Gefangen in einer gefährlichen Welt: Problematischer Nachrichtenkonsum und seine Beziehung zu psychischem und physischem Wohlbefinden
24.08.2022 Menschen mit einem zwanghaften Drang, ständig die Nachrichten zu verfolgen, leiden mit größerer Wahrscheinlichkeit unter Stress, Angstzuständen und körperlichen Erkrankungen laut einer in der Fachzeitschrift Health Communication veröffentlichten neuen Studie.
Negative Nachrichten rund um die Uhr
In den letzten zwei Jahren haben wir eine Reihe besorgniserregender globaler Ereignisse erlebt, von der COVID-Pandemie über den Angriffskrieg Russlands in der Ukraine bis hin zu groß angelegten Protesten, Amokläufen und verheerenden Waldbränden. Viele Menschen fühlen sich beim Lesen negativer Nachrichten zeitweise machtlos und verzweifelt.
Für andere kann die 24-Stunden-Berichterstattung über sich ständig verändernde Ereignisse schwerwiegende Auswirkungen auf das psychische und physische Wohlbefinden haben, wie diese neuen Ergebnisse zeigen: Personen mit einem hohen Grad an Nachrichtensucht (der Sucht nach News) berichten über ein „signifikant höheres physisches Unwohlsein“.
Diese Ereignisse in den Nachrichten mitzuerleben, kann bei manchen Menschen einen ständigen Alarmzustand auslösen, der ihre Überwachungsmotive auf Hochtouren laufen lässt und die Welt als einen dunklen und gefährlichen Ort erscheinen lässt, sagt Bryan McLaughlin, außerordentlicher Professor für Werbung am College of Media and Communication der Texas Tech University.
Teufelskreis wie bei anderen Süchten
„Für diese Menschen kann sich ein Teufelskreis entwickeln, in dem sie, anstatt zu entspannen, immer mehr in die Nachrichten hineinziehen lassen und rund um die Uhr nach Updates suchen, um ihre emotionale Not zu lindern. Aber das hilft nicht, und je mehr sie die Nachrichten verfolgen, desto mehr werden andere Aspekte ihres Lebens davon beeinträchtigt.“
Zur Untersuchung dieses Phänomens, das umgangssprachlich als Nachrichtensucht oder News-Sucht bezeichnet wird, analysierten McLaughlin und seine Kollegen Dr. Melissa Gotlieb und Dr. Devin Mills die Daten einer Online-Umfrage unter 1.100 Erwachsenen in den USA.
Die Studie
In der Umfrage wurden die Befragten gefragt, inwieweit sie Aussagen wie „Ich bin so sehr in die Nachrichten vertieft, dass ich die Welt um mich herum vergesse“, „Mein Geist ist häufig mit Gedanken an die Nachrichten beschäftigt“, „Es fällt mir schwer, mit dem Lesen oder Anschauen der Nachrichten aufzuhören“ und „Ich bin in der Schule oder bei der Arbeit oft unaufmerksam, weil ich die Nachrichten lese oder anschaue“ zustimmen.
Die Befragten wurden auch gefragt, wie häufig sie Stress und Angstgefühle sowie körperliche Beschwerden wie Erschöpfung, körperliche Schmerzen, Konzentrationsschwäche und Magen-Darm-Probleme verspüren.
Die Ergebnisse zeigten, dass 16,5 % der befragten Personen Anzeichen für einen „stark problematischen“ Nachrichtenkonsum aufwiesen. Diese Personen waren häufig so sehr in die Nachrichten vertieft und persönlich involviert, dass diese die Gedanken des Einzelnen im Wachzustand dominierten, die Zeit mit Familie und Freunden störten, es schwierig machten, sich auf Schule oder Arbeit zu konzentrieren, und zu Unruhe und Schlafstörungen führten.
Es mag nicht überraschen, dass Personen mit einem höheren Maß an problematischem Nachrichtenkonsum signifikant häufiger psychische und körperliche Beschwerden hatten als Personen mit einem niedrigeren Maß, selbst wenn man demografische Merkmale, Persönlichkeitsmerkmale und die allgemeine Nachrichtennutzung berücksichtigte.
