Depression: Geschlechtsspezifische Unterschiede

Das Geschlecht als biologische Variable in der Depressionsforschung

Depression: Geschlechtsspezifische Unterschiede

02.08.2023 Der Aufbau einer soliden, unvoreingenommenen Forschungsliteraturgrundlage wird dazu beitragen, wirksamere und geschlechtsspezifische Biomarker für das Auftreten von Depressionen zu finden und eine bessere Behandlung zu ermöglichen, sagte Georgia Hodes, Assistenzprofessorin an der School of Neuroscience des Virginia Tech College of Science.

Hodes und ihr Mitautor Dawson Kropp, ein Doktorand der Neurowissenschaften, haben in einem kürzlich in der Zeitschrift Nature Mental Health veröffentlichten Artikel einige bemerkenswerte Ergebnisse zu den geschlechtsspezifischen Unterschieden bei Depressionen zusammengefasst.

Dazu gehören die folgenden:

  • Im Vergleich zu Männern haben Frauen ein doppelt so hohes Risiko, an Depressionen und Angststörungen zu erkranken, erleben ihre erste depressive Episode früher und haben mehr kumulative Episoden im Laufe ihres Lebens.
  • Männer werden wegen der geschlechtsspezifischen Unterschiede bei den Symptomen möglicherweise unterdiagnostiziert, und es ist wahrscheinlicher, dass sie ihre Symptome nach außen tragen, Wut oder Gewalttätigkeit zeigen und eine komorbide Drogen- oder Alkoholabhängigkeit aufweisen.
  • Bei verschiedenen Zelltypen im Gehirn gibt es geschlechtsspezifische Unterschiede in Bezug auf das Ausgangsniveau und den Stress, der durch sie verursacht wird. So weisen beispielsweise Mikroglia, die Immunzellen des zentralen Nervensystems, im Laufe der Entwicklung und im Erwachsenenalter bei Männern und Frauen unterschiedliche Ausgangsbedingungen auf, was zu den Geschlechtsunterschieden bei psychiatrischen Störungen beitragen kann.
  • Männer scheinen anfälliger für pränatalen oder frühkindlichen Stress zu sein, was zu stressbedingten Veränderungen in Physiologie und Verhalten während der Jugendzeit führt. Veränderungen im Verhalten von Frauen treten möglicherweise erst nach der Pubertät auf.

Neben der Erörterung der Forschungsergebnisse geht der Artikel auch auf die Notwendigkeit für Pharmaunternehmen ein, sich darüber im Klaren zu sein, dass es sich bei Depressionen um eine heterogene Störung handelt und dass eine Pille nicht für alle geeignet ist.

Tatsächlich, so Hodes, erregte das Problem der unzureichenden Erforschung von Frauen erstmals öffentliche Aufmerksamkeit, als acht von zehn Medikamenten, die von der Food and Drug Administration zwischen 1997 und 2001 vom Markt genommen wurden, bei Frauen ein größeres Risiko für unerwünschte Wirkungen aufwiesen als bei Männern.

„In einer Zeit, in der andere Bereiche der Medizin zu individualisierten Behandlungen übergehen, sollte die Berücksichtigung des Geschlechts im Bereich der psychischen Gesundheit eine Selbstverständlichkeit sein“, so Hodes.

Hodes und Kropp schlagen vor, dass künftige Studien über die Frage hinausgehen, ob es geschlechtsspezifische Unterschiede gibt – eine Frage, auf die sich die Forscher seit 2016 konzentrieren – und sich fragen, warum es geschlechtsspezifische Unterschiede gibt und wie diese Unterschiede bei der Entwicklung personalisierter Therapeutika helfen können.

Die Autoren sprechen auch die Notwendigkeit an, Transgender- und Intersex-Populationen in Studien einzubeziehen, um besser zu verstehen, wie sie mit der Gesamtbevölkerung zusammenhängen. Dabei sollte auch untersucht werden, wie sich die langfristige Einnahme von hormonellen Verhütungsmitteln oder Hormonbehandlungen durch Transgender-Personen auf die psychische und physische Gesundheit auswirkt.

