Selbstverletzendes Verhalten und Suizidrisiko

Risiko für Suizid und psychische Störungen für Selbstverletzer immens hoch

07.10.2016 Junge Erwachsene, die wegen einer Selbstverletzung behandelt wurden, haben ein immens hohes Suizidrisiko laut einer im Fachblatt Psychological Medicine veröffentlichten Studie des Karolinska Institutet.

Vorübergehende Krise oder chronisches psychisches Problem

Obwohl selbstverletzendes Verhalten besonders unter jungen Menschen häufig vorkommt, ist relativ wenig darüber bekannt, was später im Leben dieser Menschen geschieht.

Die aktuelle Studie wollte untersuchen, ob die Selbstverletzungen in einem jungen Alter ein Ausdruck einer vorübergehenden Krise oder eines chronischeren psychischen Problems sind.

Die Forscher wollten auch herausfinden, ob die Gefahr für einen Suizid zunimmt, und wer das größte Risiko für eine psychische Erkrankung und Selbstmord hat, sagte Studienautorin Dr. Karin Beckman vom Fachbereich für Psychiatrie und Neurowissenschaften.

Suizidrisiko 16-fach erhöht

Die Studie verglich die Daten von 13.731 Personen im Alter zwischen 18 und 24 Jahren, die wegen selbstverletzenden Verhaltens (SVV) zwischen 1990 und 2003 zum 1. Mal behandelt wurden, mit denen von 137.310 gleichzeitig behandelten Patienten ohne SVV. Die durchschnittliche Nachbeobachtungszeit betrug 12,2 Jahre und 62,3 Prozent der Teilnehmer waren weiblich.

Die Studie zeigte, dass das Risiko für einen Suizid 16 mal höher bei den jungen Erwachsenen war, die im Zusammenhang mit Selbstverletzungen hospitalisiert worden waren – im Vergleich zu Gleichaltrigen ohne SVV.

Permanente psychische Erkrankungen

Viele von ihnen entwickelten auch permanente psychische Erkrankungen: Ein Follow-Up von fünf Jahren nach der SVV-Episode zeigte, dass jeder fünfte SVV-Patient (20,3% – 6-fach erhöhtes Risiko) psychiatrisch stationär versorgt wurde und die Hälfte (51,1% – 3-fach erhöhtes Risiko) wurden mit Psychopharmaka behandelt.

Personen, die eine psychische Erkrankung – insbesondere eine Psychose – vor dem SVV hatten, zeigten später ein noch größeres Risiko für Selbstverletzungen oder psychiatrische Probleme.

„Unsere Ergebnisse zeigen, dass wir uns mehr auf junge Erwachsene konzentrieren müssen, die sich selbst verletzen, wenn wir die Gefahr ihrer sich entwickelnden psychiatrischen Probleme im Erwachsenenleben und das Suizidrisiko reduzieren wollen“, sagte Beckman. Ärzte, die in Fälle selbstverletzenden Verhaltens involviert sind, sollten sich auch mit anderen psychischen Krankheiten befassen und darauf untersuchen, da sie bedeutende Folgen für spätere negative Prognosen haben, sagte sie.

© PSYLEX.de – Quellenangabe: Karolinska Institutet, Psychological Medicine – DOI: 10.1017/S0033291716002282; Okt. 2016

Suizidrisiko immens erhöht im Jahr nach Selbstverletzung

15.04.2017 Sich absichtlich selbstverletzende Erwachsene haben ein um das 37-fach erhöhte Risiko für einen erfolgreichen Suizid während der 12 Monate im Anschluss an das selbstverletzende Verhalten.

Forscher aus den USA analysierten die Daten von Medicaid aus den Jahren zwischen 2001 und 2007 und analysierten das ein-jährige Risiko für wiederholte Selbstverletzungen und Suizid bei 61.297 Menschen, die klinisch mit selbstverletztendem Verhalten diagnostiziert worden waren.

