Laufen als „Flucht“? Zwei Arten von Eskapismus beim Freizeitlauf und ihre Beziehung zu Sportsucht und subjektivem Wohlbefinden
25.01.2023 Freizeitlaufen bietet viele Vorteile für die körperliche und geistige Gesundheit – aber manche Menschen können eine Trainingsabhängigkeit entwickeln, eine Art Sucht nach körperlicher Aktivität – eine Laufsucht, die gesundheitliche Probleme verursachen kann.
Erschreckenderweise sind Anzeichen solch einer Sportsucht selbst bei Freizeitläufern weit verbreitet. In einer in der Zeitschrift Frontiers in Psychology veröffentlichten Studie wurde untersucht, ob das Konzept des Eskapismus uns helfen kann, die Beziehung zwischen Laufen, Wohlbefinden und Sportsucht zu verstehen.
„Eskapismus ist ein alltägliches Phänomen unter Menschen, aber es ist nur wenig über seine motivationalen Grundlagen, seine Auswirkungen auf das Erleben und die psychologischen Folgen bekannt“, sagt Studienautor Dr. Frode Stenseng von der Norwegischen Universität für Wissenschaft und Technologie.
Adaptiver oder maladaptiver Eskapismus beim Laufen?
Eskapismus wird oft definiert als ‚eine Aktivität, eine Form der Unterhaltung usw., die einem hilft, unangenehme oder langweilige Dinge zu vermeiden oder zu vergessen‘. Mit anderen Worten: Viele unserer alltäglichen Aktivitäten können als Eskapismus interpretiert werden, so Stenseng. „Die psychologische Belohnung für Eskapismus ist eine verringerte Selbstwahrnehmung, weniger Grübeln und eine Entlastung von den drängendsten oder belastenden Gedanken und Gefühlen.
Eskapismus kann die Perspektive wiederherstellen oder von Problemen, die angegangen werden müssen, ablenken. Adaptiver Eskapismus, bei dem positive Erfahrungen gesucht werden, wird als Selbstexpansion bezeichnet. Maladaptiver Eskapismus, bei dem negative Erfahrungen vermieden werden, wird hingegen als Selbstunterdrückung bezeichnet. Also: Laufen als Suche oder als Flucht.
Diese beiden Formen des Eskapismus haben ihren Ursprung in zwei unterschiedlichen Denkweisen, um eine positive Stimmung zu fördern oder eine negative Stimmung zu vermeiden, so Stenseng.
Eskapistische Aktivitäten, die der Selbstexpansion dienen, haben mehr positive Auswirkungen, aber auch mehr langfristigen Nutzen. Bei der Selbstunterdrückung hingegen werden sowohl positive als auch negative Gefühle unterdrückt, und es kommt zu Vermeidungsverhalten.
Selbstexpansion/Selbstunterdrückung in Verbindung mit Trainingsabhängigkeit
Das Team rekrutierte 227 Freizeitläufer, zur Hälfte Männer und zur Hälfte Frauen, mit sehr unterschiedlichen Laufgewohnheiten. Sie sollten Fragebogen ausfüllen, die drei verschiedene Aspekte von Eskapismus und Sportsucht untersuchten: eine Eskapismus-Skala, mit der die Präferenz für Selbstexpansion oder Selbstunterdrückung gemessen wurde, eine Skala zur Sportsucht und eine Skala zur Lebenszufriedenheit, mit der das subjektive Wohlbefinden der Teilnehmer gemessen wurde.
Die Wissenschaftler fanden heraus, dass es nur sehr wenige Überschneidungen zwischen Läufern gab, die die Selbstexpansion bevorzugen, und Läufern, die die Selbstunterdrückung als Eskapismus vorziehen. Die Selbstexpansion stand in einem positiven Zusammenhang mit dem Wohlbefinden, während die Selbstunterdrückung in einem negativen Zusammenhang mit dem Wohlbefinden stand. Sowohl die Selbstunterdrückung als auch die Selbstexpansion standen in Zusammenhang mit der Trainingsabhängigkeit, aber die Selbstunterdrückung war viel stärker mit ihr verbunden.
Keiner der beiden Eskapismus-Modi war mit dem Alter, dem Geschlecht oder der mit Laufen verbrachten Zeit verbunden, aber beide beeinflussten die Beziehung zwischen Wohlbefinden und Sportsucht. Unabhängig davon, ob eine Person die Kriterien für Sportabhängigkeit erfüllte oder nicht, war eine Neigung zur Selbstentfaltung immer noch mit einem positiveren Gefühl des eigenen Wohlbefindens verbunden.
Obwohl die Trainingsabhängigkeit den potenziellen Gewinn an Wohlbefinden durch Sport untergräbt, scheint es, dass die Wahrnehmung eines geringeren Wohlbefindens sowohl eine Ursache als auch ein Ergebnis der Trainingsabhängigkeit sein kann: Die Abhängigkeit könnte sowohl durch ein geringeres Wohlbefinden bedingt sein als auch dieses fördern.
In ähnlicher Weise könnte das Erleben einer positiven Selbstentfaltung ein psychologisches Motiv sein, das die Bewegungsabhängigkeit fördert.
„Es sind weitere Studien mit Längsschnittdesigns erforderlich, um mehr über die motivationale Dynamik und die Ergebnisse des Eskapismus herauszufinden“, so Stenseng. „Aber diese Ergebnisse könnten Menschen dabei helfen, ihre eigene Motivation zu verstehen, und sie könnten für therapeutische Zwecke bei Personen genutzt werden, die ein maladaptives Engagement in ihrer Aktivität anstreben.“
© Psylex.de – Quellenangabe: Frontiers in Psychology – DOI: 10.3389/fpsyg.2022.1035196