Psychologie: Placebo-Effekt und die Psyche

Stärkerer Placebo-Effekt bei Menschen, die glauben, dass medizinische Scheinbehandlungen personalisiert sind

Psychologie: Placebo-Effekt und die Psyche

14.07.2023 Wenn Sie glauben, dass eine medizinische Behandlung speziell für Sie entwickelt bzw. ausgerichtet wurde, kann sie wirksamer sein, vor allem, wenn Sie als einzigartig angesehen werden wollen, so eine neue Studie der McGill University.

In zwei Studien fanden Forscher des Fachbereichs Psychologie heraus, dass Teilnehmer, die glaubten, ein medizinisches Gerät (in Wirklichkeit eine Placebo-Behandlung) sei auf ihre genetische Beschaffenheit und Physiologie zugeschnitten, bei der Anwendung weniger Schmerzen verspürten als die Teilnehmer, die glaubten, es handele sich um eine Standardbehandlung.

Persönlichkeitsmerkmal Bedürfnis nach Einzigartigkeit als Einflussfaktor

Dieser Placebo-Effekt war sogar noch stärker bei denjenigen, die ihre Individualität schätzten und eine hohe Punktzahl bei einem Persönlichkeitsmerkmal namens Bedürfnis nach Einzigartigkeit aufwiesen. Diese Ergebnisse stellen die Annahme in Frage, dass personalisierte medizinische Behandlungen ausschließlich aufgrund ihrer pharmakologischen Eigenschaften funktionieren, und deuten darauf hin, dass auch psychologische Faktoren eine Rolle bei ihrer Wirksamkeit spielen könnten.

Die Erkenntnisse der in eLife veröffentlichten Studie könnten zu einer besseren Gestaltung maßgeschneiderter (personalisierter) Therapien führen und Forscher dazu veranlassen, sich mit den psychischen Auswirkungen von Placeboeffekten in klinischen Studien für Präzisionsmedikamente zu befassen. „Die Zahl der auf dem Markt befindlichen personalisierten Medikamente hat sich in den letzten fünf Jahren verdoppelt“, sagte Dasha Sandra, Hauptautorin der Studie und Absolventin des Integrierten Programms für Neurowissenschaften. „Wenn wir verstehen, wie sich die Psyche bzw. Überzeugungen der Patienten auf die personalisierten Behandlungen auswirken, könnten wir die Forscher ermutigen, sie bei der Entwicklung neuer Medikamente besser zu berücksichtigen.“

Bei weiterer Forschung könnten diese Erkenntnisse den Weg zu einer besseren Umsetzung personalisierter Therapien ebnen. „Derzeit wissen Kliniker, die personalisierte Behandlungen durchführen, wenig darüber, wie psychologische Faktoren die Ergebnisse ihrer Patienten verbessern können“, fügte Mathieu Roy, außerordentlicher Professor für Psychologie und Hauptautor der Studie, hinzu. „Unsere Ergebnisse könnten bei Bestätigung in klinischen Studien den Ärzten helfen, diese Faktoren zu nutzen, um personalisierte Behandlungen effektiver durchzuführen.“

© Psylex.de – Quellenangabe: eLife (2023). DOI: 10.7554/eLife.84691

News zu Placebo-Effekt und die Psyche

Definition von Placebo

Definition: Ein Placebo (lateinisch: ‚ich werde gefallen‘), andere Schreibweise Plazebo, ist normalerweise eine Zuckerpille oder Vitamintablette und enthält keine Arzneimittel bzw. Wirkstoffe, die eine bestimmte pharmakologische Wirkung zeigen können. Ein Nocebo (‚ich werde nicht gefallen‘) sorgt für eine negative Verstärkung.

Placebos kommen in Studien zum Einsatz um die Wirkungsweise bestimmter Arzneimittel bzw. Psychopharmaka zu testen oder zu überprüfen; in Arztpraxen für die Behandlung (z.B. bei Ratlosigkeit des Arztes oder bei guten Ärzten, die Placebos bei Krankheiten oder Symptomen geben, die von selbst heilen).