Potenzielle Risikofaktoren

Die Daten wurden mit dem National Death Index verglichen, das Auskunft über Daten und Todesursachen gibt. Die Studie analysierte eine Reihe potenzieller Risikofaktoren, wie demografische Charakteristika, jüngste Behandlungen wegen häufiger psychischer Störungen, sowie Setting und Methode der Selbstverletzung.

Die Forscher interessierten sich besonders für selbstverletzendes Verhalten mit Schusswaffen, da die Suizidrate durch Schusswaffen in den Vereinigten Staaten achtmal höher ist als in anderen Ländern mit hohem Pro-Kopf-Einkommen.

Psychische Erkrankungen; Geschlecht

Sie stellten fest, dass fast 20 Prozent – meist ältere, weiße Menschen, die kürzlich wegen einer psychischen Erkrankung wie Depression oder Alkoholproblemen behandelt worden waren – nichttödliche Selbstverletzungen im folgenden Jahr wiederholten.

Die Ein-Jahr-Suizidrate unter Erwachsenen, die sich absichtlich selbstverletzt hatten, war 37,2 Mal höher als in der allgemeinen Bevölkerung. In dieser Gruppe suizidierten sich Männer doppelt so wahrscheinlich wie Frauen; ältere, weiße Erwachsene hatten ein dreifach höheres Suizidrisiko im Vergleich zu jüngeren, nicht-weißen Erwachsenen.

Methode

Zwei Drittel der Suizide nach vorhergehenden selbstverletzenden Episoden wurden durch gewaltsame Methoden eingeleitet (Schusswaffen machten mehr als 40 Prozent aus). Die Gefahr eines Suizids war im ersten Monat nach einer anfänglichen selbstverletzenden Episode etwa 10mal größer, wenn eine gewaltsame Methode verwendet wurde – im Vergleich zu Selbstverletzern, die keine gewaltsame Methode (wie z.B. Gifte) wählten. In den darauffolgenden 11 Monaten unterschied sich dies nicht mehr.

Die in dieser Studie beobachteten Muster legen nahe, dass sich klinische Anstrengungen besonders auf die ersten wenigen Monate nach den SVV-Vorfällen konzentrieren sollten – besonders wenn gewaltsame Methoden eingesetzt wurden, sagte Studienautor Dr. Mark Olfson von der Columbia Universität im Fachblatt American Journal of Psychiatry.

Für diese Patienten sollten Kliniker in Erwägung ziehen, dass stationäre Aufnahmen, intensive Supervision und Behandlungen, die auf mögliche zugrundeliegende psychische Störungen abzielen, die Suizidgefahr reduzieren.

© PSYLEX.de – Quellenangabe: Columbia Universität, American Journal of Psychiatry – DOI: 10.1176/appi.ajp.2017.16111288; März 2017

Selbstmordrisiko für Jugendliche, junge Erwachsene nach Selbstverletzung höher

20.03.2018 Jugendliche und junge Erwachsene haben ein erhöhtes Suizidrisiko nach einer nicht tödlichen Selbstverletzung laut einer im Fachblatt Pediatrics veröffentlichten Studie.

Höhere Suizidmortalität

Dr. Mark Olfson von der Columbia Universität in New York City und Kollegen folgten einer nationalen Kohorte von 32.395 Patienten im Alter von 12 bis 24 Jahren für bis zu einem Jahr nach deren Verletzungen, die sie sich selbst zugefügt hatten. Die Autoren ermittelten wiederholtes selbstverletzendes Verhalten (SVV) pro 1.000 Personenjahre und Selbstmorde pro 100.000 Personenjahre.

Die Forscher fanden heraus, dass Jugendliche nach einem Suizid eine signifikant höhere Suizid-standardisierte Sterblichkeitsrate von 12 Monaten hatten als junge Erwachsene (46,0 gegenüber 19,2).

