Kriminologie: „Ich bring Euch um, wenn Du nochmal so spät heimkommst“
08.03.2022 Wenn ein Mann seine (Ex-)Partnerin tötet, kann das von Gerichten weniger schwer gewichtet werden als die Tötung anderer Personen. Das legen einige Gerichtsurteile nahe. Julia Habermann will es statistisch überprüfen.
Am Ende ist es eine Schlagzeile. „In Bochum soll es am Freitagabend (4. Dezember) zu einer blutigen Beziehungstat gekommen sein.“ Zu den Hintergründen der Tat wird in den ersten Zeitungsberichten wenig berichtet. Obwohl in Deutschland jeden dritten Tag eine Frau durch ihren (ehemaligen) Partner getötet wird, ist Gewalt gegen Frauen hier unzureichend erforscht. Julia Habermann will mehr Licht ins Dunkel bringen. Die Sozialwissenschaftlerin arbeitet am Lehrstuhl für Kriminologie der RUB an ihrer Doktorarbeit über Tötungsdelikte in Paarbeziehungen. Besonders interessiert es sie, wie solche Taten von Gerichten bewertet und darauf basierend bestraft werden.
„Wenn man einige Urteile liest, kann man den Eindruck gewinnen, die Urteile gegen die Täter fielen milder aus als bei anderen Tötungsdelikten, deren Opfer nicht die Partnerin oder Ex-Partnerin des Täters ist“, schildert sie ihre Ausgangsbeobachtung. Bei der Festlegung einer Strafe gibt es verschiedene Faktoren, die das Gericht berücksichtigen kann. Die Richterinnen und Richter können ein Tötungsdelikt als Mord oder Totschlag werten, was unterschiedliche Strafen nach sich zieht. War der Täter zum Tatzeitpunkt vermindert schuldfähig, zum Beispiel, weil ein Affekt angenommen wird, kann die Strafe reduziert werden. Strafmildernd kann sich auch ein Geständnis der Tat auswirken oder die spontane Tatbegehung. All diese Möglichkeiten gelten natürlich für jedes Tötungsdelikt. Aber werden sie auch für alle gleichermaßen angewandt?
Offizielle Statistiken, wie die Polizeiliche Kriminalstatistik oder die Strafverfolgungsstatistik, stellen die notwendigen Informationen nicht bereit: Zwar informiert die Polizeiliche Kriminalstatistik über das Geschlecht der Opfer und deren Beziehung zum Täter, aber sie enthält keine Aussage zu Verurteilungen. Über Verurteilungen informiert die Strafverfolgungsstatistik, sie enthält aber keine Angaben zu den Opfern.
Die Analyse basiert auf 472 Verurteilten
Um das herauszufinden, untersuchte Julia Habermann Gerichtsurteile zu Tötungsdelikten. Insgesamt 472 Täter, deren Urteil in den Jahren 2015 bis 2017 für eine solche Tat gesprochen wurde, konnte sie in ihre Analyse einbeziehen. „Die Urteile für meine Arbeit zu bekommen, war gar nicht so einfach“, berichtet Julia Habermann. Sie beantragte einen Auszug aus dem Bundeszentralregister beim Bundesamt für Justiz, um zunächst die betreffenden Aktenzeichen herauszufinden, die für ihre Untersuchung von Interesse waren. Mit diesen Angaben konnte sie dann die einzelnen Staatsanwaltschaften kontaktieren und um die Kopien der einschlägigen Gerichtsurteile bitten. Bis auf einige wenige erhielt Habermann Kopien der Urteile, die zwischen zwölf und über 200 Seiten umfassen.
Mehrere der Täter haben sich vor der Tat gedanklich mit dieser auseinandergesetzt
In einer ersten grundlegenden Auswertung zeigt sich, dass bei Tötungsdelikten an Frauen bei weniger als der Hälfte der Täter auf Mord und auf lebenslange Freiheitsstrafen entschieden wird. Eine solche und weitere Auswertungen hat Julia Habermann auch für Tötungsdelikte an der (ehemaligen) Partnerin durchgeführt, die sie dann in Vergleich zu Tötungsdelikten an anderen Personen setzt.
Bei der Bestimmung der Straflänge geht es aber auch darum, welche Aspekte die Richterinnen und Richter hervorheben und wie sie über die Tötungsdelikte schreiben. „Ich sehe in mehreren Urteilen, dass teils das stereotype Bild aufgenommen wird, dass es sich bei solchen Delikten um spontane Taten handelt“, berichtet sie. „Dabei ist zu sehen, dass sich mehrere der Täter bereits vorher mit der Möglichkeit befasst haben, die (ehemalige) Partnerin zu töten.“ Mehrere Täter haben ihrer Partnerin oder Dritten gegenüber schon Todesdrohungen ausgesprochen. In einigen Fällen haben Täter dem Opfer aufgelauert – vorgeblich um ein Gespräch zu suchen. Dass sie dabei ein Messer dabeihatten, wird nicht unbedingt als ein Zeichen für eine geplant begangene Tötung gewertet.
Es geht um Macht und Kontrolle
Was in der Beziehung vor der Tötung der Frau geschehen ist, wird zwar thematisiert. Einige Aspekte können aber stärker betont werden, andere dagegen in den Hintergrund treten: Immer wieder geht es bei Tötungsdelikten an der (ehemaligen) Partnerin um die Aufrechterhaltung von Macht und Kontrolle des Täters gegenüber der Frau. Täter kontrollieren, mit wem die Frau wie lange Zeit verbringt und wo sie hingeht. Der Chatverlauf im Handy der Frau wird gelesen, ihre Telefonate nachvollzogen, die Frau in jeder Einzelheit ihres Lebens misstrauisch beäugt. Sie wird kleingemacht, ihr Selbstvertrauen untergraben. „Ohne mich bist du nichts“, versucht der Mann ihr einzureden. Hinweise auf diese Formen der psychischen Gewalt und/oder kontrollierenden Verhaltensweisen finden sich oft nur am Rande erwähnt. Trennt sich die Frau von ihrem Partner oder plant sich, von ihm zu lösen, droht ihm die Kontrolle zu entgleiten. Die Folge: Er steigert die Gewalt, schlimmstenfalls bis hin zur Tötung, um Macht und Kontrolle zurückzugewinnen.
