Misophonie (Psychologie, Gehirn)
Psychische Störungen
Definition
Der Begriff Misophonie (wörtlich Hass, Abneigung gegenüber Geräuschen) wurde von den US-Wissenschaftlern Pawel und Margaret Jastreboff 2001 geprägt und bezeichnet die reduzierte Geräuschtoleranz gegenüber bestimmten Geräuschen.
Andere Bezeichnungen sind z.B. Selektive Geräuschintoleranz (engl. Selective Sound Sensitivity Syndrome).
Laut Misophonia UK bricht die Krankheit schon oft im Kindesalter aus. Die häufigsten Trigger-Geräusche sind die beim Essen (Schmatzen, Kauen, Knacken, Kaugummikauen etc.), Atmungs- (z.B. Schnarchen) und Handgeräusche (z.B. Tippen, Klicken des Kugelschreibers).
Die psychologische Reaktion beginnt mit dem Geräusch und entwickelt sich oft weiter, schließt die mit dem Geräusch verbundenen Aktivitäten ein und kann selbst die Antizipation dieser Handlungen einschließen.
Psychologische Reaktionen können Irritationen, Aufregung, Ekel, Wutanfälle, extreme Wut und Hass sein.
Misophonie ist nicht im ICD-10 oder DSM IV oder V kategorisiert. Es steht nicht fest, ob es eher eine neurologische oder psychische Störung ist. Behandlungen mit einer Gegenkonditionierung sollen sich als hilfreich erwiesen haben. Die Interventionsforschung steht aber noch am Anfang.
Gehirn-Studie: Wenn Menschen bestimmte Geräusche nicht ertragen können
12.02.2017 Während viele von uns die Geräusche von anderen Menschen – beim Kauen oder Atmen – als unangenehm empfinden, sind sie für einige unerträglich, und eine neue in Current Biology veröffentlichte Studie zeigt, dass deren Gehirne ‚übersteuern‘.
Neurologische Befunde
Ein Forscherteam der Newcastle Universität berichtet über neue Befunde zur neurologischen Grundlage von Menschen, die unter Misophonie leiden, einer psychischen / neurologischen Störung, bei der die Betroffenen einen Hass auf Trigger-Geräusche wie Kauen, Schmatzen, Kugelschreiber-Klicken etc. entwickeln (zur Definition). Die Reaktionen können intensive ‚Flucht oder Kampf‘ Gefühle sein.
In der aktuellen Studie fanden die Forscher um Dr. Sukhbinder Kumar die ersten Belege für deutliche Veränderungen in der Struktur des Frontallappens in den Gehirnen und auch bei der Gehirnaktivität von Misophonikern.
‚Overdrive‘ – Emotionsregulation
Gehirnscans zeigten, dass die Betroffenen eine Anomalie in der Region aufwiesen, die bei der Emotionsregulation eine wichtige Rolle spielt, was die Gehirne der Misophoniker ‚übersteuern‘ lässt.
Außerdem konnten die Neurowissenschaftler feststellen, dass die Gehirnaktivität aus einem unterschiedlichen Konnektivitätsmuster im Frontallappen heraus entsteht. Dies wäre normalerweise dafür verantwortlich, die anomale Reaktion auf Geräusche zu unterdrücken. Auch scheinen die Trigger-Geräusche eine erhöhte physiologische Reaktion (erhöhte Herzrate und Schwitzen) bei Misophonikern auszulösen.
Anomalien im Gehirn
Insbesondere zeigte die Magnetresonanztomographie physische Unterschiede im Frontallappen zwischen den zerebralen Hemisphären bei den Menschen mit der selektiven Geräuschintoleranz – mit einer höheren Myelination in der grauen Substanz des ventromedialen präfrontalen Cortex (vmPFC).
Die Teilnehmer mit und ohne Misophonie sollten sich in der Studie eine Reihe von Geräuschen anhören, während ihre Gehirne mit fMRT gescannt wurden:
- Regen, belebtes Café, kochendes Wasser – neutrale Geräusche
- Weinendes Baby, schreiende Person – unangenehme Geräusche
- Atemgeräusche, Essgeräusche – Trigger-Geräusche
Dabei zeigten sich anomale Verbindungen zwischen dem Frontallappen und dem anterioren Inselkortex (AIC). Dieses Gebiet befindet sich in der grauen Substanz des Gehirns, aber liegt begraben in einer tiefen Falte an der Seite des Gehirns und ist dafür bekannt, dass es an der Verarbeitung von Emotionen und der Integration von Signalen (sowohl des Körpers als auch die der Außenwelt) beteiligt ist.
Wenn Trigger-Geräusche präsentiert wurden, erhöhte sich die Aktivität in beiden Gebieten bei den Misophonikern, während bei normalen Teilnehmern die Aktivität im AIC stieg, im Frontallappen aber sank.
Das Forscherteam vermutet, dies spiegelt eine Abnormität eines Kontrollmechanismus zwischen Frontallappen und anteriorer Insula wider.
Kumar hofft in zukünftigen Studien die Gehirnsignatur der Trigger-Geräusche zu identifizieren – diese könnten dann in psychologischen bzw. neurologischen Behandlungen – wie z.B. mit Neurofeedback – eingesetzt werden.
© PSYLEX.de – Quellenangabe: Newcastle Universität, Current Biology – DOI: 10.1016/j.cub.2016.12.048; Feb. 2017
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