Gemeinsames Merkmal vieler Angststörungen: erhöhte Sensibilität bzw. Angst vor dem Unbekannten
27.11.2016 Viele Angststörungen – wie z.B. Panikstörung, Soziale Phobie und spezifische Phobien – teilen ein gemeinsames Merkmal: eine erhöhte Sensibilität gegenüber unbekannten Bedrohungen bzw. die Angst vor dem Unbekannten.
Die Befunde der im Fachblatt Journal of Abnormal Psychology könnten die Behandlung dieser psychischen Störungen weg von den diagnostisch-basierten Therapien hin zu einer Behandlung der gemeinsamen Charakteristika bringen, schreiben die Forscher der Universität Illinois, Chicago.
Bild: Gerd Altmann
So könnten Kliniken entstehen, die sich auf die zugrundeliegenden gemeinsamen neurobiologischen Symptome der Patienten konzentrierten, statt auf individuelle Diagnosen, schreibt Studienautorin Stephanie Gorka, Psychiatrie-Dozentin und klinische Psychologin.
Antizipatorische Angst
Unbekannte Bedrohungen sind nicht verhersehbar in Timing, Intensität, Häufigkeit oder Dauer, und lösen ein generelles Gefühl von Ängstlichkeit und Überwachsamkeit aus.
Die Psychologen nennen es antizipatorische Angst oder Erwartungsangst.
Wenn jemand sehr empfänglich für unbekannte Bedrohungen ist, dann kann er/sie den kompletten Tag in einer ängstlichen Stimmung verbringen und sich sorgen, dass ihm/ihr etwas Schlimmes passieren kann, sagte Gorka. Panikstörung ist ein Beispiel dafür – die Patienten haben dauernd Angst, dass sie eine Panikattacke bekommen könnten.
Vorhersagbare Bedrohungen dagegen erzeugen eine diskrete Kampf-oder-Flucht-Reaktion, die einen klaren Trigger hat – wie z.B ein hungriger Bär – und nachlassen, sobald die Bedrohung verschwunden ist.
Erhöhte Empfindlichkeit
Frühere Forschungsarbeiten von Gorka und Kollegen weisen darauf hin, dass die erhöhte Empfindlichkeit für unbestimmte Bedrohungen ein wichtiger Faktor sein kann, der die Angst-basierten internalisierten Psychopathologien charakterisiert.
Doch die meisten Foschungsarbeiten konzentrierten sich bisher auf die Panikstörung; die Rolle der antizipatorischen Angst bei den anderen Angststörungen – insbesondere der sozialen Phobie und der spezifischen Phobien – war unklar.
Gorka und Kollegen untersuchten die Daten von Teilnehmern, die eine Aufgabe durchführten, bei der sie erschreckt wurden. Die zwei Studien mit Teilnehmern im Alter von 18 bis 65 beinhalteten
- 25 Personen mit klinischer Depression,
- 29 mit Generalisierter Angststörung,
- 41 mit sozialer Phobie und
- 24 mit einer spezifischen Phobie.
Außerdem machten 41 gesunde Kontrollteilnehmer ohne eine gegenwärtige oder vorherige Diagnose einer Psychopathologie mit.
Reaktion des Augenblinzelns
Die Forscher maßen die Reaktion des Augenblinzelns der Teilnehmer auf vorhersagbare und unvorhersehbare leichte Stromschläge am Handgelenk. Um das Blinzeln während der Aufgabe auszulösen, wurden ihnen kurze akustische Töne über Kopfhörer vorgespielt.
Es ist egal, wer man ist, oder wie gut die psychische Verfassung ist, jeder blinzelt als Reaktion auf den Ton, sagte Gorka. Es ist ein natürlicher Reflex, also macht es jeder, ohne Ausnahme.
Die Forscher maßen die Stärke des Augenblinzelns über eine Elektrode unter den Augen der Teilnehmer. Sie verglichen die Kraft des Blinzelns als Reaktion auf Töne während des vorhersagbaren Elektroschocks und des Blinzelns während des unvorhersehbaren Schocks.
Unterschiede
Die Psychologen beobachteten, dass Teilnehmer mit einer sozialen oder spezifischen Phobie viel stärker während der unvorhersehbaren Elektroimpulse blinzelten im Vergleich zu gesunden Teilnehmern, Teilnehmern mit klinischer Depression oder Generalisierter Angststörung.
Mögliche Auswirkungen auf Interventionen
Wir klassifizieren so viele verschiedene Stimmungs- und Angststörungen, und jede hat ihren eigenen Satz an Richtlinien für die Behandlung, aber wenn wir ihre gemeinsamen Eigenschaften behandeln würden, könnten wir bessere Fortschritte machen, sagte Dr. K. Luan Phan, Professor der Psychiatrie und Senior-Autor der Studie.
Die Sensitivität gegenüber unbekannten möglichen Bedrohungen bzw. die Angst vor dem Unbekannten liegt vielen dieser Angststörungen zugrunde, sagte er. Deshalb könnten Medikamente, die auf diese Empfindlichkeit abzielen, eingesetzt oder entwickelt werden, um diese Angststörungen zu behandeln, schließt er.
© PSYLEX.de – Quellenangabe: University of Illinois, Chicago, Journal of Abnormal Psychology; Nov. 2016
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