Nahtoderfahrungen, Nahtoderlebnisse

Psychologie der Nahtoderfahrungen / Nahtoderlebnisse: News und Forschungsartikel, die sich mit dem Erfahren, Wahrnehmen des Sterbens, Todes beschäftigen.

Erinnerungen an Nahtoderfahrungen: Realer als die Realität?

Forscher der Lüttich Universität haben demonstriert, dass die während Nahtoderfahrungen ausgelösten physiologischen Mechanismen zu einer lebhafteren Wahrnehmung führen, nicht nur imaginierter Ereignisse aus dem Leben der Person, sondern auch von wirklichen Ereignissen, welche in ihrem Leben stattgefunden haben.

Merkmale des komplexen Phänomens

Ein glänzendhelles Licht, Gehen / Schweben durch einen Tunnel, das Gefühl zu haben in eine andere ‚Wirklichkeit‘ oder aus dem eigenen Körper zu gehen, sind sehr bekannte Merkmale des komplexen Phänomens, das als Nahtoderfahrung bekannt ist. Menschen, die dem Tod nahe waren oder reanimiert wurden berichten oft darüber. Produkte des Verstandes? Psychologische Abwehrmechanismen? Halluzinationen?

Erinnerungen an Nahtoderfahrungen

Forscher der Coma Science Group (Steven Laureys) und der Universität von Lüttich, Kognitive Psychologie (Professor Serge Brédart und Hedwige Dehon), haben die Erinnerungen an Nahtoderfahrungen mit der Hypothese untersucht:

wenn die Erinnerungen an Nahtoderfahrungen reine Produkte der Fantasie sind, sollten ihre phänomenologischen Merkmale (z.B. sensorische, selbstreferentielle, emotionale usw. Details) jenen von imaginierten Erinnerungen ähnlich sein.

Umgekehrt, wenn die Nahtoderfahrungen auf eine Weise erfahren werden, die der Realität ähnlicher sind, wären ihre Merkmale den Erinnerungen an wirkliche Ereignisse näher.

Die Forscher verglichen die Antworten dreier Patienten Gruppen, von denen jeder Patient (auf eine andere Art) ein Koma überlebt hatte, und eine Gruppe gesunder Freiwilliger.

Sie analysierten die Erinnerungen an Nahtoderfahrungen und die Erinnerungen an wirkliche Ereignisse und imaginierter Ereignisse mit Hilfe eines Fragebogens, der die phänomenologischen Merkmale der Erinnerungen beurteilte.

Realität als Halluzination

Die Ergebnisse waren überraschend: die Nahtoderfahrungen waren nicht nur unähnlich den Erinnerungen an imaginierte Ereignisse; die zu den Erinnerungen an wirkliche Ereignisse (z.B. Erinnerungen an sensorische Details) inhärenten phänomenologischen Merkmale waren noch zahlreicher in den Erinnerungen der Nahtoderfahrungen, als bei den Erinnerungen an wirkliche Ereignisse.

Das Gehirn ist in solchen Zuständen eine Beute des Chaos. Physiologische und pharmakologische Mechanismen sind völlig aus dem Gleichgewicht. Möglicherweise erschaffen diese Mechanismen – das Gehirn – eine Wahrnehmung der Realität, die vom Individuum als von außen kommend interpretiert wird. Dies könnte man als eine Art Lüge des Gehirns auffassen, wie in einer Halluzination.

© PSYLEX.de – Quelle: Universität Lüttich, April 2013

Belege für Erfahrungen nach dem ‚Tod‘

11.10.2014 Eine vierjährige internationale Studie unter Federführung der University of Southampton (England) hat Belege für ein Leben nach dem klinischen Tod gefunden.

„Konträr unserer Wahrnehmung ist der Tod nicht ein bestimmter Moment, sondern ein potentiell umkehrbarer Prozess. Wenn nach einer schwerwiegenden Krankheit oder einer Unfallursache, das Herz, die Lungen und das Gehirn aufhören zu funktionieren, und Versuche unternommen werden, diesen Prozess umzukehren, wird er mit ‚Herzstillstand‘ beschrieben; wenn diese Versuche keinen Erfolg haben, wird er ‚Tod‘ genannt“, sagt Dr. Sam Parnia, Dozent für Notfallmedizinmedizin und Direktor der Resuscitation Research (Forschungsabteilung für Reanimation) an der State University of New York.

