Zusammenhang zwischen negativen Kindheitserfahrungen und der Entwicklung von Multipler Sklerose bei Frauen
05.04.2022 Psychotraumata in der Kindheit können bei Frauen mit einem erhöhten Risiko für die Entwicklung von Multipler Sklerose (MS) verbunden sein, so das Ergebnis einer im Journal of Neurology Neurosurgery & Psychiatry veröffentlichten Studie.
Die beobachteten Zusammenhänge waren am stärksten bei sexuellem Missbrauch und bei Erfahrungen mit verschiedenen Kategorien von Misshandlungen.
Veränderungen des Immunsystems
Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass Kindheitstraumata das Immunsystem verändern und das Risiko für Autoimmunerkrankungen erhöhen können. Missbrauch, Vernachlässigung und ein chaotisches Familienleben werden auch mit einem erhöhten Risiko für eine schlechte geistige und körperliche Gesundheit im Erwachsenenalter in Verbindung gebracht. Es ist jedoch nicht bekannt, ob diese Erfahrungen auch die Anfälligkeit für MS erhöhen könnten.
Um dies herauszufinden, stützten sich die Forscher auf die Teilnehmer der national repräsentativen norwegischen Mutter-, Vater- und Kind-Kohortenstudie.
Sexueller und emotionaler Missbrauch, Misshandlung
Fast 78.000 schwangere Frauen nahmen zwischen 1999 und 2008 an der Studie teil, und ihr Gesundheitszustand wurde bis Ende 2018 überwacht.
Informationen über Missbrauch/Misshandlung in der Kindheit vor dem 18. Lebensjahr wurden anhand von Fragebogen gesammelt, während die Bestätigung von MS-Diagnosen aus verknüpften Daten des nationalen Gesundheitsregisters und aus Krankenhausakten gewonnen wurde.
Insgesamt gaben 14.477 Frauen an, in ihrer Kindheit missbraucht worden zu sein, während dies von 63.520 nicht berichtet wurde. Bei den Frauen mit einer Missbrauchsgeschichte war die Wahrscheinlichkeit höher, dass sie derzeit oder früher rauchten (ein bekannter Risikofaktor für MS), übergewichtig waren und depressive Symptome aufwiesen.
Bei etwa 300 Frauen wurde während des Beobachtungszeitraums MS diagnostiziert, von denen fast jede vierte (71;24 %) angab, als Kind missbraucht worden zu sein, verglichen mit etwa jeder fünften (14.406;19 %) derjenigen, die keine MS entwickelten (77.697).
Nach Berücksichtigung potenziell einflussreicher Faktoren wie Rauchen, Fettleibigkeit, Bildungsniveau und Haushaltseinkommen wurde bei als Kind missbrauchten Frauen mit größerer Wahrscheinlichkeit MS diagnostiziert.
Der beobachtete Zusammenhang war am stärksten bei sexuellem Missbrauch (65 % erhöhtes Risiko), gefolgt von emotionalem Missbrauch (40 % erhöhtes Risiko) und körperlichen Misshandlungen (31 % erhöhtes Risiko).
Dosis-Wirkungs-Beziehung
Das Risiko erhöhte sich weiter, wenn man zwei Kategorien von Missbrauch ausgesetzt war (66 % erhöhtes Risiko), und stieg auf 93 %, wenn man allen drei Kategorien ausgesetzt war, was auf einen „Dosis-Wirkungs“-Zusammenhang hinweist, so die Forscher.
Ähnliche Ergebnisse wurden erzielt, nachdem die Forscher Frauen ausgeschlossen hatten, die sich möglicherweise in der frühen (prodromalen) Phase der MS befanden, als noch keine offensichtlichen Symptome auftraten.
Und der Zusammenhang blieb auch bestehen, wenn Frauen einbezogen wurden, bei denen zu Beginn der Studie bereits MS diagnostiziert worden war.
Da es sich um eine Beobachtungsstudie handelt, kann die Ursache nicht festgestellt werden. Und andere Umweltfaktoren wie Diät, Ernährung, körperliche Aktivität und Rauchen der Eltern, die nicht berücksichtigt wurden, könnten alle unabhängig voneinander wichtig sein, räumen die Forscher ein.
Es fehlten auch einige potenziell wichtige Informationen darüber, wie lange der Missbrauch dauerte, in welchem Alter er begann oder auf welche emotionale Unterstützung die Misshandelten zurückgreifen konnten.
Es könnte jedoch plausible biologische Erklärungen für die gefundenen Zusammenhänge geben, sagen die Forscher. Missbrauch in der Kindheit kann die Signalübertragung im Gehirn und in den Drüsen – die Hypothalamus-Hypophysen-Nebennieren-Achse – stören und einen entzündungsfördernden Zustand hervorrufen, so die Forscher.
© Psylex.de – Quellenangabe: Journal of Neurology Neurosurgery & Psychiatry (2022). DOI: 10.1136/jnnp-2021-328700