Studie zur Motivation von Umstehenden, Opfer zu verteidigen, und die Rollen von Angst und Identifikation mit dem Mobbingopfer
02.06.2021 Viele Schüler sind täglich in Kontakt mit Mobbing – als Opfer, Mobber oder Zeugen. Wir wissen, dass die Reaktionen der Menschen um sie herum sehr bedeutsam sind, aber was bestimmt, ob andere Schüler dem Opfer zu Hilfe kommen oder nicht? Laut einer Gruppe von Forschern der Universität Lund ist die eigene Angst der Umstehenden ein entscheidender Faktor.
Bystander-Effekt (Zuschauereffekt)
In zwei neuen Studien haben die Forscher den so genannten Bystander-Effekt (Zuschauereffekt) untersucht, also die Bereitschaft von Augenzeugen, bei Mobbingfällen zur Verteidigung des Opfers einzugreifen, und was sie beeinflusst.
Es ist vielleicht nicht so überraschend, aber ob die gemobbte Person zur eigenen Gruppe des Zeugen gehört oder nicht, spielt eine große Rolle, sagt Tomas Jungert, außerordentlicher Professor für Psychologie an der Universität Lund.
Wenn die gemobbte Person zur eigenen Gruppe des Zeugen gehört, wird ein Zuschauer, der etwas unternimmt, in der Regel von einer internen Motivation angetrieben. Interne Motivation (intrinsisch) ist stärker und führt häufiger zum Handeln als externe Motivation (extrinsisch), die durch Belohnung oder Druck von außen angetrieben wird.
Externe und interne Motivation
Wenn ein Zeuge eingreift und einem unbekannten Opfer hilft, hat das meist mehr mit externer als mit interner Motivation zu tun, sagt Jungert.
Die Lund-Forscher untersuchten auch, inwieweit Angst ein treibender Faktor für die Person ist, die gegen Mobbing einschreitet und kamen zu diesem Ergebnis: Je anfälliger eine Person für Angst ist, desto wahrscheinlicher ist es, dass sie eingreift. Dies gilt allerdings nur, wenn die gemobbte Person und der Zeuge zur gleichen Gruppe gehören.
Dass die Angst eine wichtige Rolle spielt, liegt nach Ansicht der Forscher daran, dass sie ein Verhalten auslösen kann: Entweder fühlt sich der Bystander verpflichtet, einzugreifen, um dem Opfer zu helfen, oder er vermeidet aktiv, sich in eine unangenehme Situation zu begeben. In beiden Fällen handelt es sich um ein Verhalten, das darauf abzielt, die eigene Angst des Zeugen zu reduzieren.
Zuschauereffekt bei Cybermobbing
Wenn es sich bei der gemobbten Person um jemanden handelt, den man nicht kennt, kann die einfachste Lösung sein, gar nichts zu unternehmen, sagt Tomas Jungert. Den Kopf in den Sand zu stecken, ist dagegen schwieriger, wenn das Opfer zur eigenen In-Group des Zeugen gehört.
Die Forscher untersuchten auch, ob traditionelles Mobbing oder Cybermobbing, also über soziale Medien, ein Faktor für die innere Motivation der Zeugen ist, dem Opfer zu helfen. Es zeigte sich, dass, obwohl traditionelles Mobbing als schlimmer angesehen wurde als Cyber-Mobbing, die Schüler eher bereit waren, zur Verteidigung der gemobbten Person einzugreifen, wenn das Mobbing online stattfand. Auch hier wird angenommen, dass Angst ein wichtiger Faktor zur Erklärung des Verhaltens ist, da es sich bei Cybermobbing weniger gefährlich anfühlen kann, einzugreifen als bei physischem, traditionellem Mobbing.
Anständiges Verhalten hat einen Dominoeffekt
Jungert und seine Kollegen sind der Meinung, dass es sowohl für Schüler als auch für Lehrer wichtig ist, über die treibenden Kräfte nachzudenken und sich bewusst zu machen, was die Schüler dazu bewegt, gegen Mobbing vorzugehen.
Anständiges Verhalten hat einen Dominoeffekt und schafft langfristig eine gesündere Kultur an den Schulen, schreiben sie.
Derzeit gibt es viele Methoden, um Mobbing an Schulen zu reduzieren. Die Ergebnisse variieren, und viele haben wenig Wirkung, wie eine große internationale Studie zeigte, die vor ein paar Jahren veröffentlicht wurde.
Tomas Jungert sagt: Es besteht ein Bedarf an innovativeren, evidenzbasierten Ansätzen, die die Komplexität von Mobbing und Bystander-Verhalten berücksichtigen; andernfalls könnten die Maßnahmen schlimmstenfalls den gegenteiligen Effekt haben.
© psylex.de – Quellenangabe: Children and Youth Services Review (2015). DOI: 10.1016/j.childyouth.2015.12.015 / Frontiers in Psychology (2021). DOI: 10.3389/fpsyg.2020.616572