Halluzinationen und das Gehirn

Hirnstudie unterscheidet krankhafte von ’normalen‘ Halluzinationen

14.08.2017 Sowohl Menschen mit als auch ohne diagnostizierte psychotische Erkrankungen können Stimmen hören (sogenannte akustische bzw. auditive Halluzinationen) – doch warum sind die einen psychisch krank, die anderen jedoch nicht? Eine aktuelle Studie zu den Abläufen im Gehirn gibt Auskunft.

Die im Fachblatt Science veröffentlichte Studie von Neurowissenschaftlern der Yale Universität rief mit einem Experiment Halluzinationen bei psychotischen und nicht-psychotischen Probanden hervor. Die Forscher hoffen dazu beitragen zu können, diejenigen besser identifizieren zu können, die eine psychiatrische Behandlung benötigen.

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Bild: Gerd Altmann

Ungleichgewicht zwischen Erwartungen und sensorischen Informationen

Halluzinationen können aus einem Ungleichgewicht zwischen unseren Erwartungen an die Umwelt und den Informationen, die wir von unseren Sinnen bekommen, entstehen, schreiben die Autoren Philip Corlett und Al Powers.

Um diese Annahme zu untersuchen, benutzten sie eine alte aus den 1980er Jahren in Yale entwickelten Technik, um akustische Halluzinationen hervorzurufen. Im Experiment wurden vier Gruppen von Teilnehmern wiederholt einem gekoppelten Licht- und Tonsignal ausgesetzt, während ihre Gehirn gescannt wurden:

  • Stimmenhörer (psychotisch)
  • Stimmenhörer (nicht-psychotisch)
  • Personen, die keine Stimmen hörten (psychotisch) und
  • Teilnehmer, die keine Stimmen hörten (nicht-psychotisch).

Alle Teilnehmer sollten versuchen, den Ton zu erkennen, der manchmal schwer zu hören war. Schließlich gaben viele Probanden in allen Gruppen an, einen Ton zu hören, wenn nur das Licht präsentiert wurde, obwohl kein Ton gespielt wurde. Der Effekt war jedoch in den beiden Gruppen mit den ‚Stimmenhörern‘ viel stärker ausgeprägt.

Ähnliche Prozesse im Gehirn

Bei psychotischen und nicht-psychotischen Teilnehmern beobachteten die Hirnforscher einige der gleichen Gehirnprozesse während der konditionierten Halluzinationen, während sie akustische Halluzinationen im Scanner meldeten, sagte Corlett.

In einer früheren Studie hatten die Forscher gezeigt, dass eine Gruppe von selbsternannten Hellsehern, Wahrsagern bzw. Telepathen, die angaben Stimmen hören zu können, ähnliche Erfahrungen wie schizophrene Patienten hatten. Im Gegensatz zu den schizophrenen Patienten erlebten die ‚Psychics‘ diese Stimmen aber eher als positiv und schienen mehr Kontrolle über sie ausüben zu können.

Wer benötigt psychiatrische Hilfe?

Das neue Experiment konnte anhand der Befunde Menschen mit Psychose von denen ohne unterscheiden. Menschen mit einer psychotischen Erkrankung hatten Probleme zu akzeptieren, dass sie nicht wirklich einen Ton gehört hatten, und sie wiesen eine veränderte Aktivität in Hirnregionen auf, die oft eine Rolle bei Psychosen spielen.

Diese Verhaltens- und Gehirn-Marker können ein frühes Indiz für die Psychopathologie sein und dazu beitragen, diejenigen zu identifizieren, die eine psychiatrische Behandlung benötigen, schreiben die Hirnforscher.

© PSYLEX.de – Quellenangabe: Yale Universität; Science – DOI: 10.1126/science.aan3458 ; Aug. 2017

Halluzinationen und das Corpus callosum

Kann Musikunterricht helfen, psychotische Halluzinationen zu reduzieren?

29.12.2017 Eine neue Forschungsarbeit verknüpft die Gehirnstruktur mit den musikalischen Fähigkeiten und der Wahrscheinlichkeit für Halluzinationen.

Brücke zwischen den Hirnhälften

Frühere Forschungen haben gezeigt, dass Musiker eine erhöhte Integrität der weißen Substanz in einem bestimmten Teil des Gehirns – dem Corpus callosum – besitzen. Dies ist ein dickes Bündel aus Nervenfasern, das die linke und rechte Gehirnhälfte verbindet und die Kommunikation zwischen den Hemisphären ermöglicht.

Bei psychotischen Personen mit auditiven verbalen Halluzinationen wurde festgestellt, dass die Integrität des Corpus callosum reduziert ist.

Forscher der Abteilung Psychologische Wissenschaften der Universität Liverpool untersuchten 38 gesunde Personen im Alter zwischen 18 und 63 Jahren und testeten ihre Neigung zu Halluzinationen, ihre musikalischen Fähigkeiten und ihre detaillierte Gehirnstruktur mit Hilfe eines MRT-Scanners.

Geringere Halluzinationsneigung bei Musikern

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Bild: Gerd Altmann

Die Forscher beobachteten, dass Teilnehmer mit ausgeprägteren musikalischen Qualitäten eine geringere Halluzinationsneigung aufwiesen.

Wichtiger noch, die Forschungsergebnisse zeigten, dass die musikalische Kompetenz positiv mit der Integrität des Corpus callosum verbunden war, während die Neigung zur Halluzination mit einer geringeren Integrität der Fasern einherging, die die beiden Hemisphären des Gehirns verbinden.