Placebos sind oft mindestens genauso wirksam wie die getesteten Medikamente, wie zahlreiche Studien belegen.

Die Wirkung des Placebos: Wie kommt sie zustande?

26.09.2013 Die Befunde eines ausführlichen Überblicks des Placebophänomens und seiner Folgen für die klinische Medizin werden in einem Artikel von Fabrizio Benedetti vom Fachbereich Neurobiologie der Universität von Turin vorgestellt.

Placeboforschung

Dr. Benedettis Forschungsergebnisse orientieren sich auf den gegenwärtigen Stand der Placeboforschung, ein komplexes Feld, welches sich von der Pharmakologie bis zur Neurologie, von der Psychologie bis zur Psychophysiologie, und von der zellulären/molekularen Analyse bis zur modernen Neuroimaging Technik erstreckt.

Dr. Benedetti benutzte biochemische, zelluläre und physiologische Werkzeuge, fasste neue Forschungsbefunde zum Placeboeffekt in der Psychologie und Biologie und ihre Wirkung auf die Arzt-Patient-Beziehung zusammen. Seine Befunde lauten:

Befunde zum Placeboeffekt

  • Es gibt nicht „den Placeboeffekt“. Es gibt verschiedene Mechanismen im Zusammenspiel mit vielen medizinischen Bedingungen/Erkrankungen und therapeutischen Eingriffen. Zum Beispiel: ein Placeboeffekt findet statt, weil es eine Erwartungshaltung gibt. Der Patient erwartet einen therapeutischen Nutzen, und diese Art von Erwartung hat tatsächlich eine Wirkung auf das Gehirn und den Körper.
  • Die Verbindung zwischen Erwartung und wirklicher Verbesserung, die auftreten könnte, wird durch mindestens zwei Mechanismen verursacht. Der erste könnte eine Reduktion der Angst sein. Der zweite könnte stattfinden zwischen der Erwartung und der Aktivierung eines Belohnungsmechanismus durch eine Gehirnregion (Accumbens genannt), die auch bei Freude, verstärkendes Lernen, Lachen, Sucht, Aggression, Angst, Impulsivität aktiv ist, und eben auch den Placebo-Effekt kontrolliert.
  • Wenn einem Patienten ein Medikament (oder Therapie) verabreicht wird, sei es ein Placebo oder ein wirkliches, geschieht dies in einem komplexen Setting psychologischer Zustände/Bedingungen, die von Patient zu Patient und von Situation zu Situation variieren. Zum Beispiel, wird ein Placebo zur Schmerzlinderung gegeben, geschieht dies zusammen mit Stimuli (Reizen), die dem Patienten sagen, dass es bald zu einer klinischen Verbesserung kommen sollte. Diese Stimuli könnten Farbe und Form der Tablette, Patienten- und Arztcharakteristika und das Setting der medizinischen Einrichtung sein.
  • Jüngste Forschungsergebnisse haben eine reduzierte Wirksamkeit von Medikamenten gezeigt, wenn sie dem Patienten versteckt verabreicht werden. Wenn die Placebo-/Erwartungskomponente einer Behandlung mittels einer versteckten Verabreichung eliminiert wird (ohne Wissen des Patienten), dann fehlt auch die psychologische Komponente der Therapie.

Quelle: University of Turin Medical School/Physiological Reviews, Sept. 2013

Psychologische Placebos und die psychische Befindlichkeit

05.02.2019 Eine in Scientific Reports publizierte Forschungsarbeit untersuchte die Wirkung von psychologischen Placebos in der Psychotherapie bzw. auf die psychische Befindlichkeit.

Jens Gaab von der Abteilung für Klinische Psychologie und Psychotherapie der Universität Basel und Kollegen erforschten die psychologischen Effekte von Placebo in drei Experimenten mit mehr als 400 gesunden Probanden.

