„Es reicht nicht, Verschwörungstheoretiker als ‚Spinner‘ abzutun“
28.05.2021 Warum Menschen an Verschwörungstheorien glauben, unterscheidet sich einer internationalen Erhebung zufolge stark nach psychologischen, aber auch länderspezifischen Faktoren. „Das Bild über die persönlichen, politischen und kulturellen Ursachen ist komplex. Die Wirkung von Verschwörungstheorien aber ist überall gleich: Polarisierung, Skepsis gegenüber Institutionen, Eliten und Minderheiten sowie ein Abnehmen des gesellschaftlichen Zusammenhalts“, erläutern der Psychologe Prof. Dr. Mitja Back und der Politikwissenschaftler Prof. Dr. Bernd Schlipphak vom Exzellenzcluster „Religion und Politik“ der Uni Münster.
Sie haben insgesamt 4.100 Menschen in drei politisch, kulturell und religiös unterschiedlich geprägten Ländern befragt und mit möglichen Verschwörungserzählungen konfrontiert, um mehr über Ursachen, Ausmaß und Wirkungen von Verschwörungsglauben zu erfahren: Deutschland, Polen und Jordanien. Dabei fanden sich in den ersten Auswertungen zunächst generelle regionale Unterschiede: „Das Ausmaß an Verschwörungsglauben ist in religiös geprägten Gesellschaften wie Polen und Jordanien höher als in eher säkular geprägten Ländern wie Deutschland. Es ist auch höher in Regionen, in denen Menschen wie in Jordanien und der arabischen Welt über Generationen tatsächlich politische Verschwörungen, auch durch westliche Akteure, erfuhren.“
Verschwörungstheoretiker würden in Debatten „oft als ‚Spinner‘ abgetan und Verschwörungsglaube zu einer Art Krankheit gemacht“, so die Forscher. Um ein besseres Verständnis des Phänomens zu erlangen, wurden sowohl die persönlichen Eigenschaften als auch kollektive, länderspezifische Faktoren erforscht, die den Glauben an Verschwörungstheorien begünstigen.
„In Deutschland und Polen ist die Neigung zu Verschwörungstheorien unter Personen mit autoritären Einstellungen stärker verbreitet.“ Insbesondere in Deutschland gilt dies auch für ältere, weniger gebildete und emotional instabile Personen. Back und Schlipphak schildern ihre Auswertungen auch in Folge 7 des Forschungspodcasts „Religion und Politik“ zum Themenjahr „Zugehörigkeit und Abgrenzung“. Eine wissenschaftliche Beschreibung von Design und Analysen findet sich hier.
In allen untersuchten Ländern grenzen sich Menschen, die Verschwörungstheorien zuneigen, stärker von politischen Eliten und anderen gesellschaftlichen Gruppen ab als andere, so die Forscher weiter. „Welche Gruppen wie stark zum Sündenbock für die Taten der Verschwörungserzählungen gemacht werden, variiert aber über die Länder hinweg: Anhänger von Verschwörungstheorien in Deutschland werten stärker als andere US-amerikanische, jüdische und russische Menschen ab. In Jordanien und eingeschränkt auch in Polen hängt der Verschwörungsglaube stärker mit der Abgrenzung von der Gruppe geflüchteter Menschen zusammen. Damit hat der Verschwörungsglauben in allen Ländern einen großen Einfluss auf die Haltung gegenüber Minderheiten.“ Weiter ergab die Studie: „In Polen führt der Glaube an Verschwörungen zu deutlich weniger Misstrauen in die Regierung als in Deutschland und Jordanien. Auch hängen in Deutschland die Unterstützung populistischer Parteien und der Verschwörungsglaube eng zusammen, in Polen aber nicht“, so Back und Schlipphak.
Sinngebung in einer komplexen Welt
„Insgesamt sehen wir, dass der Glaube an Verschwörungstheorien eine abgrenzende Funktion hat, die einen Ersatz für Sinn und Zugehörigkeit in einer komplexen Welt liefert. Menschen schaffen sich durch den Glauben an Verschwörungstheorien sowohl ein kohärentes und sicheres Weltbild als auch die soziale Zugehörigkeit zu einer Gruppe ‚Eingeweihter‘“, erläutern die Sozialwissenschaftler. Da hiermit ein Misstrauen in politische Institutionen und die Abgrenzung zu gesellschaftlichen Gruppen einhergehe, trage Verschwörungsmentalität zur Polarisierung innerhalb und zwischen Gesellschaften bei.
„Der Glaube an Verschwörungstheorien hat also problematische Effekte für den gesellschaftlichen Zusammenhalt.“ Erste Ergebnisse der vor Beginn der Datenerhebung bereits festgelegten Analysen finden sich in einem Essay-Beitrag auf der Website des Exzellenzclusters. Ein Manuskript mit weiteren Auswertungen der Daten befindet sich derzeit in wissenschaftlicher Begutachtung, weitere Aufsätze werden zeitnah eingereicht. (sca/vvm)
- Präregistrierung von Design und Analysen: https://osf.io/bzpmh
- Publikationen: Eine Zusammenfassung der ersten Auswertungen der präregistrierten Analysen findet sich hier. Weitere Ergebnisse sind derzeit in wissenschaftlicher Begutachtung.
Quellenangabe: Pressemitteilung Uni Münster
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