Warum führen Depression, Schizophrenie zu Lernstörungen?

Transdiagnostische unflexible Lerndynamik erklärt Defizite bei Depression und Schizophrenie

Warum führen Depression, Schizophrenie zu Lernstörungen?

11.01.2024 Menschen mit Schizophrenie oder Depressionen haben Schwierigkeiten, neue Informationen während des Lernprozesses optimal zu nutzen. Beide Patientengruppen neigen dazu, weniger wichtige Informationen zu stark hervorzuheben, was zu suboptimalen Entscheidungen führt.

Dies wurde in einer über mehrere Monate durchgeführten Studie nachgewiesen, die von einem Team unter der Leitung des Neurowissenschaftlers Prof. Dr. med. Markus Ullsperger vom Institut für Psychologie an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg in Zusammenarbeit mit Kollegen von der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie und dem Deutschen Zentrum für Psychische Gesundheit durchgeführt wurde.

Mit Hilfe von Hirnstrommessungen (EEG) und komplexen mathematischen Computermodellen stellte das Forschungsteam fest, dass die Lernschwächen von depressiven und schizophrenen Patienten durch eine verminderte Flexibilität bei der Nutzung neuer Informationen verursacht werden.

„Menschen, die an einer Depression oder Schizophrenie erkrankt sind, leiden oft unter kognitiven Einschränkungen“, sagt der Erstautor der Studie, Dr. Hans Kirschner. So falle es ihnen unter anderem schwer, komplexe Informationen zu verstehen, zu lernen, zu planen oder eine Situation zu verallgemeinern. „Vor allem Defizite, Rückmeldungen aus der Vergangenheit zur Steuerung künftigen Verhaltens zu nutzen, stellen ein Kernproblem für die Betroffenen dar.“ Diese kognitiven Einschränkungen seien für die betroffenen Patientengruppen sehr belastend und beeinflussten stark das Therapieergebnis, ergänzt der Neuropsychologe und Psychotherapeut Dr. Tilmann Klein. „Wenn wir diese Defizite und deren Ursachen besser verstehen, können wir langfristig Therapieformen wie ein Funktionstraining spezifischer und zielgerichteter gestalten.“

Um zu ermitteln, ob die psychologischen und neuronalen Mechanismen, die kognitive Beeinträchtigungen verursachen, bei verschiedenen psychischen Störungen identisch sind, führten die Forscher Untersuchungen sowohl bei Patienten mit einer Diagnose von schwerer depressiver Störung oder Schizophrenie als auch bei einer Kontrollgruppe von 33 Personen durch.

Den Teilnehmern wurden wiederholt Tierbilder auf einem Bildschirm gezeigt, die entweder mit hoher oder niedriger Wahrscheinlichkeit mit einer Belohnung oder Bestrafung, also positivem oder negativem Feedback, verbunden waren. Die Teilnehmer mussten entscheiden, ob sie auf das gezeigte Tier setzen wollten oder nicht, wodurch sie entweder 10 Punkte gewinnen oder verlieren konnten. Wenn sie sich gegen das Setzen entschieden, gewannen oder verloren sie nichts, konnten aber im Nachhinein sehen, was passiert wäre, hätten sie gesetzt.

„Während der Durchgänge war es also die Lernaufgabe der Versuchspersonen, herauszufinden, ob es sich lohnt, zu setzen und den damit verbundenen Verlust zu riskieren oder ob es besser ist, nicht zu setzen und somit auch nichts zu verlieren“, erklärt der Wissenschaftler Dr. Kirschner den Versuchsaufbau.

„Das Vorgehen lässt sich ein wenig mit dem Roulette-Spiel vergleichen“, erläutert der Neurowissenschaftler. „Wenn man seine Spielsteine setzt, gewinnt oder verliert man. Wenn man nicht setzt, sieht man aber trotzdem, wo die kleine Spielkugel landet und kann sich ausrechnen, was gewesen wäre, wenn man gesetzt hätte. Der Unterschied bei unserer Studie ist, dass die Probanden aber tatsächlich lernen konnten, denn man bekommt mit der Zeit schließlich mit, ob ein Tier im Durchschnitt eher belohnt oder bestraft wird und kann dann entweder immer auf das Tier setzen und so den Gewinn maximieren oder Verluste minimieren.“

Optimales Lernen bei dieser Aufgabe würde bedeuten, dass die Teilnehmer das Feedback – also die Gewinne oder Verluste eines bestimmten Tieres – zu Beginn des Lernprozesses stärker in Betracht ziehen, erklärt Kirschner.

„Nachdem sie ein Gefühl für die Gewinnwahrscheinlichkeit eines Tieres bekommen haben, ignorieren sie irreführendes Feedback, zum Beispiel, dass ein Bild, das üblicherweise mit hoher Wahrscheinlichkeit verliert, auch ab und zu gewinnt.“

Während gesunde Teilnehmer sich entsprechend verhielten, wurden Patientengruppen mit Depressionen oder Schizophrenie stärker von zufälligen Fehlern beeinflusst.

„Stellen Sie sich vor, ein Basketballspieler wirft auf einen Korb“, erklärt der Neurowissenschaftler Dr. Kirschner weiter. „Der Schlechte trifft selten und würde nicht im Team aufgestellt werden. Der Gute trifft oft, aber eben auch nicht immer, trotzdem würde man ihn im Team aufstellen. Beide Patientengruppen in der Studie würden aber auch den guten Spieler nach einem schlechten Wurf direkt auswechseln.“ Im EEG zeigte sich, dass beide Patientengruppen eine verminderte neuronale Repräsentation der Belohnungserwartung haben. „Das heißt, im Gehirn ist die Trefferquote eines guten Basketballspielers schwächer abgespeichert und wird schneller überschrieben, wenn der Spieler mal nicht trifft.“

Die Studie hat unser Verständnis von kognitiven Beeinträchtigungen bei Patienten mit Diagnosen von Schizophrenie oder Depression erheblich erweitert, so die Zusammenfassung von Kirschner.

„Insbesondere haben wir auch den Nutzen von Computermodellen aufzeigen können, in denen wir versuchen, komplexe Lernmechanismen mathematisch zu beschreiben und als Computersimulation zu implementieren.“

Auf diese Weise könnte unvorhersehbares Lernverhalten nachgebildet und mit dem Verhalten von Teilnehmern in spezifischen Aufgaben verglichen werden.

„Mit diesem Ansatz können wir Lerndefizite künftig differenzierter quantifizieren und charakterisieren. Und über ein besseres Verständnis dieser Defizite wiederum lassen sich aktuelle Therapien bei Depressionen und Schizophrenien gezielt weiterentwickeln. Wir hoffen, dass unsere Forschung vielen Erkrankten künftig zugutekommt und ihnen im Alltag hilft, besser zurechtzukommen.“

© Psylex.de – Quellenangabe: Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg; Brain, Volume 147, Issue 1, January 2024, Pages 201–214, https://doi.org/10.1093/brain/awad362

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