Psychische und körperliche Beschwerden
Auf die Frage, wie häufig die Umfrageteilnehmer im letzten Monat unter psychischen oder physischen Krankheitssymptomen litten, zeigten die Ergebnisse:
- 73,6 % der Personen mit einem hohen Maß an problematischem Nachrichtenkonsum berichteten, dass sie „ziemlich oft“ oder „sehr oft“ psychische Beschwerden hatten, während nur 8 % aller anderen Studienteilnehmer häufige Symptome angaben.
- 61 % der Personen mit stark problematischem Nachrichtenkonsum berichteten, dass sie sich körperlich „ziemlich“ oder „sehr“ unwohl fühlten, während dies bei allen anderen Studienteilnehmern nur 6,1 % waren.
Laut McLaughlin zeigen die Ergebnisse, dass gezielte Medienkompetenzkampagnen notwendig sind, um den Menschen zu helfen, ein gesünderes Verhältnis zu den Nachrichten zu entwickeln.
„Wir wollen zwar, dass sich die Menschen weiterhin mit den Nachrichten beschäftigen, aber es ist wichtig, dass sie eine gesündere Beziehung zu den Nachrichten haben“, sagt er.
„In den meisten Fällen konzentriert sich die Behandlung von Süchten und zwanghaftem Verhalten auf die vollständige Beendigung des problematischen Verhaltens, da es schwierig sein kann, das Verhalten in Maßen auszuüben.
„Im Fall des problematischen Nachrichtenkonsums hat die Forschung gezeigt, dass Menschen sich dazu entschließen können, ihren Nachrichtenkonsum einzustellen oder zumindest drastisch zu reduzieren, wenn sie feststellen, dass er sich negativ auf ihre psychische Gesundheit auswirkt.
„Frühere Untersuchungen haben beispielsweise gezeigt, dass Personen, die sich der negativen Auswirkungen ihrer ständigen Aufmerksamkeit für die sensationslüsterne Berichterstattung über COVID-19 auf ihre psychische Gesundheit bewusst wurden und sich darüber Sorgen machten, die Entscheidung trafen, sich abzuschalten.
„Das Abschalten geht jedoch nicht nur auf Kosten des Zugangs des Einzelnen zu wichtigen Informationen für seine Gesundheit und Sicherheit, sondern untergräbt auch die Existenz einer informierten Bürgerschaft, was wiederum Auswirkungen auf die Aufrechterhaltung einer gesunden Demokratie hat. Aus diesem Grund ist ein gesundes Verhältnis zum Nachrichtenkonsum eine ideale Situation“.
Darüber hinaus fordert die Studie eine breitere Diskussion darüber, wie die Nachrichtenindustrie das Problem möglicherweise anheizt.
Konzentration der Nachrichtenindustrie auf aufmerksamkeitsheischende News
Der wirtschaftliche Druck, unter dem die Nachrichtenagenturen stehen, gepaart mit dem technologischen Fortschritt und dem 24-Stunden-Nachrichtenzyklus, hat die Journalisten dazu veranlasst, sich auf die Auswahl von ‚berichtenswerten‘ Geschichten zu konzentrieren, die die Aufmerksamkeit der Nachrichtenkonsumenten erregen, sagt McLaughlin.
„Für bestimmte Personengruppen sind die Konflikte und die Dramatik, die die Nachrichten kennzeichnen, nicht nur aufmerksamkeitsheischend, sondern können auch zu einem gestörten Verhältnis zu den Nachrichten führen. Die Ergebnisse unserer Studie unterstreichen, dass der kommerzielle Druck, dem die Nachrichtenmedien ausgesetzt sind, nicht nur dem Ziel einer gesunden Demokratie schadet, sondern auch der Gesundheit des Einzelnen.“
Zu den Einschränkungen dieser Studie gehört laut den Forschern, dass sie sich auf Daten stützt, die zu einem bestimmten Zeitpunkt erhoben wurden, so dass die Autoren den genauen Zusammenhang zwischen problematischem Nachrichtenkonsum und psychischem und physischem Unwohlsein nicht feststellen konnten.
© Psylex.de – Quellenangabe: Health Communication (2022). DOI: 10.1080/10410236.2022.2106086
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