Faktoren

  • Im Vergleich zu weißen Patienten waren die Selbstmordrisiken nach Selbstverletzungen für Indianer und Einheimische in Alaska signifikant höher (Hazard Ratio, 4,69);
  • die Suizidrisiken waren auch für SVV-Patienten erhöht, die zunächst gewalttätige Methoden benutzten (Hazard Ratio 18,04), insbesondere Schusswaffen (Hazard Ratio 35,73), im Vergleich zu gewaltfreien Selbstmordmethoden (Hazard Ratio, 1,00, Referenz).
  • Erhöhte Risiken einer wiederholten Selbstverletzung wurden bei Frauen gegenüber Männern (HR 1,25),
  • bei Patienten mit Persönlichkeitsstörungen (HR 1,55) und
  • bei Patienten, deren ursprüngliche Selbstverletzung stationär behandelt wurde (HR 1,65), gegenüber einer Notaufnahme (HR 0,62) oder ambulant (HR 1,00; Referenz) beobachtet.

Nach einem nicht-tödlichem selbstverletzendem Vorfall hatten Jugendliche und junge Erwachsene eine deutlich erhöhte Suizidalität, schreiben die Autoren. Unter diesen Hochrisikopatienten waren diejenigen, die gewalttätige Selbstverletzungsmethoden, insbesondere Schusswaffen, einsetzten, besonders gefährdet und unterstrichen die Bedeutung der Nachsorge für deren Sicherheit.

© PSYLEX.de – Quellenangabe: Columbia Universität; Pediatrics – doi: 10.1542/peds.2017-3517

Studie untersuchte Suizidalität bei älteren Menschen, die sich selbst verletzen

16.10.2018 Eine in der Zeitschrift Lancet Psychiatry veröffentlichte Studie zeigt, dass ältere Menschen (im Alter über 65 Jahren), die sich selbst verletzen, eine höhere Wahrscheinlichkeit für Suizid aufweisen als andere Altersgruppen.

Die Wissenschaftler von der Universität Manchester analysierten Patientendaten mit Hilfe des Clinical Practice Research Datalink und stellten fest, dass 4.124 Patienten sich zwischen 2001 und 2014 selbst verletzt hatten, vor allem durch Überdosen von Medikamenten.

Wahrscheinlichkeit für Suizid 145-fach erhöht

Es zeigte sich, dass Menschen über 65 Jahren, die sich selbst verletzen, 20-mal häufiger an einem unnatürlichen Tod starben und 145 Mal häufiger Selbstmord begingen als gleichaltrige Menschen, die sich nicht selbst verletzt hatten.

Die Studie ergab auch, dass nur 12% der älteren Patienten, die sich selbst verletzt hatten, an einen psychiatrischen Dienst zur Nachsorge überwiesen wurden. Die Richtlinien des National Institute of Health and Care Excellence (NICE) deuten darauf hin, dass die Einbeziehung von Spezialisten für die psychische Gesundheit wichtig ist, da ältere Menschen, die sich selbst verletzen, möglicherweise eine höhere Suizidabsicht haben als jüngere Menschen.

Körperliche Gesundheitsprobleme

Körperliche Gesundheitsprobleme waren bei älteren Patienten mit selbstverletzendem Verhalten häufiger anzutreffen als bei denen, die es nicht taten.

Nach einer Selbstverletzung erhielt mehr als jeder Zehnte der 65-Jährigen trizyklische Antidepressiva, die bei Einnahme in Überdosierung toxisch sein können.

Professor Nav Kapur, einer der Autoren des Forschungsberichts, sagte: Selbstverletzendes Verhalten würde manchmal als ein Problem bei jüngeren Menschen betrachtet werden, und das ist es natürlich auch. Aber es betrifft auch Ältere, und das Problem ist der Zusammenhang mit einem erhöhten Selbstmordrisiko.

Psychische Belastungen

Ältere Menschen können besonders anfällig sein, da sie in auf besondere Weise Belastungen wie Trauer, Isolation, körperlichen und psychischen Erkrankungen ausgesetzt sind.

Sie könnten auch die Folgen befürchten, wenn sie zu einer Belastung für ihre Familie oder Freunde werden oder von Tag zu Tag sich selbst weniger versorgen können.

