Vollständiger Schlafentzug reduziert die Top-down-Regulation von Emotionen, ohne die Bottom-up-Verarbeitung von Affekten zu verändern
12.10.2021 Es ist kein Geheimnis, dass sich Schlafmangel auf die Stimmung der Menschen auswirken kann, aber eine neue in PLOS ONE veröffentlichte Studie zeigt, dass dies nicht ihre Fähigkeit beeinträchtigt, emotionale Situationen zu bewerten.
Es wird oft angenommen, dass ein negativeres Gefühl die Wahrnehmung von emotionalen Bildern und Ereignissen in der Umgebung des Menschen verfälscht. Forscher der Washington State University fanden jedoch heraus, dass sich 24 Stunden ohne Schlaf zwar auf die Stimmung der Studienteilnehmer auswirkten, nicht aber auf ihre Leistung bei Tests, die ihre Fähigkeit bewerteten, emotionale Wörter und Bilder zu verarbeiten.
Menschen werden durch Schlafentzug unglücklicher, aber es hat keinen Einfluss auf die Verarbeitung emotionaler Reize ihrer Umgebung, sagt Studienautor Anthony Stenson vom psychologischen Fachbereich der WSU.
Für die Studie verbrachten 60 erwachsene Teilnehmer vier aufeinanderfolgende Tage im Schlaf- und Leistungsforschungszentrum am WSU Elson S. Floyd College of Medicine. Alle Teilnehmer durften in der ersten Nacht normal schlafen und wurden dann einer Reihe von Tests unterzogen, um ihre Stimmung sowie ihre emotionale Regulations- und Verarbeitungsfähigkeit zu beurteilen. Dann teilten die Forscher die Teilnehmer in zwei Gruppen ein: Eine Gruppe von 40 Personen verbrachte die zweite Nacht wach, während eine Kontrollgruppe von 20 Personen eine normale Schlafphase erhielt. Die Tests wurden dann in unterschiedlichen Abständen wiederholt.
Emotionsregulation und -Verarbeitung
Bei den Tests zur Emotionsregulation und zur Verarbeitung von Emotionen wurde jeweils eine Reihe von Bildern mit positiven und negativen emotionalen Konnotationen betrachtet. Bei den Tests zur Emotionsregulation erhielten die Teilnehmer einen Hinweis zur Rekontextualisierung negativer Bilder, bevor sie diese sahen, und sie wurden aufgefordert, ihre Gefühle zu kontrollieren. Die unter Schlafentzug leidende Gruppe hatte größere Schwierigkeiten, ihre Gefühle zu kontrollieren, wenn sie dazu aufgefordert wurden.
Bei den Verarbeitungstests ging es darum, auf Wörter und Bilder mit emotionalem Inhalt zu reagieren, z. B. die Emotionen zu bewerten, die von einer lächelnden Familie, einem knurrenden Hund oder einem weinenden Kind vermittelt werden. Alle Teilnehmer schnitten bei diesen Tests ähnlich ab, unabhängig davon, ob sie unter Schlafentzug litten oder nicht.
Die Unterscheidung zwischen der Verarbeitung des emotionalen Inhalts der Umwelt und der Fähigkeit, die eigenen emotionalen Reaktionen zu regulieren, ist wichtig, vor allem für einige Berufe, sagte Co-Autor Paul Whitney, ein WSU-Professor für Psychologie.
Ersthelfer sollten nicht gefühllos gegenüber der emotionalen Natur von Situationen sein, mit denen sie konfrontiert werden, sagte er, und es sieht so aus, als ob sie das nicht sind. Andererseits könnte die Tatsache, dass man auf emotionale Situationen normal reagiert, aber nicht in der Lage ist, seine eigenen Emotionen zu kontrollieren, ein Grund dafür sein, dass Schlafmangel in Stresssituationen manchmal zu katastrophalen Fehlern führt.
Top-Down-Prozesse ‚kalter‘ und ‚heißer‘ Aufgaben
Viele frühere Forschungsarbeiten haben untersucht, wie sich Schlafentzug auf sogenannte „kalte“ kognitive Aufgaben auswirkt – vermeintlich emotionsneutrale Aufgaben wie das Erinnern von Fakten. Diese Studien haben auch ergeben, dass die Regulierung, die als kognitiver Prozess „von oben nach unten“ (Top-Down) betrachtet wird, bei kalten kognitiven Aufgaben ein großes Problem darstellt. So wird beispielsweise die geistige Flexibilität durch Schlafentzug beeinträchtigt. Dies ist die Fähigkeit, die ein Arzt in der Notaufnahme benötigt, um schnell die Vorgehensweise zu ändern, wenn ein Patient nicht auf eine Behandlung anspricht.
Die aktuelle Studie zeigt, dass die Top-Down-Regulierung auch bei „heißen“ oder emotionalen kognitiven Prozessen ein Problem darstellt. Künftige Forschungsarbeiten sind erforderlich, um zu verstehen, ob die Auswirkungen von Schlafverlust auf die beiden Top-Down-Prozesse miteinander verbunden sind.
© Psylex.de – Quellenangabe: PLOS ONE (2021). DOI: 10.1371/journal.pone.0256983
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