Geschlechterunterschiede (Mann/Frau) im Gehirn

News/Forschung zu geschlechtsspezifischen Unterschieden im Gehirn

Bilden männliche und weibliche Gehirne unterschiedliche Netzwerke aus?

17.07.2016 Forscher der University of California untersuchten männliche und weibliche Gehirnaktivitäten mit MRT-Bildaufbereitung während verschiedener Gehirntätigkeiten. Männer und Frauen zeigten gegenteilige Reaktionen auf der rechten Vorderseite der Inselrinde, einem Bereich des Gehirns, der wichtig für Emotionen, Kontrolle des Blutdrucks und Selbstbewusstsein ist.

Die meisten Studien, die auf potentielle Unterschiede bei den Gehirnfunktionen zwischen Männern und Frauen untersuchten, haben sich auf die psychologische Leistung konzentriert.

Blutdruckkontrolle im Gehirn

In früheren Studien hatten die UCLA-Forscher Unterschiede bei Männern und Frauen mit obstruktiver Schlafapnoe in Herzrate und Gehirn-Blutfluss während Blutdruck-Veränderungen beobachtet, und sie wollten untersuchen, ob die kardiovaskulären Reaktionen in den Gehirnbereichen bei gesunden Männern und Frauen sich ebenfalls unterschieden.

Valsalva-Manöver

In dieser Studie verwendeten die Wissenschaftler das Valsalva-Manöver – bei dem die Teilnehmer stark durch eine sehr kleine Röhre atmen, um den Blutdruck anzuheben; so sollte die Tätigkeit des Gehirns gemessen werden, während es den Blutdruck verändert.

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Bild: Cortex insularis (gelb); Henry Vandyke Carter

Insula

Der Inselcortex hat fünf Hauptregionen – Gyri genannt (Plural von Gyrus, eine aus der Hirnmasse hervortretende Gehirnwindung), die verschiedene Aufgaben haben.

Die Forscher entdeckten, dass die Blutdruck-Reaktionen im rechten vorderen Gyrus ein entgegengesetztes Muster bei Männern und Frauen zeigten, wobei es zu einer stärkeren rechtsseitigen Aktivierung bei den Männern kam und zu einer schwächer ausgeprägten Reaktion bei den Frauen.

Dies ist ein so wichtiger Gehirnbereich, und wir hatten nicht angenommen, solch starke Unterschiede zwischen Männer- und Frauengehirnen vorzufinden, sagte Studienleiter Paul Macey in Frontiers of Neurology.

Die Region der rechten frontalen Insula ist involviert bei Stress, Aufrechterhaltung von Herzrate und Blutdruck. Es ist möglich, dass die Frauen dieses Gebiet aufgrund von psychischen Stress aktiviert hatten, so als sie den physischen Test in der Studie machten, sie das Gehirngebiet nicht noch mehr aktivieren konnten (doch ähnliches hätte dann auch bei den Männern beobachtet werden müssen).

Jedoch ist es auch möglich, dass dieses Gebiet bei Männern und Frauen völlig anders ‚verdrahtet‘ wird, sagte er.

Niedrigere rechtsseitige Aktivierung bei Frauen

Wir dachten immer, das ’normale‘ Muster der rechten Vorderseite der Inselrinde sei eine stärkere Aktivierung als in anderen Gebieten während einer Aufgabe, die den Blutdruck anhebt, fügte Macey hinzu.

Da die meisten früheren Studien mit Männern oder männlichen Tieren waren, sieht es so aus, dass diese ’normale‘ Reaktion nur bei Männern auftritt. Die gesunde Reaktion bei Frauen scheint eine niedrigere rechtsseitige Aktivierung zu sein.

Faktor für unterschiedliche Gesundheitsprobleme?

„Das wirft mehrere Fragen auf, wie: Warum gibt es einen Unterschied in den Gehirnmustern und spiegelt es die Unterschiede bei Gesundheitsproblemen von Männern und Frauen – insbesondere bei den kardiovaskulären Erkrankungen – wider“, fragt Macey. Auch das unterschiedliche Ansprechen auf Medikamente sollten durch weitere Studien auf diesem Gebiet erforscht werden, sagte er.

Die Unterschiede in Struktur und Funktion der Insula zwischen Männern und Frauen könnten zu anderen klinischen Symptomen bei einigen medizinischen Störungen beitragen, schließt Macey.

