Misshandlung in der Kindheit und psychische Gesundheitsprobleme: Eine systematische Überprüfung und Metaanalyse von quasi-experimentellen Studien
11.01.2023 Die Erfahrung von Missbrauch oder Vernachlässigung in der Kindheit kann zu vielfältigen psychischen Problemen führen laut einer neuen Studie unter Leitung von Forschern des University College London (UCL).
In der im American Journal of Psychiatry veröffentlichten Studie wurden die kausalen Auswirkungen von Misshandlungen in der Kindheit auf die psychische Gesundheit untersucht, wobei auch andere genetische und umweltbedingte Risikofaktoren wie eine familiäre Vorbelastung mit psychischen Erkrankungen und sozioökonomische Benachteiligung berücksichtigt wurden.
In der durchgeführten Untersuchung wurden 34 quasi-experimentelle Studien mit über 54.000 Teilnehmern analysiert.
Quasi-experimentelle Studien können Ursache und Wirkung von Beobachtungsdaten besser nachweisen, indem sie spezielle Stichproben (z. B. eineiige Zwillinge) oder innovative statistische Verfahren verwenden, um andere Risikofaktoren auszuschließen. Wenn beispielsweise bei einer Stichprobe von eineiigen Zwillingen ein misshandelter Zwilling psychische Probleme hat, sein nicht misshandelter Zwilling jedoch nicht, kann der Zusammenhang nicht auf die Genetik oder das gemeinsame familiäre Umfeld der Zwillinge zurückzuführen sein.
In den 34 Studien fanden die Forscher leichte Auswirkungen von Kindesmisshandlung auf eine Reihe von psychischen Problemen, darunter internalisierende Störungen (z. B. Depressionen, Angstzustände, Selbstverletzungen und Suizidversuche), externalisierende Störungen (z. B. Alkohol- und Drogenmissbrauch, ADHS und Verhaltensstörungen) und Psychosen. Diese Auswirkungen waren unabhängig von der verwendeten Methode oder der Art und Weise, in der Misshandlung und psychische Gesundheit gemessen wurden, beständig.
Die Ergebnisse legen (statistisch) nahe, dass die Verhinderung von acht Fällen von Kindesmisshandlung eine Person vor der Entwicklung psychischer Probleme bewahren würde.
Die korrespondierende Autorin Dr. Jessie Baldwin (UCL Psychology & Language Sciences) sagte: „Es ist bekannt, dass Kindesmisshandlung mit psychischen Problemen verbunden ist, aber es war unklar, ob dieser Zusammenhang kausal ist oder besser durch andere Risikofaktoren erklärt wird. Diese Studie liefert stichhaltige Belege dafür, dass Misshandlung in der Kindheit leichte kausale Auswirkungen auf psychische Gesundheitsprobleme hat. Obwohl diese Auswirkungen von Misshandlung gering sind, könnten sie weitreichende Folgen haben, da psychische Probleme eine Reihe schlechter Ergebnisse wie Arbeitslosigkeit, körperliche Gesundheitsprobleme und frühe Sterblichkeit vorhersagen. Maßnahmen zur Verhinderung von Misshandlungen sind daher nicht nur für das Wohlergehen von Kindern wichtig, sondern könnten auch langfristiges Leiden und finanzielle Kosten aufgrund psychischer Erkrankungen verhindern.
Die Forscher fanden jedoch auch heraus, dass ein Teil des Gesamtrisikos für psychische Probleme bei Personen, die Misshandlungen ausgesetzt waren, auf bereits bestehende Anfälligkeiten zurückzuführen ist, zu denen auch andere ungünstige Umwelteinflüsse (z. B. sozioökonomische Benachteiligung) und genetische Veranlagung gehören könnten.
Die Forscher definierten Misshandlung in der Kindheit als körperliche, sexuelle oder emotionale Misshandlung oder Vernachlässigung vor dem Alter von 18 Jahren.
© Psylex.de – Quellenangabe: American Journal of Psychiatry – DOI: 10.1176/appi.ajp.20220174
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