Autismus: Gehirn, Gehirnentwicklung

Verbirgt sich Autismus in einer Falte des Gehirns?

18.01.2016 Autismus-Spektrum-Störungen werden mit einer anormalen Entwicklung des Gehirns verbunden. Neue Neuroimaging-Befunde haben insbesondere die Existenz einer anormalen kortikalen Faltung (Faltenausbildung auf der Oberfläche des Gehirns) nahegelegt.

Bisher schafften es aber die normalen neuroanatomischen Messtechniken nicht, einen für diese Störung spezifischen Marker zu entdecken.

Der tiefste Punkt des Sulcus

Wissenschaftler des Institut de Neurosciences de la Timone (CNRS/Aix-Marseille Université) fokussierten sich auf einen neuen geometrischen Marker: „sulcal pit“. Dies ist der tiefste Punkt eines jeden Sulcus (Furche, Graben) im zerebralen Cortex, von dem aus sich alle Falten auf der Oberfläche des Gehirns entwickeln. Sie entstehen deshalb in einer sehr frühen Entwicklungsphase – wahrscheinlich unter genetischem Einfluss; d.h., sie sind Indikatoren, die Vergleiche zwischen verschiedenen Individuen ermöglichen.

Mithilfe der MRT-Scans untersuchten die Wissenschaftler die Tiefen der Sulci von 102 Jungen im Alter von 2 bis 10 Jahren, die in drei Gruppen eingeteilt wurden: mit autistischer Störung, mit tief greifender Entwicklungsstörung, nicht näher bezeichnet (ICD-10 F84.9) und normal entwickelte Kinder.

Maximaltiefe bei autistischen Kindern geringer

Sie verglichen diese drei Gruppen und entdeckten, dass im Broca-Areal (einer Region, die mit Sprache und Kommunikation verbunden ist) die Maximaltiefe eines Sulcus bei autistischen Kindern geringer war im Vergleich zu den anderen beiden Gruppen.

Interessanterweise stand diese hoch-lokalisierte Atrophie mit der sozialen Kommunikationsperformance von Kindern in der autistischen Gruppe in Verbindung: Je flacher der Sulcus war, desto beeinträchtigter war ihre Fähigkeit in Bezug auf die Sprachproduktion, sagten die Studienautoren Lucile Brun, Guillaume Auzias und Kollegen in der Zeitschrift Biological Psychiatry: Cognitive Neurosciences and Neuroimaging.

Potentielle objektive Diagnose ab zwei Jahren

Diese Anomalie – spezifisch für autistische Kinder – könnte deshalb einen Biomarker für diese Erkrankung darstellen, und eine frühere Diagnose und Behandlung (ab dem 2. Lebensjahr) ermöglichen. Derzeit kann Autismus nur auf der Grundlage klinischer Anzeichen über die Beobachtung von Kindern und Interviews mit ihren Eltern diagnostiziert werden.

Diese Studie hat auch eine weitere die Gehirnentwicklung betreffende Entdeckung ermöglicht. Während zuvor noch angenommen wurde, dass die kortikale Faltung bei der Geburt vollständig ist, beobachteten die Wissenschaftler, dass einige (der oberflächlichsten) Falten auch danach noch fortfuhren, sich zu vertiefen, und zwar bei den autistischen genauso wie bei den anderen Kindern.

© PSYLEX.de – Quellenangabe: Aix-Marseille Université, Biological Psychiatry: Cognitive Neurosciences and Neuroimaging; Jan. 2016

Autisten haben einzigartige (idiosynkratische) Gehirnvernetzungen

20.01.2015 Frühere Forschungsstudien haben eine Über- oder Untersynchronisation zwischen den verschiedenen Gehirnregionen bei Menschen mit Autismus vorgefunden (im Vergleich zu Nicht-Autisten). Die Autoren der neuen Studie sagen, dass diese anscheinend widersprüchlichen Befunde möglicherweise widerspiegeln, dass Autisten einzigartige Synchronisationsmuster haben könnten.

Muster der Gehirnvernetzungen

In ihrer jüngsten Studie analysierten Marlene Behrmann und ihre Kollegen (Carnegie Mellon University) Gehirnscan-Daten von Menschen mit und ohne Autismus während sie ruhten.

„Studien von Gehirnen im Ruhestadium sind wichtig, weil dann Muster spontan auftauchen. Dies zeigt uns, wie verschiedene Gehirnbereiche natürlich miteinander verbunden sind und ihre Aktivität synchronisieren“, erklärte Studienkoautorin Avital Hahamy in der Zeitschrift Nature Neuroscience.

Der Befund: Alle Personen ohne Autismus hatten ähnliche Synchronisationsmuster, während die Autisten eine viel größere individuelle Variation zeigten.

Gestörte Interaktionen

Vom frühen Kindesalter an werden die Gehirnvernetzungen normalerweise durch intensive Interaktionen mit anderen Menschen und Umweltfaktoren geformt. Solche gemeinsamen Erfahrungen lassen die Synchronisationsmuster im ausgeruhten Gehirn der Nicht-Autisten tendentiell ähnlich aussehen, sagte Hahamy vom Weizmann Institute in Rehovot, Israel.

Es ist möglich, dass jeder Autist ein einzigartiges, individuelles Gehirnorganisationsmuster entwickelt, da die Interaktionen mit der Umgebung für Autisten gestört verlaufen, fügte Hahamy hinzu.

Dies ist nur eine vorläufige Erklärung, und weitere Forschungsarbeit ist nötig, um die Faktoren zu bestimmen, die bei Autisten diese einzigartigen (idiosynkratischen) Gehirnvernetzungsmuster verursachen können, bemerkten die Studienautoren.

