Depression und Stress

Ein Teufelskreis: Forscher untersuchen Depression als Ursache und Folge von Stress

Depression und Stress

08.11.2023 Angela Santee beschäftigt sich mit Stress. Die Psychologiestudentin der University of Rochester hatte mehrere Jahre lang Forschungsergebnisse über die Entstehung von Stress und Depressionen gesichtet und an einer gründlichen Metaanalyse gearbeitet.

Unter der Leitung von Lisa Starr, einer Professorin am Fachbereich Psychologie der Universität Rochester, fragte sich Santee, ob die vorhandenen Studien das Modell der Stressentstehung bestätigen würden, das 1991 von der Psychologieprofessorin Constance Hammen von der University of California in Los Angeles entwickelt worden war, die wiederum Starrs Mentorin nach ihrer Promotion gewesen war.

Hammens Modell hatte zwar in den letzten drei Jahrzehnten zahlreiche Forschungsarbeiten ausgelöst, doch die daraus resultierende Literatur war nie quantitativ zusammengefasst worden. Ein lohnendes Unterfangen, dachten Santee und ihre Betreuerin Starr.

Doch ohne dass sie es wussten, arbeitete Katerina Rnic, eine Postdoc-Stipendiatin an der University of British Columbia in Vancouver, rund 2.800 Meilen nordwestlich von ihnen an einer ähnlichen Studie.

Insgesamt wurden 95 Längsschnittstudien mit 38.228 Studienteilnehmern und mehr als 30 Jahren Forschung analysiert.

Depression und Stressgenerierung

Die neue quantitative US-kanadische Metaanalyse kommt in Übereinstimmung mit dem Modell von Hammen zu dem Schluss, dass Psychopathologie – wie psychische Erkrankungen oder Störungen, einschließlich Depressionen – abhängige belastende Lebensereignisse (Ereignisse, zu denen die Person zumindest teilweise beigetragen hat) stärker vorhersagt als unabhängige (schicksalhafte) Ereignisse. Mit anderen Worten: Menschen, die unter psychischen Störungen leiden, geraten mit größerer Wahrscheinlichkeit in selbstverschuldete Stresssituationen.

Psychologen bezeichnen dieses Phänomen als Stressgenerierung, bei der die depressive Person eher ein aktiver Mitwirkender als ein passiver Akteur in ihrem eigenen Umfeld ist.

„Menschen mit Depressionen neigen eher dazu, sich mit anderen zu streiten oder die Erledigung wichtiger Aufgaben am Arbeitsplatz oder zu Hause aufzuschieben“, erklärt Co-Autor Rnic. „Dies kann zu mehr Stress in ihren Beziehungen, bei der Arbeit, in der Ausbildung, bei den Finanzen und der Gesundheit führen – in allen Lebensbereichen.“

Das Team fand jedoch heraus, dass die Theorie der Stressgenerierung nicht nur für Menschen mit Depressionen gilt, sondern auch für viele andere psychische Störungen, wie Angstzustände, Persönlichkeitsstörungen, Drogenkonsum und Störungen in der Kindheit.

Einfluss auf das Ausmaß des Stresses

Dieses Ergebnis ist nach Ansicht des Teams von entscheidender Bedeutung, da es bedeutet, dass die Menschen einen gewissen Einfluss auf das Ausmaß des Stresses haben, den sie erleben.

Vor allem aber liefert die neue Metaanalyse deutliche Hinweise darauf, dass die Erzeugung von Stress ein Faktor zu sein scheint, der die Depression einer Person aufrechterhält und fördert. „Dieser Befund ist von entscheidender Bedeutung, denn der Hauptgrund, warum Depressionen eine solche Belastung für die Gesellschaft darstellen, ist, dass sie ein wiederkehrendes und oft chronisches Problem sind“, so Starr.

Den Teufelskreis durchbrechen
Wenn man in der Lage ist, die sich selbst aufrechterhaltende Stresserzeugung mit spezifischen Interventionen zu bekämpfen, kann man die psychische Erkrankung oder psychische Störung einer Person verbessern. Aus diesem Grund haben die Forscher ein zweites Projekt in Angriff genommen: Sie haben versucht, die spezifischen Prozesse zu isolieren, die zur Entstehung von Stress im Leben beitragen. Behandlungen, die auf die Stressgenerierung abzielen, könnten „die persönlichen und wirtschaftlichen Kosten psychischer Störungen“ reduzieren, schreibt das Team und stellt fest, dass die Stressgenerierung „formbar“ ist.