„Wenn wir in unseren klinischen Studien nur gleichgeschlechtliche Populationen verwenden, wiederholen wir die gleichen Fehler, die frühere Forscher gemacht haben, die nur Männer einbezogen haben“, sagte Hodes.

© Psylex.de – Quellenangabe: Nat. Mental Health 1, 453–461 (2023). https://doi.org/10.1038/s44220-023-00083-3

News zu: Geschlechtsspezifische Unterschiede bei Depression

Ist die finanzielle Benachteiligung im Job schuld daran, dass Frauen eher unter Depression und Angststörungen leiden als Männer?

05.01.2016 Die Wahrscheinlichkeit für eine klinische depressive Störung oder eine generalisierte Angststörung ist für Frauen deutlich höher als für ihre männlichen Gegenstücke, wenn sie auf Ausbildung und Erfahrung abgestimmt werden laut einer Studie der Columbia University.

Erhöhtes Depressionsrisiko

Die Wahrscheinlichkeit, dass eine Frau mit Depression diagnostiziert wird, ist fast doppelt so hoch wie bei einem Mann. Dieses Ungleichgewicht sieht völlig anders aus, wenn die Gehaltsunterschiede der Geschlechter mit in die Rechnung einbezogen werden: Frauen, deren Einkommen niedriger war als das ihrer männlichen Gegenstücke, hatten ein fast 2,5-fach höheres Depressionsrisiko im Vergleich zu den Männern.

Frauen jedoch, deren Einkommen dem ihrer männlichen Kollegen entsprach oder überstieg, hatten genau das gleiche Risiko wie ihre männlichen Pendants.

Generalisierte Angststörung

Die Ergebnisse waren für die generalisierte Angststörung ähnlich. Insgesamt war die Wahrscheinlichkeit für eine Angststörung (im letzten Jahr) mehr als 2,5mal höher als bei den Männern.

War das Einkommen der Frau niedriger, stieg ihr Risiko für diese Angststörung auf über 400%. Hatten die Frauen ein ähnlich hohes oder höheres Einkommen, sank die Gefahr für eine Angststörung immens.

Die Daten basieren auf einer repräsentativen Probe von 22.581 arbeitenden Personen in den USA im Alter zwischen 30 und 65. (Anm.: Auch in Deutschland gibt es große Einkommensunterschiede zwischen den Geschlechtern. Die Unterschiede hier gehören zu den größten in Europa: Nach den neuesten Zahlen des Statistischen Bundesamts sind die durchschnittlichen Stundenlöhne der Frauen um 22% niedriger als die der Männer).

„Unsere Ergebnisse zeigen, dass ein Teil der Geschlechterunterschiede bei Depression und Angst durch die Auswirkungen struktureller Geschlechterungleichheit im Job und darüber hinaus erklärt werden kann“, sagte Studienautor Jonathan Platt.

Psychosoziale Ursachen

Die sozialen Prozesse, die Frauen bestimmte Aufgaben zuweisen, sie weniger verdienen lassen als ihre äquivalenten männlichen Pendants, und Genderdifferenzen bei der häuslichen Arbeit erzeugen, haben materielle und psychosoziale Folgen, sagte er in der Zeitschrift Social Science & Medicine.

Wenn Frauen diese negativen Erfahrungen eher als Reflexion einer minderwertigen Leistung und nicht als das Resultat einer Diskriminierung verinnerlichen, besteht ein erhöhtes Risiko für Depression und Angststörungen, sagte Platt.

Koautorin Katherine Keyes sagte dazu, dass man weithin der Auffassung wäre, die Geschlechterdifferenzen bei Depression und Angststörungen seien biologisch verwurzelt. Doch diese Befunde betonen, dass die Unterschiede stärker gesellschaftlich verankert sind, als man zuvor angenommen hat.

„Die Genderunterschiede bei den psychiatrischen Störungen sind also beeinflussbar und entstehen durch unfaire Behandlung.“

© PSYLEX.de – Quellenangabe: Columbia University, Social Science & Medicine; Jan. 2016

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