Der funktionalistische Ansatz der Emotionstheorie: Wut kann für das Erreichen von Zielen von Nutzen sein
30.10.2023 Obwohl Wut oft als negative Emotion wahrgenommen wird, kann sie nach neuen Forschungsergebnissen auch ein starker Motivator sein, um anspruchsvolle Ziele im Leben zu erreichen.
„Menschen glauben oft, dass ein Zustand des Glücks ideal ist, und die Mehrheit der Menschen betrachtet das Streben nach Glück als ein wichtiges Lebensziel“, sagte die Hauptautorin Dr. Heather Lench, Professorin am Fachbereich für Psychologie und Gehirnwissenschaften der Texas A&M University.
„Die Ansicht, dass positive Emotionen ideal für die geistige Gesundheit und das Wohlbefinden sind, ist in der laienhaften und psychologischen Darstellung von Emotionen vorherrschend, aber frühere Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass eine Mischung von Emotionen, einschließlich negativer Emotionen wie Ärger, Wut, zu den besten Ergebnissen führt.“
Der funktionalistische Ansatz der Emotionstheorie
Der funktionalistische Ansatz der Emotionstheorie, der seit Jahrzehnten erforscht wird, besagt, dass alle Emotionen, ob gut oder schlecht, Reaktionen auf Ereignisse in der Umgebung einer Person sind und dem Zweck dienen, diese Person auf wichtige Situationen aufmerksam zu machen, die Handlungen erfordern, so Lench.
Jede Emotion kann eine andere Reaktion erfordern. So kann beispielsweise Traurigkeit darauf hinweisen, dass eine Person Hilfe oder emotionale Unterstützung benötigt, während Wut darauf hindeutet, dass sie Maßnahmen ergreifen muss, um ein Hindernis zu überwinden.
Experimente
Um die Rolle der Wut beim Erreichen von Zielen besser zu verstehen, führten die Forscher eine Reihe von Experimenten mit mehr als 1.000 Teilnehmern durch und analysierten die Umfragedaten von mehr als 1.400 Befragten. In jedem Experiment lösten die Forscher entweder eine emotionale Reaktion (wie Wut, Belustigung, Verlangen oder Traurigkeit) oder einen neutralen emotionalen Zustand aus und stellten den Teilnehmern dann ein herausforderndes Ziel vor.
In einem Experiment wurden den Teilnehmern Bilder gezeigt, die bestimmte emotionale oder neutrale Reaktionen hervorrufen sollten, und sie sollten dann eine Reihe von Worträtseln lösen. In einem anderen Experiment bestand das Ziel darin, bei einem Skivideospiel eine hohe Punktzahl zu erreichen. Dabei gab es ein Spiel, das eine Herausforderung darstellte (Ausweichen von Flaggen auf einem Slalomkurs), und ein einfacheres Spiel, das nur einen Sprung beinhaltete.
In allen Experimenten verbesserte Wut die Fähigkeit der Probanden, ihre Ziele zu erreichen, im Vergleich zu einem neutralen Zustand in mehreren herausfordernden Situationen. In einigen Fällen war sie mit höheren Punktzahlen oder kürzeren Reaktionszeiten verbunden. In einem Experiment führte sie auch zu vermehrtem Schummeln, um ein besseres Ergebnis zu erzielen.
Die Forscher analysierten auch Daten aus einer Reihe von Umfragen, die während der Präsidentschaftswahlen in den USA 2016 und 2020 durchgeführt wurden. Vor den Wahlen wurden die Befragten bewerten, wie wütend sie wären, wenn ihr Lieblingskandidat nicht gewinnen würde. Nach den Wahlen gaben sie an, ob sie gewählt haben und für wen sie gestimmt haben. Umfrageteilnehmer, die angaben, dass sie wütend wären, wenn ihr Kandidat nicht gewinnen würde, gaben mit höherer Wahrscheinlichkeit ihre Stimme ab, aber die Wut hatte keinen Einfluss darauf, für welchen Kandidaten sie stimmten.
„Diese Ergebnisse zeigen, dass Wut die Anstrengungen zur Erreichung eines gewünschten Ziels erhöht und häufig zu einem größeren Erfolg führt“, so Lench.
Die Auswirkungen der Wut, die die Menschen dazu anspornt, ihre Ziele anzustreben und häufig zu erreichen, waren Lench zufolge spezifisch für Situationen, in denen die Ziele eine größere Herausforderung darstellten. Wut schien nicht mit dem Erreichen von Zielen verbunden zu sein, wenn die Ziele einfacher waren, wie z. B. beim Skisprung-Videospiel.
Lench stellte außerdem fest, dass Wut zwar durchgängig mit mehr Erfolg verbunden war, in einigen Fällen aber auch Vergnügen oder Verlangen mit einer höheren Zielerreichung einhergingen.
Auch „negative“ Emotionen können nutzbringend eingesetzt werden
Die Ergebnisse legen nahe, dass Emotionen, die oft als negativ angesehen werden – wie Wut, Langeweile oder Traurigkeit – nützlich sein können, so Lench.
„Menschen ziehen es oft vor, positive Emotionen als Hilfsmittel zu nutzen, und neigen dazu, negative Emotionen als unerwünscht und unpassend zu betrachten“, sagte sie. „Unsere Forschung ergänzt die zunehmenden Belege dafür, dass eine Mischung aus positiven und negativen Emotionen das Wohlbefinden fördert und dass die Nutzung negativer Emotionen als Hilfsmittel in bestimmten Situationen besonders effektiv sein kann“.
© Psylex.de – Quellenangabe: Journal of Personality and Social Psychology (2023). DOI: 10.1037/pspa0000350