Die neuen Befunde könnten bei Diagnose und der Suche nach neuen Behandlungsmöglichkeiten helfen, fügten sie hinzu.

© PSYLEX.de – Quellenangabe: Carnegie Mellon University, Nature Neuroscience; Jan. 2015

Der ‚Taktgeber‘ im Gehirn tickt anders bei Autismus

14.02.2019 Die neuronalen „Zeitfenster“ in bestimmten kleinen Hirnarealen tragen zu den komplexen kognitiven Symptomen von Autismus bei, wie eine in eLife publizierte Forschungsarbeit zeigt.

In einer Hirnbildgebungsstudie mit Erwachsenen wurde die Schwere der autistischen Symptome damit in Verbindung gebracht, wie lange diese Hirnareale Informationen gespeichert haben.

Störung der intrinsischen Zeitabläufe im Gehirn

Die Unterschiede in den neuronalen zeitlichen Abläufen können autistischen Merkmalen wie Überempfindlichkeit zugrundeliegen und könnten als zukünftiges Diagnoseinstrument nützlich sein.

Sensorische Bereiche des Gehirns, die von Augen, Haut und Muskeln Input bekommen, haben in der Regel kürzere Verarbeitungszeiten als Bereiche höherer Ordnung, die Informationen integrieren und das Gedächtnis und die Entscheidungsfindung steuern. Die neue Studie zeigt, dass diese Hierarchie der intrinsischen neuronalen Zeitabläufe beim Autismus gestört sind.

Es wird angenommen, dass die atypische Informationsverarbeitung im Gehirn den repetitiven Verhaltensweisen und sozio-kommunikativen Schwierigkeiten zugrundeliegt, die beim gesamten Spektrum der autistischen Neuroentwicklungsstörungen beobachtet werden, aber dies ist einer der ersten Hinweise darauf, dass kleinskalige zeitliche Dynamiken eine übergroße Wirkung haben könnten.

Höhere Sensitivität in Hirnregion

Die Kernspintomographie des Gehirns von hochfunktionellen männlichen Erwachsenen mit Autismus wurde mit denen von Menschen ohne Autismus verglichen. Im Ruhezustand zeigten beide Gruppen das erwartete Muster von längeren Zeitskalen in frontalen Hirnarealen in Verbindung mit der exekutiven Kontrolle und kürzeren zeitlichen Abläufen in sensorischen und motorischen Bereichen.

Kürzere Zeiträume bedeuten eine höhere Sensitivität in einer bestimmten Hirnregion, und die Neuroforscher haben die empfindlichsten neuronalen Reaktionen bei den Menschen mit den schwersten autistischen Symptomen gefunden, sagt Hauptautor Takamitsu Watanabe vom RIKEN Center for Brain Science.

Kaudatum

Ein Gehirnbereich, der das entgegengesetzte Muster zeigte, war das rechte Kaudatum, wo der neuronale Zeitrahmen länger als normal war, besonders bei Personen mit schwerwiegenderem, repetitivem und eingeschränktem Verhalten. Diese Unterschiede in der Hirnaktivität wurden auch in separaten Scans von autistischen und neurotypischen Kindern gefunden.

Das Team aus japanischen und britischen Forschern ist der Meinung, dass strukturelle Veränderungen in kleinen Teilen des Gehirns diese lokale Dynamik mit ASD-Symptomen verbinden.

Veränderungen im Volumen der grauen Substanz

Sie fanden Veränderungen im Volumen der grauen Substanz in den Bereichen mit atypischen neuronalen Zeitverläufen. Eine größere Dichte an Neuronen kann zu wiederkehrenden, sich wiederholenden neuronalen Aktivitätsmustern beitragen, die den längeren und kürzeren Zeiträumen zugrundeliegen, die im rechten Kaudatum bzw. in bilateralen sensorischen/visuellen Cortizes beobachtet wurden.

Die neuronalen Zeitabläufe sind ein Maß dafür, wie vorhersehbar die Aktivität in einer bestimmten Gehirnregion ist. Die kürzeren Zeitskalen, die die Neurowissenschaftler bei den autistischen Teilnehmern beobachteten, deuten darauf hin, dass ihr Gehirn Schwierigkeiten hat, sensorischen Input so lange wie neurotypische Menschen zu halten und zu verarbeiten, sagt Watanabe.

Das könnte ein herausragendes Merkmal des Autismus erklären, das große Gewicht, das das Gehirn den lokalen sensorischen Informationen beimisst und die daraus resultierende Hypersensibilität der Wahrnehmung, schließt er.

© PSYLEX.de – Quellenangabe: eLife – doi: 10.7554/eLife.42256

Cortexdicke: Kortikale Unterschiede zu Nicht-Autisten

12.05.2019 Eine in Molecular Psychiatry veröffentlichte MRT-Studie untersuchte einige der Diskrepanzen im Zusammenhang mit der Gehirnanatomie bei Autismus-Spektrum-Störungen.

Saashi Bedford vom Douglas Mental Health University Institute, Montreal und Kollegen stellten fest, dass in den meisten Fällen bei den von den Gehirnen von Autisten gemachten Hirnscans größere und dickere Cortices als bei Nicht-Autisten beobachtet werden können, aber auch, dass der Cortex (Hirnrinde) bei Mädchen noch dicker ist und mehr mit der Symptomschwere bei Mädchen verknüpft ist.

Die Hirnforscher fanden auch heraus, dass die extremste Form kortikaler Unterschiede auftrat, wenn die Kinder am jüngsten waren und bei Kindern mit geringerer kognitiver Leistungsfähigkeit, gemessen am Intelligenzquotienten.

© PSYLEX.de – Quellenangabe: Molecular Psychiatry – DOI: 10.1038/s41380-019-0420-6

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