Tiefe Hirnstimulation gegen Zwangsstörungen

Gehirnimplantat kontrolliert erfolgreich sowohl epileptische Anfälle als auch Zwangsstörung

Tiefe Hirnstimulation gegen Zwangsstörungen

26.10.2023 Eine Patientin der Oregon Health & Science University ist weltweit die erste, die von einem einzigen in das Gehirn implantierten Stimulator profitiert, der zwei lebensverändernde Erkrankungen wirksam unter Kontrolle hält: epilepsiebedingte Anfälle und zwanghaftes Verhalten aufgrund einer Zwangsstörung.

Amber Pearson (34, aus Albany) sagte, dass ihre Anfälle nun besser kontrolliert werden können, aber die Erleichterung über ihre psychiatrische Erkrankung ist tiefgreifend.

„Die Zwangsstörung ist schlimmer als die Anfälle“, sagte sie. „Die Epilepsie schränkt mein Leben ein, aber die Zwangsstörung hat es kontrolliert.“

In der in der Fachzeitschrift Neuron veröffentlichten Fallstudie beschreiben Koautoren aus Einrichtungen im ganzen Land die interaktive Programmierung des responsiven Neurostimulationssystems (RNS), das nun nahtlos funktioniert und die Zwänge kontrolliert, die einst ihr Leben beherrschten.

Die Zwänge

„Bevor ich die Behandlung mit meinem RNS begann, wusch ich mir die Hände, bis sie bluteten“, sagte Pearson. „Meine Hände waren so trocken, dass beim Biegen meiner Finger die Haut an den Knöcheln aufbrach.“

Die Kontrolle von Fenstern und Schränken und die Überprüfung, ob der Herd vor dem Schlafengehen ausgeschaltet war, konnte 45 Minuten dauern. Sie konnte sich beim Essen nicht neben andere Leute setzen, weil sie befürchtete, dass deren Essen ihres verunreinigen könnte, selbst bei Familienessen an Feiertagen. Sie duschte jedes Mal, wenn sie das Katzenklo wechselte.

Dr. Ahmed Raslan, Professor für neurologische Chirurgie an der OHSU School of Medicine, implantierte das Gerät (der sogenannten Tiefen Hirnstimulation) in erster Linie, um die epileptischen Anfälle von Pearson zu kontrollieren.

Auf Wunsch der Patientin stellte er außerdem sicher, dass die 32 Millimeter lange Elektrode den Teil ihres Gehirns abdeckt, der als Nucleus accumbens bekannt ist – ein Bereich des Gehirns, der mit Motivation und Handeln, einschließlich zwanghaftem Verhalten, verbunden ist.

Behandlungsresistente Zwangsstörungen

Behandlungsresistente Zwangsstörungen treten bei etwa einem Drittel der Zwangspatienten auf. Zwangsvorstellungen können im Laufe der Zeit schwanken, treten aber häufig auf oder verschlimmern sich in Gegenwart von inneren (emotionalen Befindlichkeiten und Gedanken) und äußeren (visuellen und taktilen) auslösenden Reizen.

Zwangsgedanken und das damit verbundene zwanghafte Verlangen fluktuieren (sind episodisch) und können daher gut auf eine zeitlich abgestimmte Hirnstimulationsstrategie ansprechen, die auf diese Symptomschwankungen sensibel und ansprechbar ist.

Responsive tiefe Hirnstimulation (rTHS) des ventralen Striatums

Erste Anzeichen deuten darauf hin, dass die neuronale Aktivität von ventralen Striatalregionen, die in der Zwangsstörung eine Rolle spielen, erfasst werden kann, um einen solchen geschlossenen Kreislauf zu steuern. Die Studienautoren berichten in ihrer Arbeit über die erste Anwendung der responsiven tiefen Hirnstimulation (rTHS) des ventralen Striatums bei einem Menschen mit therapierefraktärer Zwangsstörung, die zudem an einer komorbiden Epilepsie litt. Selbstberichtete Zwangssymptome und provozierte Zwangsstörung korrelierten mit der ventralen Striatum-Elektrophysiologie.

Pearson unterzog sich 2018 an der OHSU einer Standardoperation zur Behandlung medikamentenresistenter Anfälle, bei der ein kleiner Teil des Gehirns entfernt wurde, von dem die Anfälle ausgingen. Der Eingriff stoppte einige, aber nicht alle ihrer Anfälle, sodass Pearson beschloss, mit der Implantation des RNS fortzufahren – einer relativ neuen Art von Implantat, das die Gehirnaktivität aktiv überwacht und einen kleinen Impuls abgibt, um Anfälle zu unterdrücken, bevor sie beginnen.

Im Zuge ihrer eigenen Nachforschungen erfuhr sie, dass einige Menschen berichtet hatten, dass diese Implantate psychiatrische Erkrankungen, einschließlich Zwangsstörungen, lindern.

„Ich konnte beide Teile des Gehirns ansprechen und einen zweiten Effekt erzielen“, sagte Raslan.

Schon wenige Monate nach der Hirnimplantation stellte Pearson eine Linderung ihrer Zwangsstörungen fest. Vier Jahre später hat das Ergebnis ihr Leben verändert.