Den Teilnehmern wurden kurze Filme gezeigt, die in überwiegend grünen Farben präsentiert wurden. Diese wurden in psychologischen Kontexten gezeigt; Z.B. wurde den Studienteilnehmern dabei erzählt, dass „grün beruhigt, weil es früh geprägte emotionale Schemata aktiviert“. Oder die Videos wurden in einem neutralen Kontext vorgespielt.

Psychische Befindlichkeit verbesserte sich

Es zeigte sich, dass die Eigenbewertungen der Teilnehmer zur psychischen Befindlichkeit durch die Betrachtung der Kurzfilme positiver waren, wenn das Placebo „zusammen mit einem psychologischen Narrativ sowie im Kontext einer freundlichen Beziehung verabreicht wurde“. Der demonstrierte Effekt war nach der Placebo-Verabreichung am größten, doch auch noch nach 7 Tagen feststellbar.

Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass Placebos außerhalb des medizinischen Kontextes wirksam sind und daher in nicht-medizinischen Studien kontrolliert werden müssen.

Vergleichbar mit Psychotherapie

Gaab bemerkt: „Die beobachteten Effekte waren dabei vergleichbar mit jenen von psychotherapeutischen Interventionen bei gleichen Populationen“. Die signifikante Wirkung psychologischer Placebos sei deshalb nicht nur für das Verständnis psychologischer Behandlungen von Bedeutung, sondern auch für Forschung und klinische Praxis, schließt der Wissenschaftler.

© PSYLEX.de – Quellenangabe: Scientific Reports – doi: 10.1038/s41598-018-37945-1

Weitere Forschung und News

Forschung und News zum Placebo bezogen auf Psychologie, Psychiatrie und Psychopharmaka:

  • Rolle der Erwartungen bei Gestaltung der subjektiven Realität. Positive Erwartungen erleichtern die Belohnungsverarbeitung und negative Erwartungen fördern die Schmerzverarbeitung; asymmetrischer Placebo-Effekt als Reaktion auf scharfes Essen
  • Wie Nebenwirkungen die Wirksamkeit der Behandlung verbessern können. Der Einfluss von Nebenwirkungen auf den Schmerz hing in einer neuen Studie von persönlichen Überzeugungen und Erwartungen an die Behandlung ab
  • Offene Placebos können Stress, Angst und Depression reduzieren. Aus der Ferne verabreichte, offene Placebo-Behandlung verringert COVID-bedingten Stress, Angst und Depression
  • Placebos helfen gegen Schuldgefühle. Forschende der Universität Basel konnten zeigen, dass sich Schuldgefühle mit Placebos verringern lassen. Auch dann, wenn die behandelten Personen wissen, dass es sich um Placebos handelt
  • Placebos wirken auch bei bewusster Einnahme: Placebos können überraschend starke Effekte erzielen, selbst wenn die Patienten das Placebo wissentlich einnehmen.
    zum Artikel
  • Studie untersuchte, ob Placebos psychedelische Auswirkungen auf die Psyche haben können.
    zum Artikel
  • Offen bzw. wissentlich eingenommene Placebopillen können Erschöpfung bei Krebsüberlebenden verringern und die Lebensqualität verbessern.
    zum Artikel
  • Teures Scheinmedikament kann stärkere Nebenwirkungen verursachen als günstiges.
    zum Artikel
  • Gehirnstudie: Warum teurer Wein oder teure Schokolade vom Gehirn als wohlschmeckender bewertet wird.
    zum Artikel
  • Placebowirkung kann auch die Schmerzen bei Liebeskummer lindern
    zum Artikel
  • Psychologisches Placebo verbessert Gesundung nach Herzoperation.
    zum Artikel
  • Placebos sind wirksam, sogar wenn der Patient sich darüber bewußt ist, dass es kein wirksames Medikament ist
    zum Artikel

Was denken Sie darüber? Oder haben Sie Erfahrungen damit gemacht?


Aus Lesbarkeitsgründen bitte Punkt und Komma nicht vergessen. Vermeiden Sie unangemessene Sprache, Werbung, themenfremde Inhalte. Danke.