Schlafentzug gegen Depression

Eine Nacht mit totalem Schlafentzug hat bei manchen Menschen eine antidepressive Wirkung

Schlafentzug gegen Depression

04.07.2023 Eine Studie unter Leitung der Perelman School of Medicine, University of Pennsylvania, Philadelphia, hat das scheinbar widersprüchliche Phänomen untersucht, dass Schlafentzug bei Patienten mit depressiven Störungen zu einer Verbesserung der Stimmung führt.

In der in der Fachzeitschrift PNAS veröffentlichten Studie hat das Forscherteam die Aktivität von Gehirnregionen mit Hilfe der funktionellen Magnetresonanztomographie im Ruhezustand kartiert, um herauszufinden, warum manche Menschen einen gesunden antidepressiven Schub erhalten.

Die Studie zeigt, dass eine Nacht mit völligem Schlafentzug die Konnektivität der Amygdala mit dem anterioren cingulären Kortex erhöht, was bei einigen gesunden und depressiven Personen mit einer besseren Stimmung einhergeht.

In Experimenten mit Schlafentzug, die sowohl mit gesunden Personen (n=38) als auch mit Patienten mit schweren Depressionen (n=30) sowie mit 16 Kontrollpersonen (denen ununterbrochener Schlaf gewährt wurde) durchgeführt wurden, untersuchten die Forscher die Auswirkungen des totalen Schlafentzugs auf die Stimmung und die funktionellen Konnektivitätsnetzwerke.

Die Studie

Die Experimente wurden im Labor des Clinical Translational Research Center am Krankenhaus der University of Pennsylvania an fünf aufeinanderfolgenden Tagen durchgeführt. Alle Teilnehmer unterzogen sich drei fMRT-Sitzungen mit rs-fMRT. Insgesamt wurden 210 fMRT-Bilder pro Teilnehmer aufgenommen.

Die Teilnehmer unterzogen sich während der fünf Tage drei fMRT-Sitzungen im Ruhezustand. Der erste Scan erfolgte nach einer normalen Nachtruhe am Morgen des zweiten Tages als Baseline. In den Schlafentzug-Gruppen fand die zweite Untersuchung am Morgen des dritten Tages statt, nachdem die Teilnehmer nicht geschlafen hatten.

Danach durften die Teilnehmer zwei Nächte mit erholsamem Schlaf verbringen und wurden am Morgen des fünften Tages zum letzten Mal gescannt. Alle Teilnehmer füllten an den Tagen zwei bis fünf alle zwei Stunden eine verkürzte Version des Profile of Mood States (Stimmungsprofil) mit 37 Items aus.

Wie erwartet, verschlechterte sich die Stimmung der meisten Teilnehmer unmittelbar nach einer fehlenden Nachtruhe. Bei dreizehn von 30 (43 %) depressiven Teilnehmern verbesserte sich die Stimmung, und bei den übrigen 17 Teilnehmern verschlechterte sich die Stimmung oder blieb nach einer Nacht Schlafentzug unverändert.

Nach einer Nacht mit erholsamem Schlaf kam es bei 20 Teilnehmern mit schweren depressiven Störungen zu einer Stimmungsverbesserung, während sich bei den übrigen Teilnehmern die Stimmung verschlechterte oder unverändert blieb.

Das Gehirn bei Schlafentzug

Die Konnektivität zwischen Amygdala und anteriorem cingulärem Kortex nahm bei Patienten mit verbesserter Stimmung deutlich zu, bei denen mit unveränderter Stimmung jedoch weniger. Die Amygdala ist das Herzstück der Kampf- oder Fluchtreaktion, sie verarbeitet ängstliche oder bedrohliche Reize und signalisiert anderen Teilen des Gehirns, dass sie eine Reaktion ausführen müssen.

Die Gehirnregion des anterioren cingulären Cortex (ACC) ist sowohl mit dem „emotionalen“ limbischen System als auch mit dem „kognitiven“ präfrontalen Cortex verbunden. Er spielt unter anderem eine wichtige Rolle bei der Fähigkeit, emotionale Zustände zu kontrollieren und zu steuern bzw. bei der Affektregulation.

Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Konnektivität des Amygdala-ACC-Netzwerks die neuronale Widerstandsfähigkeit gegenüber Stimmungsstörungen nach Schlafverlust widerspiegelt und somit ein potenzielles Ziel für antidepressive Interventionen sein könnte.

Dauer des REM-Schlafs

Den Forschern zufolge könnte eine mögliche Erklärung für die individuellen Unterschiede beim Schlafentzug-Einfluss in der Dauer des REM-Schlafs (Rapid Eye Movement) liegen.

Schwere Depressionen wurden zuvor mit Anomalien im REM-Schlaf in Verbindung gebracht. Ein Übermaß an REM-Schlaf würde zu einem Rückgang von Noradrenalin führen, was eine verminderte Bindung an den ɑ-2-Rezeptor in den medialen Frontallappen zur Folge hat, die den ACC und den medialen präfrontalen Kortex umfassen. Das Fehlen von REM-Schlaf bei totalem Schlafentzug könnte einigen Teilnehmern eine Pause verschaffen, um die Top-down-Kontrolle der Amygdala zu verbessern, was zu einer antidepressiven Wirkung führt.

© Psylex.de – Quellenangabe: Proceedings of the National Academy of Sciences (2023). DOI: 10.1073/pnas.2214505120

News zu Schlafentzug gegen Depression

Schlafentzug kann effektiv Depressionssymptome lindern

21.09.2017 Schlafentzug (auch Schlafdeprivation genannt) – normalerweise unter kontrollierten, stationären Bedingungen durchgeführt – verringerte in einer aktuellen Studie schnell die Symptome von Depression bei etwa der Hälfte der Patienten.

Frühere Studien haben schon zeigen können, dass Schlafentzug eine schnelle antidepressive Wirkung bei etwa 40 bis 60 Prozent der Personen erreichte, aber diese Ansprechrate wurde seit 1990 nicht analysiert, um präzisere Daten zu den Behandlungserfolgen zu bekommen, trotzdem es mehr als 75 Studien seitdem zu diesem Thema gab.

Partielle oder totale Schlafdeprivation?

Die Forscher um Elaine M. Boland und Philip Gehrman von der Universität Pennsylvania analysierten die Daten von 66 geeigneten Studien, um festzustellen, wie das Ansprechen beeinflusst werden kann über Art und Timing des Schlafentzuges (totaler versus teilweisen frühen oder späten Schlafentzug), die klinische Population (depressive oder manische Episoden, oder eine Kombination aus beiden), Medikationsstatus und Alter und Geschlecht der Patienten.

Sie untersuchten auch, wie das Ansprechen auf Schlafentzug sich in den einzelnen Studien unterschied, je nachdem, wie das „Ansprechen“ in jeder Studie definiert wurde.

Die erste Meta-Analyse zu diesem Thema seit fast 30 Jahren zeigte, dass teilweise Schlafdeprivation (Schlaf für drei bis vier Stunden, gefolgt von erzwungener Wachheit für 20-21 Stunden) ebenso effektiv wie totaler Schlafentzug (Schlafentzug für 36 Stunden) ist, wobei die Medikamente diese Ergebnisse nicht signifikant beeinflussten.

Robuste Effekte

Die Wirksamkeit von Schlafentzug wurde auch nicht von der Störung (bipolare oder unipolare Depression), der Einnahme von Medikamenten, der Schlafentzugsdefinition, oder dem Alter und Geschlecht der Teilnehmer beeinflusst, schreiben die Forscher im Fachblatt The Journal of Clinical Psychiatry.

Weitere Studien sollten aber untersuchen, wie Schlafentzug schnelle und signifikante Verringerungen der Depressionsschwere verursachen kann. Darüber hinaus sind künftige Studien erforderlich, um eine umfassendere Bewertung potenzieller Vorhersagefaktoren für das Behandlungsergebnis einzubeziehen, um die Patienten zu ermitteln, die am ehesten von Schlafentzug profitieren können.

© PSYLEX.de – Quellenangabe: University of Pennsylvania; The Journal of Clinical Psychiatry – DOI: 10.4088/JCP.16r11332; Sept. 2017

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