© PSYLEX.de – Quellenangabe: University of California – Los Angeles, Frontiers of Neurology – doi:10.3389/fneur.2016.00087; Juli 2016

Unterschiedliche Gehirnaktivität bei Frauen und Männern

Mögliche Erklärung, warum Frauen empathischer, kooperativer und anfälliger für psychische Störungen sind

09.08.2017 In der bisher größten funktionellen Gehirn-Imaging-Studie verglichen Neurowissenschaftler 46.034 Gehirne mit SPECT (Single Photon Emission Computertomographie) und quantifizierten die Unterschiede zwischen den Gehirnen von Männern und Frauen.

Studienautor und Psychiater Daniel G. Amen kommentierte: Dies ist eine sehr wichtige Studie, um die geschlechtsspezifischen Hirnunterschiede zu verstehen. Die quantifizierbaren Unterschiede, die wir zwischen Männern und Frauen identifizierten, sind für das Verständnis des Gender-basierten Risikos für Hirnstörungen wie der Alzheimer-Krankheit wichtig. Funktionelle Neuroimaging-Werkzeuge wie SPECT sind für die Entwicklung präzisionsmedizinischer Gehirnbehandlungen in der Zukunft unerlässlich.

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Bild: Kai Stachowiak

Aktiver im präfrontalen Cortex u. limbischen Bereichen

SPECT kann den Blutdurchfluss im Gehirn messen. Bilder, die von Probanden in Ruhe oder bei der Durchführung verschiedener kognitiver Aufgaben gemacht wurden, zeigten einen unterschiedlichen Blutfluss in bestimmten Hirnregionen.

Die Gehirne der Frauen in der Studie waren tendentiell signifikant aktiver als bei den Männern in vielen Bereichen des Gehirns, vor allem im präfrontalen Cortex (beteiligt an Aufmerksamkeit und Impulskontrolle) und den limbischen bzw. emotionalen Bereichen des Gehirns (Stimmung und Angst).

Die visuellen und koordinierenden Zentren des Gehirns waren bei Männern im Durchschnitt aktiver.

Zu den männlichen und weiblichen Probanden gehörten 119 gesunde Teilnehmer und 26.683 Patienten mit einer Reihe von psychiatrischen Erkrankungen wie Hirntrauma, Bipolarer Störung, Stimmungsstörungen, Schizophrenie / psychotischen Störungen und Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS).

Insgesamt wurden 128 Hirnregionen der Probanden zu Beginn und bei der Durchführung einer Konzentrationsaufgabe analysiert.

Stärken und Schwächen in der Psyche

Das Verständnis dieser Unterschiede ist wichtig, weil Störungen des Gehirns Männer und Frauen unterschiedlich betreffen, schreiben die Wissenschaftler im Fachblatt Journal of Alzheimer’s Disease.

Frauen haben signifikant höhere Raten bei Alzheimer-Krankheit, depressiven Störungen (die selbst ein Risikofaktor für die Alzheimer-Krankheit sind) und Angststörungen, während Männer höhere Raten bei ADHS, Verhaltensproblemen und Inhaftierungen (um 1.400% höher) haben.

Die Studienergebnisse zum erhöhten Blutfluss im präfrontalen Kortex (was die Forscher mit einer erhöhten Gehirnaktivität gleichsetzen) bei Frauen im Vergleich zu Männern können erklären, warum Frauen tendentiell größere Stärken in den Bereichen Empathie, Intuition, Zusammenarbeit, Selbstbeherrschung und Fürsorge zeigen, schreiben die an der Studie beteiligten Forscher verschiedener Universitäten und den Amen Clinics.

Die Studie stellte auch erhöhte Hirnaktivitäten in den limbischen Bereichen der Gehirne von Frauen fest, die teilweise erklären könnten, warum Frauen anfälliger für Angststörungen, Depressionen, Schlaflosigkeit und Essstörungen sind, schreiben die Studienautoren.

© PSYLEX.de – Quellenangabe: Amen Clinics, Journal of Alzheimer’s Disease – DOI: 10.3233/JAD-170432; Aug. 2017

Umfassende Zusammenfassung von Studien zum menschlichen Gehirn zeigt nur wenige Unterschiede zwischen Männern und Frauen abgesehen von der Größe

29.03.2021 Wie unterschiedlich sind die Gehirne von Männern und Frauen? Die Frage wird seit Jahrzehnten erforscht, aber eine neue Studie unter der Leitung der Neurowissenschaftlerin Lise Eliot von der Rosalind Franklin University ist die erste, die diese weitreichende Forschung in einer einzigen Mega-Synthese zusammenfasst. Und die Antwort lautet: so gut wie gar nicht.

Die Gehirne von Männern und Frauen unterscheiden sich zwar geringfügig, aber die wichtigste Erkenntnis ist, dass diese Unterschiede auf die Größe des Gehirns zurückzuführen sind, nicht auf das Geschlecht, so Dr. Eliot. Die Geschlechtsunterschiede im Gehirn sind winzig und inkonsistent, sobald die Kopfgröße der Individuen berücksichtigt wird.