Eine statistische Analyse ergab, dass der Zusammenhang zwischen Halluzinationsneigung und musikalischer Befähigung durch die Mikrostruktur im Corpus callosum beeinflusst wird.

Musikunterricht könnte helfen

Studienautorin Amy Spray schreibt in Schizophrenia Research, diese Ergebnisse könnten wichtige klinische Auswirkungen haben. Wenn musikalische Begabung und Fähigkeiten die Integrität der weißen Substanz des Corpus callosum erhöhen, könnte musikalischer Unterricht potentiell der Veranlagung einer Person zu Halluzinationen entgegenwirken.

Künftige Forschungsarbeiten sollten sich mit der Frage befassen, ob Rehabilitationsansätze, die ein musikalisches Training beinhalten, Patienten mit psychotischen Halluzinationen zugute kommen können.

© PSYLEX.de – Quellenangabe: Universität Liverpool; Schizophrenia Research – DOI: 10.1016/j.schres.2017.11.024; Dez. 2017

Akustische Halluzinationen verwurzelt in anomaler Gehirn-Konnektivität

01.07.2020 Auditive (bzw. akustische) Halluzinationen – ein Phänomen, bei dem Menschen Stimmen oder andere Geräusche ohne äußere Reize hören – sind ein Merkmal der Schizophrenie und einiger anderer neuropsychiatrischer Störungen.

Veränderte Gehirnkonnektivität zwischen sensorischen und kognitiven Verarbeitungsbereichen

Wie sie im Gehirn entstehen, war bisher unklar, aber neue Forschungen deuten darauf hin, dass eine veränderte Gehirnkonnektivität (Verbindungen) zwischen sensorischen und kognitiven Verarbeitungsbereichen dafür verantwortlich sein könnte.

Die Studie von Forschern unter der Leitung von Stephan Eliez von der Universität Genf, Schweiz, ist in Biological Psychiatry: Cognitive Neuroscience and Neuroimaging erschienen.

Thalamuskerne

Die Ergebnisse zeigen eine abnorme Entwicklung der Thalamuskerne, die an der sensorischen Verarbeitung beteiligt sind, und ein unreifes Muster der thalamuskortikalen Konnektivität zu den auditorischen Regionen des Gehirns, sagt die leitende Autorin Valentina Mancini.

Mit Hilfe der Magnetresonanztomographie (MRT) verglichen die Forscher die Gehirnstrukturen und ihre Konnektivität bei 110 gesunden Kontrollpersonen und bei 120 Personen mit einer genetischen Störung, dem 22q11.2-Deletionssyndrom oder DS. Menschen mit 22q11.2-Deletionssyndrom (DS) haben ein weit höheres Risiko, an Schizophrenie zu erkranken und für das Erleben von sensorischen Halluzinationen.

Anomalien im Thalamus – eine Hirnregion, die als „Tor“ für sensorische Informationen, die ins Gehirn gelangen, gilt – waren bereits mit Schizophrenie und Halluzinationen in Verbindung gebracht worden.

In der aktuellen Studie versuchten die Autoren genauer zu analysieren, wie sich der Thalamus und seine Verbindungen zu anderen Hirnarealen bei Menschen mit 22q11,2 DS – mit und ohne akustische Halluzinationen – von der Kontrollgruppe unterschieden.

Für diese Längsschnittstudie sammelten die Forscher alle drei Jahre Gehirnscans von Probanden im Alter von 8 bis 35 Jahren, wobei bei jedem zwischen 1 und 4 Hirnscans gemacht wurden.

Medialer und lateraler Kniehöcker

Während sich weder das Gesamtvolumen des Thalamus noch sein Entwicklungswachstum zwischen 22q11,2 DS und den Kontrollprobanden unterschied, fanden die Forscher Unterschiede in spezifischen Thalamus-Subkernen.

Die medialen und lateralen Kniehöcker (MGN, LGN – Corpus geniculatum), die an der Weiterleitung auditiver und visueller sensorischer Informationen beteiligt sind, waren bei Personen mit 22q11,2 DS kleiner.

Im Gegensatz dazu waren die Thalamuskerne, die mit dem frontalen Kortex kommunizieren, der an höheren kognitiven Funktionen beteiligt ist, bei Personen mit 22q11,2 DS größer als bei gesunden Kontrollen. Darüber hinaus entwickelten sich andere Thalamuskerne in den beiden Gruppen unterschiedlich.

Beim Vergleich von 22q11,2 DS-Probanden mit und ohne akustische Halluzinationen wiesen diejenigen mit auditiven Halluzinationen ein geringeres MGN-Volumen und eine andere Gehirnentwicklung auf.

Bei der Beurteilung der funktionellen Konnektivität innerhalb des Gehirns fanden die Autoren auch heraus, dass Probanden mit akustischen Halluzinationen eine größere Konnektivität zwischen MGN mit dem auditorischen Kortex und anderen sprachverarbeitenden Bereichen aufwiesen.

Sie nehmen an, dass eine solche Hyper-Konnektivität der Aktivierung solcher auditorischen Areale im Ruhezustand zugrundeliegen könnte, was Halluzinationen zur Folge haben könnte.

© PSYLEX.de – Quellenangabe: Biological Psychiatry: Cognitive Neuroscience and Neuroimaging – https://doi.org/10.1016/j.bpsc.2020.04.015

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