„Die Kontrolle und Gewalt, die der Tötung vorangeht, wird in Gerichtsurteilen häufig nicht in den Mittelpunkt gestellt“, so Julia Habermann. „Dafür liegt oft ein starkes Augenmerk darauf, ob das Verhalten der Frau moralisch einwandfrei war. Hat sie nach der Trennung noch das Gespräch mit dem Ex-Partner zugelassen? Dann hat sie ihm womöglich Hoffnungen gemacht, dass die Beziehung fortgesetzt werden könnte. Hatte sie Kontakt mit anderen Männern? Das könnte für ihn wie ein Flirt oder eine Annäherung gewirkt haben und hat zu seiner Verzweiflung beigetragen.
Es werden die falschen Fragen gestellt
„Ein Problem ist natürlich, dass die getöteten Frauen im Prozess keine Stimme haben“, so Habermann. „Aber es wird auch der falsche Fokus gelegt.“ Alle am Prozess Beteiligten müssten ihre Sichtweise hinterfragen, folgert die Forscherin. Man sei zu sehr geneigt, die Sichtweise des Täters zu übernehmen. Auch im Alltag findet Julia Habermann Hinweise darauf. Die kopfschüttelnde Frage, warum sich eine Frau, die Gewalt durch ihren Partner erleidet, sich nicht einfach von diesem trennt, beispielsweise. „Da gibt es finanzielle Abhängigkeiten, oft Kinder, es muss ein Umzug organisiert werden, die Trennung verschlimmert häufig die Kontrolle und Gewalt des Mannes gegenüber seiner Partnerin. Und noch immer kann die Frau das Gefühl haben, für den Zusammenhalt der Familie sorgen zu müssen“, beschreibt Julia Habermann. „Es gibt viele Aspekte, die einer Trennung, auch bei Erleben körperlicher Gewalt, im Wege stehen können.“
Es gibt aber auch andere Urteile: Solche, in denen die Gewalt und Kontrolle sowie der Macht- und Besitzanspruch des Täters betont werden. Darin wird ausgeführt, dass der Täter es nicht akzeptierte, dass seine (ehemalige) Partnerin ein Leben ohne ihn führen möchte und ihr Leben nach ihren Wünschen gestalten möchte.
Die Wurzel der Schieflage sieht sie in der langen Vorgeschichte des Patriarchats. Zudem waren Frauen in der Justiz jahrzehntelang unterrepräsentiert. Das wirkt nach. Personen der Rechtsprechung sollten daher ihre Vorstellungen hinterfragen. „Es sollte schon Bestandteil des Jurastudiums sein, seine eigene Haltung und mögliche Voreinstellungen zu hinterfragen“, sagt sie. Die selbstkritische Auseinandersetzung mit den eigenen Sichtweisen könnte auch anderen Missständen entgegenwirken, hofft Julia Habermann. Zum Beispiel dass Täter, die als deutsch wahrgenommen werden, zu milderen Strafen verurteilt werden könnten als Täter, die als ausländisch oder fremd wahrgenommen werden.
Hinzu komme, dass manchen Personen, die am Prozess beteiligt sind, Informationen fehlen. „Deutschland hat zum Beispiel die Istanbul-Konvention ratifiziert, die besagt, dass häusliche Gewalt gegen Frauen schärfer bestraft werden soll. Es gibt Richter und auch Richterinnen, die das nicht wissen und daher auch nicht anwenden.“ Istanbul-Konvention
Die Istanbul-Konvention
Die Istanbul-Konvention verpflichtet Staaten wie Deutschland, die sie ratifiziert haben, offensiv gegen geschlechtsspezifische Gewalt vorzugehen. Das Übereinkommen umfasst verschiedene Gewaltformen und adressiert Gewalt, die gegen Frauen und Mädchen gerichtet ist oder diese besonders häufig trifft. Einen besonderen Fokus legt die Konvention zudem auf häusliche Gewalt, vor welcher Personen jeglichen Geschlechts geschützt werden sollen.
Die Staaten werden unter anderem dazu verpflichtet, durch Bewusstseinsbildung und Sensibilisierung der Entstehung von Gewalt entgegenzuwirken, Betroffene zu schützen und zu unterstützen, Gesetze zu erlassen, die die Gewaltformen unter Strafe stellen, sowie die Taten aufzuklären und zu sanktionieren. Vorgesehen ist beispielsweise auch, dass Gerichte Gewalt durch den (ehemaligen) Partner strafverschärfend auslegen können.
Um ihre These der milderen Bestrafung von Partnerinnentötungen zu überprüfen, stellt Habermann das Strafmaß für Tötung der (Ex-)Partnerin dem Strafmaß in Urteilen anderer Tötungsdelikte gegenüber und führt eine statistische Analyse der Urteile durch. Die Auswertung bereitet sie zurzeit zur Veröffentlichung vor.
Originalveröffentlichung: Julia Habermann: Möglichkeiten der Sanktionierung von Femiziden im deutschen Strafrecht – Ist ein Femizid-Straftatbestand notwendig? In: NK Neue Kriminalpolitik, 2021, DOI: 10.5771/0934-9200-2021-2-189
Quellenangabe: Pressemitteilung Ruhr-Universität Bochum