Das Ergebnis ist eine zweite Metaanalyse, die in der Zeitschrift Clinical Psychology Review veröffentlicht wurde und sowohl die veränderbaren Risiko- als auch die Schutzfaktoren bei der Stressentstehung untersuchte. Dabei wurden die Ergebnisse von 70 Studien mit insgesamt fast 40.000 Teilnehmern berücksichtigt, die wiederum mehr als 30 Jahre Forschung umfassen.

Risikofaktoren der Stressgenerierung

Das Team fand gemeinsame Risikofaktoren, die die Stressgenerierung einer Person im Laufe der Zeit vorhersagen, darunter persönliche Eigenschaften und Verhaltensweisen, die häufig mit psychischen Störungen wie Depressionen in Verbindung gebracht werden, unwirksame zwischenmenschliche Emotionsregulation (z. B. übermäßige Suche nach Bestätigung durch andere), sich wiederholende negative Gedanken (einschließlich Grübeln und Sorgen), übermäßige Ansprüche an sich selbst und die Tendenz, sich zurückzuziehen oder herausfordernde Situationen oder soziale Interaktionen zu vermeiden.

Die Berücksichtigung dieser Risikofaktoren in den Behandlungskonzepten, so die Autoren, könnte entscheidend sein, um den Teufelskreis von Depressione bzw. psychischen Störungen und Stressgenerierung zu durchbrechen. Das Team stellte auch fest, dass präventive Faktoren noch nicht ausreichend untersucht wurden.

Der Silberstreif am Horizont, der während der Analyse deutlich wurde, ist jedoch, dass abhängiger Stress beeinflussbar ist und dass die Menschen Einfluss nehmen können.

© Psylex.de – Quellenangabe: Psychological Bulletin (2023). DOI: 10.1037/bul0000390

News zu Depression und Stress

Depressiv, weil allergisch gegen Stress

17.10.2012 Neue Forschungsergebnisse vom Mount Sinai Medical Center, New York, behaupten, dass extreme Empfindlichkeit in Bezug auf Stress, die Anfälligkeit gegenüber Depression erhöhen kann – zumindest bei Mäusen.

Zuviel Interleukin-6 macht depressiv

Mäuse, deren Immunsysteme auf Stress reagieren, indem sie zuviel Interleukin-6 (reguliert die Entzündungsreaktion des Organismus) produzieren, wurden wahrscheinlicher depressiv.

Normalerweise wird Interleukin-6 von weißen Blutzellen als Reaktion auf Verletzungen freigegeben. Die Komponente zeigt sich auch in erhöhten Mengen bei Menschen mit behandlungsresistenter Depression.

Die Forschung wurde von Georgia Hodes, PhD, vom Fachbereich der Neurobiologie am Mount Sinai durchgeführt.

Stress als Allergen

Interleukin-6
Kristall Struktur von Interleukin-6

Hodes bemerkt, dass man sich Stress als Allergen (wie Haustier Hautschuppen) denken kann, wobei ein überreaktives Immunsystem, eine Person wahrscheinlicher für Depressionen anfällig macht.

Die Forscher fanden keinen Beleg für die Produktion von Interleukin-6 in den untersuchten Gehirnbereichen, was sie annehmen läßt, dass es im peripheren Immunsystem freigegeben wird.

Also transplantierte das Sinai Team das Knochenmark von depressiven Mäusen in gesunde Mäuse und stellte fest, dass diese zuvor gesunden Mäuse nun Zeichen von Depression zeigten, nachdem sie leicht gestresst wurden.

Sie stellten auch fest, dass Mäuse mit Immun-Zellen, die mehr Interleukin-6 als Reaktion auf ein Toxin freigaben, schwerwiegendere depressive Reaktionen auf den Stress entwickelten.

Zytosinbasierte Antikörper gegen Depressionen

“Diese Studie zeigt, dass zytosinbasierte Antikörper-Therapie, die für die Behandlung von Entzündungskrankheiten wie rheumatische Arthritis und Castleman Krankheit bei Menschen gegenwärtig genehmigt ist, Potential für die Behandlung von Depressionen hat”.

“Es scheint wie eine Analogie zu einer Allergie zu sein”, sagte Dr. Hodes einer Nachrichtenorganisation.

