Hippocampus trennt gegenwärtige von vergangenen und zukünftigen Zielen

Studie zeigt, wie der Hippocampus zur Priorisierung der Aktivitäten aktiviert wird

Hippocampus trennt gegenwärtige von vergangenen und zukünftigen Zielen

27.06.2024 Wie unterscheidet unser Gehirn zwischen dringenden und weniger dringenden Zielen? Forscher der Universität Genf (UNIGE) und der Icahn School of Medicine in New York haben untersucht, wie sich unser Gehirn die Ziele, die wir uns täglich setzen, merkt und anpasst.

Ihre Studie offenbart Unterschiede darin, wie wir unmittelbare und ferne Ziele verarbeiten, sowohl auf der Verhaltens- als auch auf der zerebralen Ebene. Diese in der Fachzeitschrift Nature Communications veröffentlichten Ergebnisse könnten erhebliche Auswirkungen auf das Verständnis psychiatrischer Störungen, insbesondere Depressionen, haben, die die Formulierung klarer Ziele behindern können.

Im Laufe des Tages setzen wir uns Ziele, die wir erreichen wollen: die Kinder in einer Stunde von der Schule abholen, in drei Stunden das Abendessen zubereiten, in fünf Tagen einen Arzttermin wahrnehmen oder in einer Woche den Rasen mähen. Diese Ziele – dringende und weniger dringende – werden je nach den Ereignissen des Tages ständig neu definiert.

Forscher der UNIGE und der Icahn School of Medicine am Mont Sinai Hospital in New York haben untersucht, wie sich das Gehirn die zu erreichenden Ziele merkt und aktualisiert. Genauer gesagt, wie das Gehirn aussortiert, welche Ziele sofortige Aufmerksamkeit erfordern und welche nicht.

Ihre Studie konzentrierte sich auf eine bestimmte Hirnregion, den Hippocampus, der für das episodische Gedächtnis eine wichtige Rolle spielt. Diese Region ist für die Kodierung, Konsolidierung und den Abruf persönlich erlebter Informationen zuständig, wobei ihr emotionaler, räumlicher und zeitlicher Kontext berücksichtigt wird.

Eine imaginäre Mission zum Mars in der Zeit eines MRT-Scans

Die Neurowissenschaftler baten 31 Personen, sich in eine imaginäre vierjährige Weltraummission zum Mars zu versetzen, bei der sie eine Reihe von überlebenswichtigen Zielen erreichen mussten (Pflege des Weltraumhelms, Sport treiben, bestimmte Nahrungsmittel essen usw.). Die Missionsziele variierten je nach dem Zeitpunkt, zu dem sie erreicht werden mussten, mit unterschiedlichen Aufgaben für jedes der vier Jahre der Reise.

Im Verlauf der Mission wurden den Teilnehmern immer wieder dieselben Ziele vorgelegt. Sie sollten dann angeben, ob es sich um vergangene, gegenwärtige oder zukünftige Ziele handelte.

Je weiter die Teilnehmer in der Zeit voranschritten, desto mehr veränderte sich die Relevanz dieser Ziele: Ursprünglich für die Zukunft geplante Ziele wurden zu aktuellen Bedürfnissen, während aktuelle Bedürfnisse zu Zielen der Vergangenheit wurden.

Auf diese Weise mussten die Teilnehmer mehrere Ziele in unterschiedlichen zeitlichen Abständen verwalten und ihre Prioritäten mit dem Fortschreiten ihrer Mission aktualisieren.

Priorisierung der unmittelbaren Ziele

Das Team beobachtete die Reaktionszeiten jedes Einzelnen, um festzustellen, ob die Aufgabe in der Gegenwart, in der Vergangenheit oder in der Zukunft erreicht werden sollte. „Ziele, die sofort erreicht werden sollen, werden schneller erkannt als solche, die in ferner Zukunft liegen. Diese unterschiedliche Verarbeitung gespeicherter Informationen zeigt, dass Bedürfnisse in der Gegenwart Vorrang vor solchen in der fernen Zukunft haben. Es kostet zusätzliche Zeit, gedanklich in die Vergangenheit zu reisen, um vergangene und zukünftige Ziele abzurufen“, erklärt Studienautorin Alison Montagrin.

Die Wissenschaftler untersuchten außerdem, ob es auch auf der Ebene des Gehirns Unterschiede gibt. Die mit hochauflösender MRT gewonnenen Bilder zeigten, dass beim Abrufen von Informationen über die Gegenwart der Hippocampus in seinem hinteren Bereich aktiviert wird. Bei der Erinnerung an vergangene oder in der Zukunft zu erreichende Ziele wird dagegen die vordere Region aktiviert.

„Diese Ergebnisse sind besonders interessant, weil frühere Studien gezeigt haben, dass die vordere Region des Hippocampus beim Abrufen allgemeiner Informationen beteiligt ist, wenn wir unser episodisches Gedächtnis oder unser räumliches Gedächtnis abrufen, während der hintere Teil sich mit Details beschäftigt.“

„Es wird daher interessant sein zu untersuchen, ob – anders als bei unmittelbaren Zielen – die Projektion in die Zukunft oder die Erinnerung an ein vergangenes Ziel keine spezifischen Details erfordert, sondern eine allgemeine Darstellung ausreicht“, schließen die Wissenschaftler.

Diese Forschung zeigt, dass die Zeitskala eine entscheidende Rolle dabei spielt, wie Menschen persönliche Ziele setzen. Dies könnte wichtige Auswirkungen auf das Verständnis psychiatrischer Störungen wie Depressionen haben. Menschen, die an Depressionen leiden, können nämlich Schwierigkeiten bei der Formulierung spezifischer Ziele haben und sehen mehr Hindernisse bei der Erreichung ihrer Ziele.

Die Untersuchung der Frage, ob diese Menschen die Entfernung zu ihren Zielen anders wahrnehmen – was sie pessimistisch hinsichtlich ihrer Erfolgschancen machen könnte – könnte einen therapeutischen Weg eröffnen.

© Psylex.de – Quellenangabe: Nature Communications (2024). DOI: 10.1038/s41467-024-48648-9

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