Für die Studie folgten die Forscher mehr als 2.000 Menschen aus Großbritanien, USA und Österreich, die einen Herzstillstand erlitten.

Sie stellten fest, dass fast 40 Prozent der überlebenden Patienten ein Gefühl von „Bewusstsein“ erfuhren, während sie für klinisch tot erklärt und bevor sie wiederbelebt wurden. Von diesen berichteten 46 Prozent über einen breiteren Bereich mentaler Erinnerungen in Bezug auf den Tod, der mit dem häufig gebrauchten Ausdruck der Nahtoderfahrung nicht vereinbar war. Diese beinhalteten Erfahrungen, die Angst machten und einen Verfolgungscharakter hatten.

9 Prozent hatten Erfahrungen, die Nahtoderfahrungen ähnlich waren, und 2 Prozent zeigten ein volles Bewusstsein – out-of-body Erlebnisse (Außerkörperliche Erfahrungen), mit einer ausdrücklichen Erinnerung an ‚gesehene‘ und ‚gehörte‘ Ereignisse.

Z.B. konnte einer dieser Patienten die Handlungen des medizinischen Personals genau wiedergeben, obwohl er drei Minuten klinisch tot war. Der Mann erinnerte sich daran, während dieser Zeit aus einer Ecke des Raums die Ärzte beobachtet zu haben, wie sie versuchten sein Herz zu reanimieren…er konnte einen sogar beschreiben. Er hörte auch die „Pieptöne“ einer Maschine im Operationsraum. Die Erfahrungen dieses Patienten könne eindeutig nicht als Halluzination eingestuft werden, sagten die Wissenschaftler.

Bewusste Wahrnehmung

Parnia sagte, dass die „bewusste Wahrnehmung“ in den ersten Minuten nach dem Tod aufrechterhalten bleibt. Es tritt bis zu drei Minuten, nachdem das Herz zu schlagen aufgehört auf und selbst wenn das Gehirn nicht arbeitet.

Die Forscher sagten, dass die Erinnerung an solche Erfahrungen häufiger wären, wenn nicht Drogen oder Beruhigungsmittel das Gedächtnis beeinträchtigen würden.

„Wahrscheinlich sind mehr Menschen anfangs mental aktiv, aber sie verlieren dann ihr Gedächtnis nach der Genesung, entweder aufgrund der Auswirkungen von Gehirnverletzungen oder sedativer Medikamente“, sagte Parnia.

In der Vergangenheit wurden diese lebhaften Todeserfahrungen für Halluzination oder Illusionen gehalten, aber sie bezogen sich auf tatsächlich stattfinde Ereignisse.

Die Befunde zusammengefasst

Die Befunde der Studie wurden in der Zeitschrift Resuscitation herausgegeben und sind zusammengefasst:

  • Die Themen, die sich auf die Erfahrung des Todes beziehen, scheinen viel weiter gefasst zu sein, als was bisher unter Nahtoderfahrungen verstanden oder beschrieben wurde.
  • In einigen Fällen des Herzstillstands, waren die Erinnerungen des visuellen Bewusstseins kompatibel mit sogenannten außerkörperlichen Erfahrungen und entsprachen den tatsächlichen Ereignissen.
  • Es könnten mehr Menschen lebhafte Todeserfahrungen haben, aber aufgrund der Auswirkungen von Gehirnverletzungen oder beruhigenden Medikamenten auf die Gedächtnisvorgänge sind die Erinnerungen nicht mehr abrufbar.
  • Weit verbreitete, aber wissenschaftlich ungenaue Begriffe wie Nahtod und außerkörperliche Erfahrungen reichen nicht aus, die tatsächliche Todeserfahrung zu beschreiben. Zukünftige Studien sollten sich auf den Herzstillstand fokussieren, biologisch gleichbedeutend mit dem Tod, anstatt auf schlecht definierte medizinische Zustände (wie Nahtod).
  • Dieses Thema (und unsere Befunde) verdienen weitere vorurteilsfreie Forschungsstudien.

© PSYLEX.de – Quelle: Resuscitation / State University of New York / University of Southampton, Oktober 2014

Was wir erleben, wenn wir sterben (Nahtoderlebnisse)

27.07.2017 Eine aktuelle Studie der Universität Lüttich im Fachblatt Frontiers in Human Neuroscience untersuchte, wie häufig und in welcher Reihenfolge bestimmte selbstberichtete Nahtoderfahrungen auftreten.

