Psychische Erkrankungen aus Sicht der evolutionären Entwicklungspsychologie

Fehlanpassungen: Die Integration der Entwicklungs- und der Evolutions-Mismatch-Hypothese

Psychische Erkrankungen aus Sicht der evolutionären Entwicklungspsychologie

26.10.2022 Warum sind psychische Störungen wie Depressionen so weit verbreitet? Die Psychologen Marèn Hoogland und Annemie Ploeger haben drei wichtige Theorien aus der evolutionären Entwicklungspsychologie analysiert, um eine bessere Erklärung für psychische Erkrankungen zu finden.

Alle drei Theorien bringen psychische Probleme mit Fehlentwicklungen in unserer Entwicklung in Verbindung. Die Forscher glauben, dass die Kombination der drei Theorien uns helfen wird, psychische Störungen besser zu verstehen und Behandlungen zu verbessern. Ihre Ergebnisse wurden nun in der Zeitschrift Perspectives on Psychological Science veröffentlicht.

Hoogland und Ploeger haben sich auf die evolutionären Ursachen psychischer Gesundheitsprobleme spezialisiert: Welche Rolle spielen die Kindheitserfahrungen eines Menschen, wie wichtig ist seine genetische Veranlagung und welche Auswirkungen haben Anpassungen aus unserer evolutionären Vergangenheit? In ihrer neuen Studie kombinieren sie drei wichtige Theorien aus der evolutionären Entwicklungspsychologie, um eine übergreifende Erklärung für psychische Störungen zu finden.

Evolutionäre Fehlanpassungen

„Die erste Theorie beinhaltet das Konzept des evolutionären Mismatches“, erklären Hoogland und Ploeger. „Eine evolutionäre Fehlanpassung bedeutet, dass der Unterschied zwischen unserer heutigen Umwelt und derjenigen, in der wir uns entwickelt haben, so groß ist, dass unser Körper und unser Geist nicht mehr mit all den Innovationen Schritt halten können.“

Als Beispiele nennen sie die moderne sitzende Lebensweise, die verarbeiteten Lebensmittel, die wir essen, und das allgegenwärtige Smartphone. „Dies sind Umstände, an die der Mensch nicht gut angepasst ist und die wir daher als evolutionäre Fehlanpassungen bezeichnen. Sie können nicht nur zu Krankheiten wie Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen führen, sondern auch zu psychischen Störungen wie Depressionen.“

Individuelle Fehlanpassungen in der Entwicklung

Die zweite Theorie befasst sich mit der Fehlanpassung der Entwicklung. „Inwieweit ähnelt Ihr heutiges Umfeld dem, in dem Sie als Kind aufgewachsen sind? Wenn diese Welten zu weit voneinander entfernt sind, ist Ihr erwachsener Geist mit so vielen neuen Eindrücken überfordert, dass Sie sich kaum an Ihre aktuelle Umgebung anpassen können“, erklären die Forscher.

„Nehmen wir zum Beispiel an, dass Sie in einer sehr ruhigen Umgebung aufgewachsen sind und nun in einer hektischen Stadt leben, oder dass Sie aus einem bildungsfernen Milieu stammen und studieren. Solche individuellen Entwicklungsinkongruenzen können auch zu Krankheiten und psychischen Problemen führen.“

Individuelle Unterschiede

Bei der dritten und letzten Theorie geht es um individuelle Unterschiede. „Manche Menschen bleiben trotz belastender Ereignisse oder ungesunder Essgewohnheiten stabil, während andere unter denselben Umständen oder infolge eines kleinen Rückschlags eine Krankheit entwickeln können. Wie lassen sich solche erheblichen individuellen Unterschiede erklären?“

Die Theorie der unterschiedlichen Anfälligkeit besagt, dass manche Menschen aus genetischen Gründen sensibler auf Umweltbedingungen reagieren als andere. Dies kann mit der Art der Erziehung, aber auch mit Lebensstilfaktoren wie Ernährung und Bewegung zusammenhängen.

Frühere Forschungen auf der Grundlage dieser Theorie haben jedoch gezeigt, dass Menschen mit ungesunder Lebensweise, die als Reaktion auf negative Erfahrungen eine Krankheit entwickeln, in einem positiveren Umfeld besser gedeihen.

„Das bedeutet, dass dieselben Gene sowohl mit einer bemerkenswert hohen Bewältigungsfähigkeit (in einem positiven Umfeld) als auch mit einer niedrigen Bewältigungsfähigkeit (in einem negativen Umfeld) verbunden sind. Mit anderen Worten: Diese Gene bestimmen die Anfälligkeit eines Menschen für Umweltbedingungen. „Im Gegensatz dazu können Menschen mit einer anderen genetischen Veranlagung vollkommen stabil bleiben, egal was das Leben für sie bereithält.“

Alle drei Theorien sind als Erklärungsansatz erforderlich

Laut Hoogland und Ploeger muss man Elemente aus allen drei Theorien integrieren, um eine zufriedenstellende Erklärung für die Ursachen psychischer Störungen wie Depressionen zu finden. „Viele Therapeuten wissen, dass belastende Kindheitserfahrungen zur Entwicklung psychischer Probleme beitragen können, aber nicht, dass große Unterschiede zwischen dem Umfeld in der Kindheit eines Menschen und dem Umfeld, in dem er als Erwachsener lebt, ebenfalls dazu beitragen.“

Hoogland und Ploeger glauben auch, dass Therapeuten oft nicht wissen, dass evolutionäre Ungleichgewichte zu Störungen führen können. „Und schließlich wissen sie oft nicht, dass Menschen, die relativ anfällig für psychische Probleme sind, in einem positiven Umfeld tatsächlich gedeihen können“. Hoogland und Ploeger schlussfolgern, dass diese Erkenntnisse zu besseren Behandlungen führen könnten.

© Psylex.de – Quellenangabe: Perspectives on Psychological Science (2022). DOI: 10.1177/17456916221078318

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