“Sie haben etwas, das nicht wirklich gefährlich ist, aber Ihr Körper denkt, dass es das ist, so dass diese massive Immunreaktion ausgelöst wird. In diesem Fall ist der Stressor das, wofür diese massive Immunreaktion ist”.
Manche der Medikamente, die bei der Studie verwendet wurden, um diese Immunreaktion zu dämpfen, sind schon auf dem Markt. Sie werden bei rheumatischer Arthritis bei Menschen eingesetzt, sagte Hodes.

Die Forscher arbeiten jetzt mit Mäusen, die genetisch verändert worden sind, damit sie nicht mehr IL-6 produzieren können, um zu untersuchen, ob diese Tiere als Knochenmarksspender benutzt werden können, um stressanfällige Mäuse zu heilen.

© PSYLEX.de – Quellenangabe: Mount Sinai Medical Center – 2012

Stressgebundene Depression verursacht Zellschäden

27.04.2015 Forscher der University of Oxford haben entdeckt, dass klinische Depression mit Stoffwechsel- und Zellveränderungen verbunden ist.

“Wir haben einen unerwarteten Zusammenhang zwischen zellulärer Energetik und klinischer Depression entdeckt”, sagte Professor Jonathan Flint.

Flint und seine Kollegen entdeckten diese Verbindung zufällig, als sie nach Genen suchten, die das Risiko für klinische Depression erhöhen. Dazu analysierten sie die DNS (Träger des Erbgutes) von Frauen mit wiederauftretender klinischer Depression, von denen viele über Kindheitsmissbrauch berichteten.

Mehr mitochondriale DNS

Die Forscher bemerkten etwas Ungewöhnliches in deren DNS. Die DNS von Frauen mit stressgebundener Depression enthielten mehr mitochondriale DNS als andere Proben (Mitochondrien sind u.a. für die Energieproduktion in den Zellen verantwortlich und haben ein eigenes Genom – das sogenannte Chondriom).

symptome
Bild: George Hodan (pixabay/PublicDomainPictures)

“Dieser Unterschied bei der mitochondrialen DNS überraschte uns so sehr, dass wir erst dachten wir hätten einen Fehler gemacht”, sagte Flint in Current Biology.

Die neue Entdeckung veranlasste Flint und sein Team ein anderes molekulares mit Depression verbundenes Phänomen aus einer früheren Studie zu prüfen.

Verkürzung der Telomere

Telomere – sich an den Enden der Chromosomen befindliche, sich wiederholende DNS-Sequenzen – verkürzen sich mit jeder Zellteilung (und deshalb mit dem Alter). Veränderungen des Stoffwechsels können die Alterungsrate ändern. Die Forscher fragten sich also, ob sie auch eine Veränderung bei der Erosion der Telomere entdecken könnten. Und tatsächlich gibt es eine Veränderung: Die Telomere verkürzten sich schneller bei klinischer Depression.

Deshalb führte Flints Team ein Experiment mit Labormäusen durch, die vier Wochen unter Stress gesetzt wurden. Es zeigte sich, dass der Stress nicht nur beide molekulare Veränderungen verursachte, sondern dass die Änderungen teils rückgängig und durch die Verabreichung des Stresshormons Corticosteron ausgelöst werden können.

Versuch mit starken Umgebungsstress fertigzuwerden

Flint sagt, dass die beobachteten molekularen Veränderungen eine Weise des Körpers reflektieren könnten, mit der er versucht, mit starken Umweltstressoren zurechtzukommen. Wenn unser Gehirn eine Bedrohung wahrnimmt – z. B. Lebensmittelknappheit oder Missbrauch – könnte es eine Reihe schützender Stoffwechselveränderungen einleiten.

“Depression könnte dann in einem gewissen Sinn als eine Stoffwechselreaktion auf wahrgenommenen Stress betrachtet werden”, sagt Flint.

Die Forscher hoffen auch, dass die molekularen Veränderungen als Biomarker von Stress und seine Folgen dienen können. Es ist zum Beispiel möglich, dass ein Rückgang der mitochondrialen DNS bei der Therapie als ein Zeichen für den Behandlungserfolg gesehen werden könnte.

Weitere Forschungsarbeit ist nötig, sagt Flint. Die Wissenschaftler wollen herausfinden, wie sich die molekularen Marker im Laufe der Zeit – vor, während und nach einer depressiven Erkrankung ändern. Diese Informationen werden einiges über ihre klinische Verwendbarkeit sagen.

© PSYLEX.de – Quellenangabe: University of Oxford, Current Biology; April 2015

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