Häufigkeit und zeitlicher Ablauf

Um die Häufigkeitsverteilung und die Chronologie der verschiedenen Nahtoderfahrungen zu untersuchen, sammelten und analysierten die Wissenschaftler um Charlotte Martial vom Fachbereich Psychologie schriftliche Aufzeichnungen von 154 Personen, die eine Nahtoderfahrung durchgemacht hatten.

Sie erfassten, welche spezifischen Nahtoderlebnisse in jedem Bericht vorgekommen waren und untersuchten dann die Reihenfolge des Auftretens der verschiedenen Phänomene in jeder Geschichte.

Sie fanden heraus, dass die Menschen im Durchschnitt etwa 4 verschiedene Phänomene während einer Nah-Tod-Erfahrung erlebten.

Die häufigsten Erfahrungen

Der Flug zum Himmel (Hieronymus Bosch)
Der Flug zum Himmel (Hieronymus Bosch)

Die am häufigsten berichteten Merkmale waren

  • ein Ruhegefühl, Empfinden von Frieden (80% der Teilnehmer),
  • ein in Erscheinung tretendes helles Licht (69%)
  • die Begegnung mit Geistern / Menschen (64%),
  • außerkörperliche Erfahrungen (53%),
  • Tunnelerleben (47%),
  • an einen Punkt ohne Wiederkehr gelangen (40%),
  • Erleben einer unwirklichen Umgebung (37%),
  • wieder in den Körper eintreten (37%),
  • sensitivere Sinne (36%),
  • veränderte Zeitwahrnehmung (35%),
  • ins Licht eintreten (18%),
  • Lebensrückblick (16%),
  • Gefühl der Ausgeglichenheit, Harmonie (14%),
  • extrasensorische Wahrnehmung (19%),
  • eine Beschleunigung der Gedanken (5%) und
  • präkognitive Visionen (4%).

Zeitlicher Ablauf

Beim zeitlichen Ablauf stellten sie fest, dass ein Drittel der Menschen (35%) eine außerkörperliche Erfahrung als erstes Merkmal ihrer Nahtoderfahrung erlebten, viele gelangten dann an eine Grenze / einen Punkt, wo es keine Rückkehr mehr gäbe (31%), und das häufigste letzte Merkmal war, wie sie in den Körper zurückkehrten (36%).

Dies deutet darauf hin, dass Nah-Tod-Erlebnisse häufig durch ein Gefühl der Distanzierung aus dem physischen Körper ausgelöst werden und enden, wenn sie in den Körper zurückkehren, sagt Charlotte Martial.

Insgesamt war die häufigste gemeinsame erlebte Reihenfolge der Vorkommnisse:

  • außerkörperliche Erfahrungen, gefolgt
  • von einem Tunnel mit einem hellen Licht am Ende und
  • schließlich das Gefühl von Ruhe und Frieden.

Diese Abfolge der Erlebnisse wurde von 22% der Teilnehmer berichtet. Es konnte jedoch keine universelle Abfolge des Erlebten festgestellt werden, was nahelegt, dass jede Nahtoderfahrung ein einzigartiges Muster an Ereignissen hat.

Universeller Charakter

Während Nah-Tod-Erlebnisse also einen universellen Charakter haben können, und sie genügend gemeinsame Merkmale aufweisen können, um zum gleichen Phänomen gezählt zu werden, haben wir dennoch eine zeitliche Variation innerhalb der Verteilung der gemeldeten Merkmale beobachtet, sagte Charlotte Martial.

Das wirft erhebliche Fragen auf, welche konkreten Aspekte von Nahtoderfahrungen als universell betrachtet werden können – und welche nicht. Weitere Untersuchungen sind notwendig, um diese Unterschiede zu erforschen und die genaue Ausdehnung, welche Inhalte dieser Erfahrungen die Erwartungen und kulturellen Hintergründe widerspiegeln, sowie die neurophysiologischen Mechanismen, die den Todeserfahrungen zugrundeliegen, schreiben die Psychologen.

© PSYLEX.de – Quellenangabe: Universität Lüttich, Frontiers in Human Neuroscience – http://dx.doi.org/10.3389/fnhum.2017.00311; Juli 2017

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