Einnahme von Medikamenten

Da die Einnahme von Medikamenten eine der wichtigsten Methoden zur Selbstverletzung ist, betonen die Forscher die Notwendigkeit, weniger toxische Medikamente bei älteren Erwachsenen für die Behandlung von psychischen Erkrankungen und schmerzbezogenen Erkrankungen in Betracht zu ziehen.

Sie empfehlen auch, häufige Medikamentenüberprüfungen nach selbstverletzenden Verhaltensauffälligkeiten durchzuführen.

Ärzte sind schließlich in einer einzigartigen Position, um zu intervenieren, da ältere Patienten häufiger zur Visite kommen als jüngere Menschen.

© PSYLEX.de – Quellenangabe: Lancet Psychiatry (2018). DOI:doi.org/10.1016/S2215-0366(18)30348-1

Langzeitstudie zu nicht-tödlichen Selbstverletzungen: Erhöhtes Suizidrisiko nach Krankenhausentlassung

10.11.2019 Das Suizidrisiko nach der Krankenhausentlassung (Aufnahme aufgrund nicht-tödlicher Selbstverletzung) ist unmittelbar nach der Entlassung sehr hoch laut einer in The Lancet Psychiatry veröffentlichten Studie.

Galit Guliyev von der University of Oxford in Großbritannien und Kollegen analysierten Daten der Multicentre Study of Self-Harm in England. Die Analyse umfasste Personen (im Alter von ≥ 15 Jahre), die zwischen 2000 und 2013 die Notaufnahme von fünf allgemeinen Krankenhäusern für nicht-tödliche Selbstverletzungen aufgesucht hatten, wobei die Mortalität bis 2015 beobachtet wurde.

Auftretenshäufigkeiten und Befunde

Die Forscher fanden heraus, dass es während des Untersuchungszeitraums

  • 90.614 Krankenhausaufnahmen von 49.783 Personen und 703 Suizide gab.
  • Die Gesamtinzidenz der Selbstmorde betrug 163,1 pro 100.000 Personenjahre (260,0 bei Männern und 94,6 bei Frauen).
  • Im Jahr nach der Entlassung aus dem Krankenhaus war die Suizidrate am höchsten (511,1 pro 100.000 Personenjahre), besonders im ersten Monat (1.787,1 pro 100.000 Personenjahre).
  • Männer starben dreimal so häufig wie Frauen an Suizid nach Selbstverletzung (Odds Ratio 3,36).
  • Für jede einjährige Erhöhung des Alters bei der Entlassung aus dem Krankenhaus stieg das Risiko um 3 Prozent (Odds Ratio 1,03).
  • Patienten, die in den am wenigsten benachteiligten Wohngegenden lebten, hatten ein größeres Suizidrisiko als diejenigen, die in den am stärksten benachteiligten Gebieten lebten (angepasste Odds Ratio 1,76), nachdem Geschlecht, Alter, früheres selbstverletzendes Verhalten und psychiatrische Behandlung berücksichtigt worden waren.
  • In Bezug auf Selbstverletzungen durch Selbstvergiftung allein waren versuchtes Erhängen bzw. Asphyxie (Erstickung) und verkehrsbedingte Selbstverletzungen mit einem höheren Selbstmordrisiko verbunden. Sich selbst schneiden in Kombination mit Selbstvergiftung war ebenfalls mit einem erhöhten Suizidrisiko verbunden.

Die Wissenschaftler fassen zusammen: Patienten, die das Krankenhaus wegen Selbstverletzung in Anspruch nehmen, sind besonders unmittelbar nach dem Krankenhausaufenthalt einem hohen Suizidrisiko ausgesetzt.

Bestimmte Patientenmerkmale und Selbstverletzungsmethoden sowie das Leben in Gebieten mit sozioökonomischer Benachteiligung können das spätere Suizidrisiko der Patienten erhöhen.

© PSYLEX.de – Quellenangabe: The Lancet Psychiatry – DOI:https://doi.org/10.1016/S2215-0366(19)30402-X

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