personen, die nicht solche Erfahrungen machen mussten und fanden einen signifikanten Unterschied bei der psychischen Gesundheit.

Vergleich mit anderen Traumata

Sie verglichen auch sexuell viktimisierte Menschen mit Personen, die andere Formen von Traumata erlebt hatten, und stellten fest, dass es immer noch einen deutlichen Unterschied gab, was darauf hindeutet, dass sexuelle Angriffe mit einem signifikant erhöhten Risiko für diese psychischen Probleme verbunden sind im Vergleich zu anderen Traumata.

Die Verknüpfung zwischen sexuellen Übergriffen und psychischen Erkrankungen und Suizidalität war in der Regel über alle Studien klar zu sehen, unabhängig davon, wie die Forscher sexuelle Angriffe formulierten, sagte Dworkin.

Bei allen Formen sexueller Übergriffe

Einige Studien untersuchten nur gewalttätige Attacken, andere Nötigung oder geschlechtsbezogene entwürdigende bzw. beschämende Handlungen, unerwünschte körperliche Annäherung, Annäherungen in Verbindung mit Versprechen von Belohnungen und/oder Androhung von Repressalien, während andere einen unerwünschten sexuellen Kontakt einschlossen.

Es scheint nicht wichtig zu sein, wie weit oder eng man sexuelle Belästigungen oder Angriffe definiert – ob man nur auf penetrative Formen der Übergriffe schaut oder wenn man auch Leute hinzunimmt, die ungewollt gestreichelt wurden – die Verbindung ist bei allen da, sagte Dworkin.

Etwa 24 Prozent der Teilnehmer aller Studien waren Opfer eines sexuellen Angriffs, berichten die Forscherinnen.

Die Analyse fand auch heraus, dass Erwachsene, die ein Sexualdelikt erlebt hatten, ein höheres Risiko für einige psychische Störungen als andere hatten. Z.B. war das Risiko für Suizidgedanken oder Suizidversuche im Vergleich zu anderen Störungen am höchsten.

Die Risiken für PTBS, Zwangsstörungen und Bipolare Störung waren fast so hoch wie die für Selbstmord.

Ursache für psychische Erkrankungen

Wir denken oft bei Zwangsstörungen und Bipolarer Störung, dass sie biologische oder genetische Ursachen haben, sagte Dworkin. Die Befunde legen jedoch nahe, dass sie möglicherweise doch mehr Trauma-bezogen sind, als wir vorher dachten.

Das Risiko für psychische Erkrankungen im Zusammenhang mit sexuellen Übergriffen war beständig, unabhängig von Alter, Rasse oder Geschlecht der Teilnehmer, fanden die Psychologinnen. Die Analyse legt auch nahe, dass Angriffe von Fremden, Attacken mit einer Waffe oder mit körperlichen Verletzungen mit einem noch größeren Risiko für psychische Krankheiten und Suizidalität verbunden zu sein scheint, schließt Dworkin.

Wahrscheinlichkeiten

Die Zahlen spiegeln die Wahrscheinlichkeit wider, dass eine zufällig ausgewählte Person, die einen sexuellen Angriff erlebt hat, schwerere Symptome haben wird – im Vergleich zu einer nicht viktimisierten Person. Die Baseline-Wahrscheinlichkeit aufgrund des Zufalls beträgt 50 Prozent.

© PSYLEX.de – Quellenangabe: University of Illinois; Clinical Psychology Review – DOI: 10.1016/j.cpr.2017.06.002; Aug. 2017

4 von 5 Mädchen entwickeln eine psychische Erkrankung nach einer sexuellen Attacke

24.07.2018 80 Prozent der jungen Frauen wiesen eine und 55 Prozent zwei oder mehr psychische Störungen vier bis fünf Monate nach einem sexuellen Angriff auf laut einer im Fachblatt The Lancet Child & Adolescent Health veröffentlichten Studie.

Für die Forschungsarbeit wurden 134 Mädchen im Alter zwischen 13 und 17 Jahren zwischen April 2013 und April 2015, sowie kurz nach sexuellen Übergriffen und vier bis fünf Monate später befragt.

Die häufigsten psychischen Störungen

Die häufigsten psychischen Krankheiten waren posttraumatische Belastungsstörungen, andere Angststörungen und Depressionen.
Die Forscher um Dr. Sophie Khadr vom University College London fanden auch heraus, dass fast drei von vier Mädchen, die nach einem sexuellen Übergriff ein SARC (specialist sexual assault referral centres – Centren, die vergewaltigten und sexuell bedrängten Mädchen und Frauen mit Spezialisten helfen) aufsuchten, aus den am stärksten benachteiligten Schichten stammten und eine von fünf Mädchen eine sonderpädagogische Bildungsstätte besuchte.

Mehr als jede Zweite hatte in den letzten 12 Monaten vor der Attacke schon einmal mit dem Sozialdienst zu tun gehabt und die Hälfte hatte sich um psychologische Hilfe bemüht.

Armut und soziales Vulnerabilitätsrisiko

Obwohl Armut und soziales Vulnerabilitätsrisiko anerkannte Risikofaktoren für sexuelle Übergriffe sind, haben nur wenige Studien dies bei Jugendlichen oder die Auswirkungen der Verwundbarkeit auf die psychische Gesundheit nach sexuellen Attacken untersucht, sagte Khadr.

Die Ergebnisse der Studie unterstreichen die „doppelte Benachteiligung“ von jungen Frauen, die sexuell bedrängt werden, schreiben die Studienautoren. Aufgrund ihrer sozialen Verwundbarkeit sind sie einem höheren Risiko ausgesetzt, wobei jede Zwölfte einen weiteren Angriff innerhalb von vier bis fünf Monaten berichtet.

Risikofaktoren

Die Studie ergab, dass viele dieser Vulnerabilitätsfaktoren auch Risikofaktoren für psychische Störungen nach einer Attacke sind. Persönliche Merkmale wie vorherige Selbstverletzungen, psychologische Unterstützung oder soziale Dienste wogen schwerer als Prädiktoren (Vorhersagevariablen) als die Art des Sexualdelikts für eine spätere Diagnose einer psychischen Störung, schreiben die Psychologen.

Die Wissenschaftler legen nahe, das der bereits bestehenden Anfälligkeit und den späteren psychischen Bedürfnissen junger sexuell attackierter Menschen mehr Aufmerksamkeit seitens der Gesundheitsdienste, des Strafrechtssystems und der breiten Öffentlichkeit gewidmet werden muss.

© PSYLEX.de – Quellenangabe: The Lancet Child & Adolescent Health – DOI: 10.1016/S2352-4642(18)30202-5

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