„Jetzt mache ich mir nur noch selten Gedanken darüber, was in meinem Haus vor sich geht, wenn ich nicht da bin. Ich bemerke immer weniger Zwangsvorstellungen und Zwänge“, sagte sie. „Ich habe gesündere Beziehungen zu den Menschen in meinem Leben aufbauen können.“

© Psylex.de – Quellenangabe: Neuron (2023). DOI: 10.1016/j.neuron.2023.09.034

News zu Tiefe Hirnstimulation gegen Zwangsstörungen

Tiefe Hirnstimulation könnte Zwangssymptome deutlich verbessern

10.03.2019 Das belastende Zwangsverhalten und die allgegenwärtigen Zwangsgedanken, die Menschen mit schwerer Zwangsstörung beeinflussen, könnten durch gezielte tiefe Hirnstimulation deutlich verbessert werden laut der in Biological Psychiatry veröffentlichten Forschungsarbeit.

In einer Studie von Himanshu Tyagi vom University College London und Kollegen wurden sechs Patienten mit behandlungsresistenter Zwangsstörung in einer kontrollierten Doppelblindstudie mit tiefer Hirnstimulation (THS) behandelt.

Subthalamischer Kern und ventrale Kapsel

Die Studie verglich direkt die Effekte zweier verschiedener Hirnregionen – dem subthalamischen Kern (STN) und der ventralen Kapsel (VC) – bei denselben Patienten. Die beiden Hirnregionen waren beide zuvor als wichtig für die Zwangsstörung erachtet worden, aber es war unklar, ob sie einfach Teil desselben Gehirnnetzwerks sind, und ob sie an der gleichen Art von Zwangssymptomen beteiligt sind.

Stimmung und kognitive Flexibilität

Die Neuroforscher zeigten, dass beide Hirnbereiche bemerkenswert effektiv bei der Linderung von Zwangsstörungssymptomen waren, jedoch unter verschiedenen Aspekten: Die VC-Stimulation verbesserte die Stimmung, während die STN-Stimulation die kognitive Flexibilität verbesserte.

Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass die tiefe Hirnstimulation dieser beiden Hirnareale auf verschiedene Hirnnetze wirkt, von denen eines den medialen präfrontalen Cortex und das andere den lateralen präfrontalen Cortex involviert. Dies wurde auch durch Hirnbildgebung bestätigt.

Während tiefe Hirnstimulation nur dann eingesetzt wird, wenn Medikamente und spezifische psychologische Behandlungen erprobt und fehlgeschlagen sind, kann es für einige Patienten die Möglichkeit bieten, Wohlbefinden und Lebensqualität zurückzugewinnen, schließen die Wissenschaftler.

© PSYLEX.de – Quellenangabe: Biological Psychiatry – DOI: https://doi.org/10.1016/j.biopsych.2019.01.017

Patienten mit Zwangsstörungen und mit Begleiterkrankungen sprechen gut auf tiefe Hirnstimulation an

04.04.2021 Eine in Frontiers in Psychiatry veröffentlichte Studie zeigt, dass Patienten mit Zwangsstörungen sowie anderen psychiatrischen Komorbiditäten – wie Autismus-Spektrum- oder Tic-Störungen – gut auf die Tiefe Hirnstimulation (THS) ansprechen können.

Lora Kahn vom University of Colorado Anschutz Medical Campus und Kollegen untersuchten retrospektiv fünf Patienten, die zwischen 2015 und 2019 eine tiefe Hirnstimulation zur Behandlung von Zwangsstörungen aufsuchten.

Zwangserkrankungen mit Begleiterkrankungen

Die Patienten wiesen Komorbiditäten auf, einschließlich Substanzsucht, Essstörung, Autismus-Spektrum-Störung, klinische Depression, ADHS und Tic-Störung.

Drei Patienten waren während der THS-Operation wach, was es den Ärzten ermöglichte, das Ansprechen auf die Stimulation zu überprüfen (verbesserte Stimmung, erhöhte Energie und Verringerung der Angst), eine zusätzliche Möglichkeit, die korrekte Elektrodenplatzierung zu bestätigen.

Nach der Operation bewerteten die Wissenschaftler das Ansprechen und ermittelten die korrekten Einstellungen, indem sie die Patienten nach Veränderungen der Stimmung, der Energie und der Angstzustände befragten.

Eine Verbesserung in diesen Bereichen ist in der Regel mit einer späteren Verringerung der Zwangssymptome verbunden. Die Veränderungen wurden mit einer Reihe von Fragebogen überwacht, die Veränderungen der Stimmung, Angst, Depression und andere Elemente der Lebensqualität, die von der Zwangsstörung betroffen sind, erfassen.

Verbesserung der Zwangsstörungssymptome und der Stimmung

Insgesamt erreichten diese Patienten eine signifikante Verbesserung der Zwangsstörungssymptome und der Stimmung. Die Yale-Brown Obsessive-Compulsive Scale (YBOCS), eine Standardskala zur Beurteilung des Schweregrads der Symptome und des Ansprechens auf die Behandlung bei Zwangsstörungen, misst den Grad des Leidens und der Beeinträchtigung, die durch Zwangsvorstellungen und Zwänge verursacht werden.

Als gutes klinisches Ansprechen wird eine Reduktion um mehr als 35 % angesehen. In dieser Studie erreichten die Patienten im Durchschnitt eine 44%ige Reduktion auf dieser Skala; vier von fünf erreichten ein vollständiges Ansprechen, während der fünfte ein teilweises Ansprechen mit einer ca. 25%igen Reduktion der Zwangssymptome zeigte.

Die Patienten berichteten auch über eine durchschnittliche Reduktion der Depressionssymptome um 53 %.

© PSYLEX.de – Quellenangabe: Frontiers in Psychiatry (2021). DOI: 10.3389/fpsyt.2021.568932

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