Die verhängnisvolle Rolle von Stress für die intergenerationelle Kontinuität von Psychopathologie
10.05.2024 Traumatische Kindheitserfahrungen von Müttern können die Verhaltensprobleme ihrer Kinder prognostizieren, selbst wenn die Mütter ihre Kinder, die als Neugeborene zur Adoption freigegeben wurden, nicht selbst aufgezogen haben, wie eine neue Studie der University of Oregon zeigt.
Das Forscherteam unter der Leitung von Leslie Leve, Professorin am College of Education der UO und Wissenschaftlerin am Prevention Science Institute, fand einen Zusammenhang zwischen leiblichen Müttern, die belastende Ereignisse in ihrer Kindheit erlebt hatten, wie Missbrauch, Vernachlässigung, Gewalt oder Armut, und den Verhaltensproblemen ihrer Kinder. Dies galt selbst dann, wenn die Kinder bei Adoptiveltern aufwuchsen und nie direkt den Belastungen ausgesetzt waren, die ihre leiblichen Mütter erlebt hatten.
Wenn die Adoptivmutter eines Kindes als Kind ebenfalls belastende Ereignisse erlebte, waren die Verhaltensprobleme des Kindes noch ausgeprägter, so die Forscher. Die Studie wurde in der Zeitschrift Development and Psychopathology veröffentlicht.
Diese Forschung unterstreicht, wie wichtig es ist, Vernachlässigung, Armut sowie sexuellen und körperlichen Missbrauch von Kindern zu verhindern und mit Hilfe und Unterstützung einzugreifen, wenn Kinder davon betroffen sind.
„Wir können nicht immer verhindern, dass kleinen Kindern Schlimmes widerfährt“, sagte Leve. „Aber wir können Menschen, die in ihrer Kindheit traumatisiert oder vernachlässigt wurden, verhaltensmedizinisch unterstützen, um ihnen zu helfen, Bewältigungskompetenzen und Unterstützungsnetzwerke zu entwickeln, so dass schwierige Kindheitserfahrungen weniger wahrscheinlich negative Auswirkungen auf sie – oder die nächste Generation – haben.“
In der Studie haben Leve und andere Forscher 561 Adoptivkinder, ihre leiblichen Eltern und Adoptiveltern mehr als ein Jahrzehnt lang begleitet. Die Teilnehmer wurden von 45 Adoptionsagenturen in 15 Bundesstaaten rekrutiert. Die Forscher sammelten Daten von den leiblichen Eltern, als die Kinder in der Studie noch Säuglinge waren, und von den Adoptiveltern, als die Kinder sechs oder sieben Jahre alt waren, sowie erneut im Alter von 11 Jahren.
Effortful Control
Die Forscher fanden heraus, dass ihre Kinder im Alter von sieben Jahren weniger „effortful control“ („bemühte Kontrolle“: Fähigkeit zur Selbstkontrolle) zeigten, wenn die leiblichen Mütter über mehr negative Kindheitserfahrungen und anderen Lebensstress berichteten, als sie jung waren. Beispiele für „effortful control“ sind, dass das Kind warten kann, bevor es neue Aktivitäten beginnt, wenn es darum gebeten wird, und dass es in der Lage ist, eine Aktivität leicht zu beenden, wenn man „Nein“ sagt.
Im Alter von 11 Jahren zeigten die Kinder derselben Mütter mehr „externalisierendes Verhalten“, wie Regelverstöße und aggressives Verhalten.
Die Studie weist auch den Weg für weitere Untersuchungen. Wie genau wird zum Beispiel Stress in einer Generation mit dem Verhalten der nächsten Generation in Verbindung gebracht? „Wir wissen aus Studien, dass Stress die Expression von Genen verändern kann, indem er im Wesentlichen die Gene verändert, die bei der Weitergabe an die nächste Generation ein- oder ausgeschaltet werden“, sagte Leve. „Das könnte ein plausibler Weg sein.“
Wie wirkt sich außerdem die Umgebung aus, in der das Kind aufgewachsen ist? „Können wir etwas Positives in der Erziehungsumgebung finden, vielleicht die Wärme oder Sensibilität der Eltern, das helfen kann, das genetische oder biologische Risiko des Kindes für impulsives oder externalisierendes Verhalten auszugleichen?“ fragte Leve. Das ist die nächste Frage, die sich das Forscherteam stellt.
© Psylex.de – Quellenangabe: Development and Psychopathology (2024). DOI: 10.1017/S0954579424000191
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