Die Größe des Gehirns scheint der einzige deutliche Unterschied zu sein

Die in Neuroscience and Biobehavioral Reviews veröffentlichte Studie kommt zu dem Ergebnis, dass die Größe der einzige eindeutige Unterschied zwischen männlichen und weiblichen Gehirnen ist. Die Gehirne von Frauen sind im Verhältnis zu ihrer Körpergröße etwa 11 % kleiner als die von Männern.

Kleinere Gehirne ermöglichen bestimmte Eigenschaften, wie z.B. ein etwas höheres Verhältnis von grauer zu weißer Substanz und ein höheres Verhältnis von Verbindungen zwischen und innerhalb der Gehirnhälften.

Das bedeutet, dass die Gehirnunterschiede zwischen groß- und kleinköpfigen Männern genauso groß sind wie die Gehirnunterschiede zwischen dem durchschnittlichen Mann und der durchschnittlichen Frau, sagte Dr. Eliot.

Und wichtig ist, dass keiner dieser größenbedingten Unterschiede die bekannten Verhaltensunterschiede zwischen Männern und Frauen erklären kann, wie z. B. Empathie oder räumliche Fähigkeiten.

Dr. Eliot und ihre Mitarbeiter führten eine Meta-Synthese von drei Jahrzehnten Forschung durch, wobei sie Hunderte der größten und am häufigsten zitierten Studien zur Bildgebung des Gehirns zusammenfassten, die sich mit 13 verschiedenen Messgrößen für angebliche Geschlechtsunterschiede befassten.

Bei fast allen Messwerten fanden sie so gut wie keine Unterschiede, die sich über Studien hinweg weitgehend reproduzieren ließen, selbst wenn diese Tausende von Teilnehmern umfassten.

Volumen oder die Dicke bestimmter Regionen in der Großhirnrinde

Zum Beispiel wird oft berichtet, dass sich das Volumen oder die Dicke bestimmter Regionen in der Großhirnrinde zwischen Männern und Frauen unterscheidet. Die Metasynthese zeigt jedoch, dass sich die identifizierten Regionen enorm zwischen den Studien unterscheiden.

Die Unterschiede zwischen männlichen und weiblichen Gehirnen lassen sich auch zwischen verschiedenen Populationen, wie z. B. Chinesen und Amerikanern, nur schlecht reproduzieren, was bedeutet, dass es keinen universellen Marker gibt, der die Gehirne von Männern und Frauen innerhalb der menschlichen Spezies unterscheidet.

‚Lateralisiertere‘ Gehirne der Männer

Die Studie widerlegt auch die seit langem vertretene Ansicht, dass die Gehirne von Männern stärker lateralisiert sind, was bedeutet, dass jede Hemisphäre unabhängig agiert, während die beiden Hemisphären von Frauen angeblich besser miteinander verbunden sind und synchroner arbeiten.

Ein solcher Unterschied könnte Männer anfälliger für Behinderungen nach einer Hirnverletzung wie einem Schlaganfall machen. Auch hier zeigt der Konsens vieler Studien, dass der Unterschied extrem gering ist und sogar weniger als 1 % der Bandbreite der Links-Rechts-Konnektivität in der Bevölkerung ausmacht.

Dieser Befund stimmt mit großen Datensätzen überein, die keinen Geschlechtsunterschied bei Aphasie oder dem Verlust der Sprache nach einem Schlaganfall in der linken Hemisphäre gefunden haben, im Gegensatz zu einer lang gehegten Annahme.

Unterschiede bei Hirnaktivität

In Hunderten von MRT-Studien zu Unterschieden hinsichtlich der Hirnaktivität fand das Forscherteam eine extrem schlechte Zuverlässigkeit der Ergebnisse zum Geschlechtsunterschied – fast alle spezifischen Hirnbereiche, die sich in der Aktivität zwischen Männern und Frauen unterschieden, wurden in den Studien nicht reproduziert.

Diese schlechte Reproduzierbarkeit deckt sich mit neueren Forschungsergebnissen der Stanford University, die „falsche Entdeckungen“ oder die Überpublikation von falsch-positiven Ergebnissen in der wissenschaftlichen Literatur über funktionelle MRT-Geschlechtsunterschiede aufzeigen, schließt die Hirnforscherin.

© PSYLEX.de – Quellenangabe: Neuroscience & Biobehavioral Reviews (2021). DOI: 10.1016/j.neubiorev.2021.02.026

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